II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 806

S
Kortner
als Professor Bernhardi
Deutsches Volkstheater

95
9
Sas. 490

Aus diesem sarkastisch lächelnden Munde
fällt kaum ein scharfes Wort. Selbst gerechte
Empörung entfährt ihm wie eine lässige und
beinahe lästige Regung. Fritz Kortner spielt,
übrigens mit erlesen selbstverständlicher
Geistigkeit, keinen Märtyrer, keinen schlichten
Deklamator seines unverdienten Schicksals.
Er spielt einen scheuen und schamhaft über¬
legenen Geist, dem nichts unwichtiger ist, als
dieser Zwischenfall der Gemeinheit. Keinen
Fanatiker, aber einen ironischen Logiker des
Rechtes. Das Studium der Feigheit und der
Felonie, das sich ihm auftut, belustigt ihn fast
mehr als es ihn erregt und er tut es mit der
prachtvoll unverrückbaren Gelassenheit des
Wissenschaftlers ab.
Er stellt gewissermaßen die Diagnose der
Schurierei, die ihn umgibt. Interessiert, fast
gleichmütig, im Urteil, wie es auch dem Me¬
diziner Bernhardi nachgerühmt wird, un¬
beirrbar.
Ein einziges Mal fährt er auf, schleudert
bitteren Vorwurf hin, verwundert sich ge¬
räuschvoll. Da er von der Verlogenheit der
Hetze, die ihn bereits eingekreist hat, spricht,
von der bewußten und geschäftigen Lüge, die
seine unbewegliche Sachlichkeit nicht einmal
fassen, geschweige denn sich richtig gegen sie
zur Wehr setzen kann.
Es ist eine scharse Intelligenz, die da
Theater spielt, oder vielmehr sich selbst vom
Theater weg spielt. Sie tut es mit erstaunlich
gedämpften Mitteln, mit der nohelsten Tech¬
n
nik, mit einem Flüstern vernichtend leisen
Spottes und unbarmherzig gütiger Gering¬
schätzung, das bisweilen schon in den ersten
Parkettreihen verhallte.
noc
Gleichwohl ist dieser fast lautlos ingrim¬
mige Skeptiker eine unvergeßliche Figur. zu
nis
Seine bärbeißige Besangenheit, seine
der
linkische Nüchternheit, seine bezaubernd sch
unwirsche Nonchalance erschöpfen und
an
erfüllen die in Jahrzehnten zur freien
stir
Höhe tragischen Gegensatzes emporgewachsene
19.
Dichtung Schnitzlers. Man fühlt — mehr
Ve¬
vielleicht denn je — ihre innere, ihre logische,
ste
ihre geistige Altualität. Der Geist, in seiner
til
lächelnden Selbstverständlichkeit, ist vogelfreilste
wie ehedem. Ihre Tragödie reiner und ab¬

W1e1er
— Allgemeine Zeitung —
sichtsloser Gesinnung aber gestaltet sich immer hohen Sache groß und glänzend. Er bleibt
einleuchtender.
mit einer wunderbaren Genialität schauspiele¬
Die Szene des Kaplans, von Herrn
rischen Taktgesühles taub für die Schlag¬
Onno mit so edlem und elegischem Ungestüm
worte zwischen den Zeilen. Er drückt und,
gesprochen, einst eine scheinbare Konzession
duckt sich vor jeglichem Pathos. Er flüchtet¬
der Gerechtigkeit, ragt heute als Gipfelgrat
sich in den Schatten der Bescheidenheit eines
der Seele, auf dem sich makkellose Hände ver¬
großen Herzens. Er kann erschütternd leise
schlingen, jenseits und hoch über allen Mei¬
sein und er kann noch mehr, viel mehr: er
nungsgeschäften.
kann schweigen.
Fritz Kortners Verdienst ist in dieser sehr
Ludwig Ullmann

MOD•