S S C
box 31/7
25. Profe. Bernhardi
Ausschnittnanss Monatshefte, Braunschweig
— UN 1973
vom:
seine Pfeile in Watte zu wickeln, den Pelz zu
(oen enfsremoet ist.
waschen, ohne ihn naß zu machen. Denn wie
Arthur Schnitzlers Komödie „Professor könnte ein Schriftsteller, der selber Arzt und Jude
Bernhardi“ (Buchverlag bei S. Fischer, Berlin)
ist und aus diesen beiden Tatsachen nie ein Hehl
mußte auch den überraschen, der Schnitzlers gemacht hat, Spitzen und Schärfen, Tendenz und
Novellen und Romane kennt und sich der darin Polemik verbergen, wenn er sich zum Helden einen
entyaltenen Ansätze zur Diskussion gewisser bren¬
Mann erwählt, der, Jude und Arzt wie der Ver¬
nender Tagesfragen erinnert. Denn immer waren
fasser, von der Intoleranz seiner in der Macht
diese Erörterungen bisher in einer Handlung sitzenden Gegner zu Fall gebracht wird? Pro¬
verkapselt, die in der Psychologie einzelner Men= fessor Bernhardi, der Leiter des privaten, aber
schen oder bestimmter Stände wurzelt und eben= von Staatsgunst und öffentlichen Mitteln ab¬
dorthin, in ein Problem menschlicher Seelen= hängigen Krankenhauses Elisabethinum, verwei¬
kunde, auch ihre letzten Zweige und Fühler aus= gert aus wissenschaftlich=menschlichem Mitleid einem
schickt. Diese „Komödie“ aber ist ein politisches
Geistlichen den Zutritt zu einer Sterbenden, die
vom: 150F7 IMEENER CARICATUREN
Stück — das verrät schon das unerhörte über¬
künstliche Mittel aus all ihrer elenden Qual end¬
gewicht der Männerrollen: unter zwanzig Mit¬
lich in einen Zustand des Glücksgefühls, der
wirkenden eine einzige Frau, auch die in unter¬
Euphorie, wie die Arzte sagen, versetzt haben.
geordneter Stellung und nur ein äußerer Antrieb
Wozu die Arme daraus aufschrecken durch einen
für die eigentliche entscheidende Handlung. Zudem
Boten des Todes, den sie als solchen sofort er¬
THEATER.
ist das Stück in Wien verboten worden; also
kennen würde? Pflichtgefühl steht hier gegen
ahnen wir schon, daß es sich um soziale Fragen
Das Geschrei um Schnitzlers „Pro¬
Pflichtgefühl, Mann gegen Mann — der Arzt
handelt, von deren öffentlicher Erörterung man
setzt fürs erste seinen Willen durch, weil er im
fessor Bernhart“ sollte endlich
eine Explosion des zwischen den Parteien aufge¬
Besitz des Hausrechts ist. Aber das hat außer¬
einmal auf hören.
häuften Zündstoffes befürchten zu müssen glaubte.
halb der vier Wände der Anstalt ein Ende, und
Die Arbeit des „Liebelei“dichters ist
Die Befürchtung erscheint nicht ganz ungerecht¬
der Vorfall, durch falsches Zeugnis einer Kranken¬
fertigt, so sehr sich Schnitzler auch bemüht hat,
schwester zur Religionsstörung aufgebauscht, ruft
recht minderwertig und wird seinen
aus allen Wind= und Himmelsrichtungen Wider¬
Ruhm nicht mehren.
sacher, Neider, Feinde des Angeschuldigten auf
den Plan. Wie das Wild von der Meute, so sieht
Kulturkämpferisch, schlüsseldramatisch,
sich Bernhardi, der nur seine Wissenschaft, nur
poliklinisch, reklamehaft!
seinen ärztlichen Beruf kennt und sich nie in die
Schnitzlers Vater hat die Poliklinik
Politik gemischt hat, plötzlich zum Gegenstand
mitbegründet, aber eine Kulturtat sollte
Er könnte sich durch eine „Erklärung“ retten,
es nicht sein.
aber er verschmäht es mit der Zuversicht eines
Die Familie Schnitzler hat reichen
guten Gewissens und weil er sich an dem trüben
Handel, der da eingefädelt werden soll, nicht
Nutzen für Kinder und Schwiegerkinder
mitbeschmutzen möchte. So kommt es zu einer
aus der Poliklinik gezogen; zu einem
parlamentarischen Interpellation, bei der ihn ein
Kulturdrama liegt hier keine Veranlassung
Jugendfreund kalter Hand fallen läßt, und gleich
darauf zu einem kurzen Prozeß, der ihm, nun
vor.
sogar schon wegen Religionsverletzung, eine Strafe
Solche Sachen sind doch längst ab¬
von zwei Monaten Gefängnis zudiktiert. Un¬
getan — der Kulturkampf ist heute etwas
erschüttert, fast heiter tritt er die Strafe an,
heiter und unerschüttert kehrt er aus der Haft
schmalziges, kitschiges, unmögliches auf
zu seiner Arbeit zurück. Er glaubt auch jetzt
der Bühne.
noch Wichtigeres zu tun zu haben, als sich mit
Französische Advokaten führen noch
Politik zu befassen, selbst wenn's ihm an Kopf
und Kragen geht. Seine Wissenschaft soll man
den Kampf gegen die Kirche, um ihrer
ihm lassen, seine Ruhe soll man ihm gönnen.
Clique die Macht zu sichern, anderswo
Er ist innerlich so unangetastet, so unbeschwert
ist es Sache der klassenbewußten Prole¬
von dem allem, daß es ihm keine Spur von
Überwindung kostet, dem Geistlichen, der ihm
tarier, welche die Karpelesse und
doch die Suppe eingebrockt hat, bei erster bester
Austerlitze den Seelsorgern vorzieht.)
Gelegenheit fre#ndschaftlich die Hand zu drücken —
über den Abgrund hinweg, der sie beide scheidet.
Schnitzler möge sich bald auß
Das ist die eigentlich symbolische Szene dieses
dieser Gesellschaft davonschleichen.
Stückes, sie, in der sich das Gesinnungsstück, die
Phot. Zander & Labisch, Berlin.
Konfliktstragik, die hinter der Schale zu picken
v. Ledebour als Marbod in Kleists „hermanns¬
scheint, als ein frommes, friedliches Küchlein der
schlacht“ (Königliches Schauspielhaus, Berlin).
achselzuckenden Unempfindlichkeit und Gleichgültig=
keit entpuppt. Die Komödie der Relativität hat
Schnitzler schreiben wollen, und seine mit gra¬
ziösestem Geist und Witz gespeiste Dialektik bringt
es in den letzten beiden ganz schnitzlerischen Akten
fertig, uns diese Indifferenz fast als überlegene
Weltanschauung aufzureden. Aber auch nur fast.
Ein im Innersten unsers Gefühls verankerter
Widerstand bäumt sich auf gegen diese Philosophie
des „Sowohl — als auch“ — das Glück der Fried¬
hofsruhe, das wir für unser Selbst damit er¬
kaufen möchten, scheint uns die Verluste nicht
aufzuwiegen, die das Leben, der frische, frohe
Kampf des Ganzen dadurch erleiden müßte. Auch;
eine so glänzende Aufführung wie die des Kleinen?
Theaters in Berlin kann diese Empfindung am
Ende nicht besiegen.
Als lepzthi#.
box 31/7
25. Profe. Bernhardi
Ausschnittnanss Monatshefte, Braunschweig
— UN 1973
vom:
seine Pfeile in Watte zu wickeln, den Pelz zu
(oen enfsremoet ist.
waschen, ohne ihn naß zu machen. Denn wie
Arthur Schnitzlers Komödie „Professor könnte ein Schriftsteller, der selber Arzt und Jude
Bernhardi“ (Buchverlag bei S. Fischer, Berlin)
ist und aus diesen beiden Tatsachen nie ein Hehl
mußte auch den überraschen, der Schnitzlers gemacht hat, Spitzen und Schärfen, Tendenz und
Novellen und Romane kennt und sich der darin Polemik verbergen, wenn er sich zum Helden einen
entyaltenen Ansätze zur Diskussion gewisser bren¬
Mann erwählt, der, Jude und Arzt wie der Ver¬
nender Tagesfragen erinnert. Denn immer waren
fasser, von der Intoleranz seiner in der Macht
diese Erörterungen bisher in einer Handlung sitzenden Gegner zu Fall gebracht wird? Pro¬
verkapselt, die in der Psychologie einzelner Men= fessor Bernhardi, der Leiter des privaten, aber
schen oder bestimmter Stände wurzelt und eben= von Staatsgunst und öffentlichen Mitteln ab¬
dorthin, in ein Problem menschlicher Seelen= hängigen Krankenhauses Elisabethinum, verwei¬
kunde, auch ihre letzten Zweige und Fühler aus= gert aus wissenschaftlich=menschlichem Mitleid einem
schickt. Diese „Komödie“ aber ist ein politisches
Geistlichen den Zutritt zu einer Sterbenden, die
vom: 150F7 IMEENER CARICATUREN
Stück — das verrät schon das unerhörte über¬
künstliche Mittel aus all ihrer elenden Qual end¬
gewicht der Männerrollen: unter zwanzig Mit¬
lich in einen Zustand des Glücksgefühls, der
wirkenden eine einzige Frau, auch die in unter¬
Euphorie, wie die Arzte sagen, versetzt haben.
geordneter Stellung und nur ein äußerer Antrieb
Wozu die Arme daraus aufschrecken durch einen
für die eigentliche entscheidende Handlung. Zudem
Boten des Todes, den sie als solchen sofort er¬
THEATER.
ist das Stück in Wien verboten worden; also
kennen würde? Pflichtgefühl steht hier gegen
ahnen wir schon, daß es sich um soziale Fragen
Das Geschrei um Schnitzlers „Pro¬
Pflichtgefühl, Mann gegen Mann — der Arzt
handelt, von deren öffentlicher Erörterung man
setzt fürs erste seinen Willen durch, weil er im
fessor Bernhart“ sollte endlich
eine Explosion des zwischen den Parteien aufge¬
Besitz des Hausrechts ist. Aber das hat außer¬
einmal auf hören.
häuften Zündstoffes befürchten zu müssen glaubte.
halb der vier Wände der Anstalt ein Ende, und
Die Arbeit des „Liebelei“dichters ist
Die Befürchtung erscheint nicht ganz ungerecht¬
der Vorfall, durch falsches Zeugnis einer Kranken¬
fertigt, so sehr sich Schnitzler auch bemüht hat,
schwester zur Religionsstörung aufgebauscht, ruft
recht minderwertig und wird seinen
aus allen Wind= und Himmelsrichtungen Wider¬
Ruhm nicht mehren.
sacher, Neider, Feinde des Angeschuldigten auf
den Plan. Wie das Wild von der Meute, so sieht
Kulturkämpferisch, schlüsseldramatisch,
sich Bernhardi, der nur seine Wissenschaft, nur
poliklinisch, reklamehaft!
seinen ärztlichen Beruf kennt und sich nie in die
Schnitzlers Vater hat die Poliklinik
Politik gemischt hat, plötzlich zum Gegenstand
mitbegründet, aber eine Kulturtat sollte
Er könnte sich durch eine „Erklärung“ retten,
es nicht sein.
aber er verschmäht es mit der Zuversicht eines
Die Familie Schnitzler hat reichen
guten Gewissens und weil er sich an dem trüben
Handel, der da eingefädelt werden soll, nicht
Nutzen für Kinder und Schwiegerkinder
mitbeschmutzen möchte. So kommt es zu einer
aus der Poliklinik gezogen; zu einem
parlamentarischen Interpellation, bei der ihn ein
Kulturdrama liegt hier keine Veranlassung
Jugendfreund kalter Hand fallen läßt, und gleich
darauf zu einem kurzen Prozeß, der ihm, nun
vor.
sogar schon wegen Religionsverletzung, eine Strafe
Solche Sachen sind doch längst ab¬
von zwei Monaten Gefängnis zudiktiert. Un¬
getan — der Kulturkampf ist heute etwas
erschüttert, fast heiter tritt er die Strafe an,
heiter und unerschüttert kehrt er aus der Haft
schmalziges, kitschiges, unmögliches auf
zu seiner Arbeit zurück. Er glaubt auch jetzt
der Bühne.
noch Wichtigeres zu tun zu haben, als sich mit
Französische Advokaten führen noch
Politik zu befassen, selbst wenn's ihm an Kopf
und Kragen geht. Seine Wissenschaft soll man
den Kampf gegen die Kirche, um ihrer
ihm lassen, seine Ruhe soll man ihm gönnen.
Clique die Macht zu sichern, anderswo
Er ist innerlich so unangetastet, so unbeschwert
ist es Sache der klassenbewußten Prole¬
von dem allem, daß es ihm keine Spur von
Überwindung kostet, dem Geistlichen, der ihm
tarier, welche die Karpelesse und
doch die Suppe eingebrockt hat, bei erster bester
Austerlitze den Seelsorgern vorzieht.)
Gelegenheit fre#ndschaftlich die Hand zu drücken —
über den Abgrund hinweg, der sie beide scheidet.
Schnitzler möge sich bald auß
Das ist die eigentlich symbolische Szene dieses
dieser Gesellschaft davonschleichen.
Stückes, sie, in der sich das Gesinnungsstück, die
Phot. Zander & Labisch, Berlin.
Konfliktstragik, die hinter der Schale zu picken
v. Ledebour als Marbod in Kleists „hermanns¬
scheint, als ein frommes, friedliches Küchlein der
schlacht“ (Königliches Schauspielhaus, Berlin).
achselzuckenden Unempfindlichkeit und Gleichgültig=
keit entpuppt. Die Komödie der Relativität hat
Schnitzler schreiben wollen, und seine mit gra¬
ziösestem Geist und Witz gespeiste Dialektik bringt
es in den letzten beiden ganz schnitzlerischen Akten
fertig, uns diese Indifferenz fast als überlegene
Weltanschauung aufzureden. Aber auch nur fast.
Ein im Innersten unsers Gefühls verankerter
Widerstand bäumt sich auf gegen diese Philosophie
des „Sowohl — als auch“ — das Glück der Fried¬
hofsruhe, das wir für unser Selbst damit er¬
kaufen möchten, scheint uns die Verluste nicht
aufzuwiegen, die das Leben, der frische, frohe
Kampf des Ganzen dadurch erleiden müßte. Auch;
eine so glänzende Aufführung wie die des Kleinen?
Theaters in Berlin kann diese Empfindung am
Ende nicht besiegen.
Als lepzthi#.