II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 795

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25. BrofeerBernhand
De e eeeteshene Ane
Akt... Dort gerät das Schauspiel in die Idylle eines Schweizer, daß von hier die Anregung ausging zu der modischen Musikalisie= und ersäuft in ihr. Kortner aber
viel vom allgemeinen Applaus.
Chalets; und es wird singend Tee getrunken. Tee ist der Tod rung der Sprechposse (bis zur „Dreigroschenoper“). Beifall über
der Oper. Tec=Menschen singen keine Lieder. In der Oper darf Beifall. Ob sich die einer neuen Zeit gemäße Oper nicht am glück¬
Sternheims „
nur Champagner und Bordeaux getrunken werden. Ein feuriges lichsten in ein Singspiel verwandelt? Zur Ueberwindung der. aus¬
geleierten Operette.
Teelied bedarf fernöstlicher Gestaltung. Trotz des hübsch singenden
Um das Skelett einer Flauber
Tenors Riavez und der gewandten Margret Pfahl kroch die Lange¬
von 1874 baute vor Jahren Carl
„Professor Bernbarbl“
weile über die Katharsis des Dramas und fast alle waren froh, als
— sagen wir: Umstilisierung. Für
Als man das Schnitzlersche „Tendenzstück“ vor etwa zwanzig
die Fürstin Fedora sich durch Gift den Rest gegeben hatte. Beifall
In den Kammerspielen. 1
Jahren auch im Reich aufführte, da paßte manches zu sehr auf
bestätigt ohne alle Ironie diesen Todesfall . .. Ja die Oper ist dort
Russek, der zwischen den konserva
Wien und zu wenig auf Berlin. Auch heute ist der katholische
noch populär, wo sie nach modernsten Begrifsen gar nicht mehr
Kaplan, der gegen den Willen des Arztes dem Sterbenden das Deputationen liebebienert, bis er##
populär sein dürfte. Wer hat nun recht? Der Populus oder der
Sterben bewußt machen will, keine populäre Erscheinung für den zeig erfleht auf die Partei, die zu
„modernste Begriff“? Was hier siegte, war jedenfalls nicht Musik
phemie ist der beste Einfall Sternh
weltstädtischen Alltag. Dafür hat der Antisemitismus auch im Reiche
von dem uralten Dramenschmiß von Sardou.
politisch konkrete Formen angenommen, so daß die Rasse=Differen= Sprecherischen überhaupt witzelt
zen zwischen den Aerzten von Prof. Bernhardis Klinik direkter sten. Die eigentliche Dramatik
„Victoria“ als Operette.
verstanden werden als dazumal. Bewundernswert ist Schnitzlers
„Victoria“ ist eine (vor vier Jahren von Reinhardt erstmals
Weisheit, die zunächst aus Bernhardis tragischer Borniertheit


vorgenommenen) öde Farce von W. S. Maugham, in welcher
einen Helden macht und dann vom Gesichtspunkt des kirchlichen
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der im Kriege verschollene, doch unerwartet wiederkehrende Gatte
Gegners und des konventionellen, auf friedlichen Ausgleich be¬
die Gattin Victoria mit einem zweiten Manne verehelicht wieder¬
dachten Hofrats Winkler vom k. k. Ministerium doch die aus¬
findet, aber im Gegensatz zu der wie üblich zu erwartenden
gleichende Gerechtigkeit selbst gegen den Helden findet. Mehr
Tragödie eine heitere bigamistische Anschauung der Sachlage ver¬
als ein Dutzend Aerzte stehen leibhaftig auf der Bühne und ver¬
tritt. Victoria ist nämlich mit ihren vielen nebenehelichen Flirts
treten in jedem Wort einen eigenen Charakter und ihre medizi¬
durchaus nicht ernst zu nehmen. Das weiß in der Aufführung der
nische Spezialität. Der Frauenarzt spricht anders als der Kinder¬
„Komödie“ die schöne Lili Darvas; das weiß die in reisen
arzt. Der blutige Chirurg ist völkisch. Der Jude Bernhardi ist
Koketten höchst anziehende Ida Wüst; das wissen Romanow¬
natürlich unblutiger Internist. Meisterhafte Treffer. Meisterhafte
sky als schüchterner Liebhaber, Curt Bois als Tanzlehrer und
Komposition des Mannigfaltigen unter die Einheit des Haupt¬
Hermann Thimig als betroffener Gatte. Das weiß vor allem Max
problems.
Reinhardt, der sich als Regisseur des Unmöglichen sagt, daß die
letzte Unvernunft nur noch als singendes Drama möglich ist. Jede
Dem entsprach eine außerordentliche Aufführung, deren Ge¬
Oper beweist's. Und nun geschieht das einzigartige, daß dieser
heimnis Besetzung heißt. Dis auf Kortners Bernhardi. Diese
Schwank mit pikantester Klaviermusik von Spolianski begleitet
Rolle verlangt mehr Passivität, mehr Energie der Verharrung als#
(er selber souverän am Flügel) und unter süßestem Geklimper in
des Ausbruchs. Mehr kraftvolle Moral als mächtiges Tun. Mehr
die Sphäre der Unmöglichkeit gehoben wird. Die Sprecher grup¬
Sympathie des Menschlichen als des Heroischen. Dazu ist Kortner
pieren sich bei Auf= und Abtritten halb singend, halb noch redend
ungeeignet; sein Kopf denkt zu zweckhaft; sein Auge hat keine
zu Terzetten und Quartetten, die von der Musik nicht mehr den
Güte und versteckt sich; seine Sprache wird ohne Dynamik blaß
Klang, nur noch den Rhythmus anerkennen, der dann die Arme und
und unbetont. Wohl agiert seine Technik einen „ganz richtigen“
die Beine nach musikalischen Prinzipien zur Gestik der Operette
Bernharbi. Er vermeidet jedes Mätzchen; vermeidet mit der
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zwingt. Am Schluß des dritten Aktes wird aus der Maughamschen
letzten List des Komödianten das Komödiantische. Aber die Ab¬
Blödelei ein von romantischer Ironie in leichteste Atome zerstäubtes
sicht des sich im Zaume Haltenden lähmt jeden Blutdruck. Der
Ballett. Wort und Körper schwingen nur noch im Aether. Das
Mensch ist abwesend. Was spielt, ist sein artistisches Phantom.
leichteste wird die vollendete Tanz=Marionette Curt Bois' (Prä¬
Man vergleiche dazu Kalsers Impuls als Kinderarzt;
zionsapparat); das schwerste bleibt die schleit placierte Lucie
Bressarts geisterhaft gelungene Mensch=Umsetzung in der¬
Höflich, die über ihre Natur hinaus chargieren muß. Aber das
Professor Cyprian (Charge ohne Chargenmittel!) Hörbigts
Ganze ist höchste Artistik des größten Theaterartisten der Welt:
komische Traumsubstanziation in den k. k. Hofrat. Es Hömmt
Reinhardts. Seit Tasrofff „Giroflé=Giroflà“ ist solche ätherische
doch bei der Schauspielerei auf die Verwandlung an. Nicht die
Entmaterialisierung kaum mehr gelungen. Vor vier Jahren war
dieses Spielchen in ähnlicher Besetzung neu. Man könnte vermuten, Natur wird verwandelt. Aber der Mensch geht in die Rolle ein

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