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25. Professer Bernhand1
hätte aber besser die Erinnerung an Goethe beiseite gelassen. Daß man
das Stück in Lauchstädt spielte, machte es ja nicht Goetheisch, es sei denn, daß
man an Werke wie Stella dächte.
Man sollte es überhaupt unterlassen, einen Dichter in einem anderen zu finden.
Begeisterte Anhänger Hauptmanns lieben es, seine vermeintliche äußere Ahnlich¬
keit mit Goethe hervorzuheben; sie ist an sich nicht schlagend und solche Ahnlich¬
keiten entstehen eher durch die unermüdliche Arbeit des Raseurs und Coiffeurs
als durch das selbständige Wirken der Natur. Weder in Goethe noch in Byron,
in Shelley, in Hugo, Musset oder Ibsen fand man jemand andern als sie selbst.
Gerhart Hauptmann hat seinen Nobelpreis vollauf durch so schöne und tiefe
dramatische Werke verdient wie Hannele, Die Weber, Der Biberpelz, Florian
Geyer; aber es ist ja etwas lange her, seit er sie schrieb. Gabriel Schillings
Flucht ist die Tragikomödie der Flucht des allzusehr geliebten Gatten vor der
Scheuche von Frau, die ihr Eigentumsrecht geltend macht, und der Megäre von
Geliebten, die ihn nicht freigeben will, obgleich er inkognito auf lange Reisen
gehen will, um sie los zu werden. Beide holen ihn irgendwo in Sylt oder Norderney
ein und er weiß schließlich kein anderes Mittel, ihren glühenden Umarmungen zu
entgehen, als in der Nordsee sich zu ersäufen. So ergeht es, wenn man allzu
ließehswürdig und zugleich allzu nervös ist.*)
*
Das in Österreich aus politischen Gründen verbotene Stück Arthur Schnitziers
MSteGgRe
PProfessor Bernhardi, das seine Erstaufführung demzufolge in Berlin erlebte,
ist eine ungleich wuchtigere Arbeit. Jede einzelne Gestalt in diesem Werke ist
eine Charakterstudie von hohem Rang und die Handlung ist mit überlegener
Sicherheit zu dem logisch und faktisch geforderten Ziel geführt, an dessen Be¬
deutung ein feiner Skeptizismus zum Schlusse rüttelt.
Schnitzler hat hier auf alle die Mittel verzichtet, mit denen er sonst Wir¬
kungen erzielt. Im Stücke kommen — mit Ausnahme einer einzigen Frau, die ein
Paar Repliken hat — nur Männer vor. Keinen Geschlechtsgegensatz und kein
Geschlechtsproblem, keinen doppelten Boden, keinen Unterstrom gibt es hier.
Alles ist mit äußerster Klarheit ganz an der Oberfläche im Hautrelief heraus¬
gearbeitet.
Das Stück behandelt ein Lebensschicksal, wie es der Vater des Dichters
erfahren hatte. Er wurde, gleich dem Professor Bernhardi des Stückes, aus dem
Hospital, das er selbst gegründet und geleitet hatte, hinausintrigiert, wurde hinaus¬
gedrängt von den Untergebenen, die er selbst angestellt hatte, und zwar aus der
nämlichen Ursache wie dort der Oberarzt, aus der eines im Dienste eigensüchtiger
Zwecke ausgenützten Religions- und Rassenhasses.
*) Daß wir im Fall Hauptmann mit Brandes nicht einig sind, beweisen sowohl die
Hauptmannaufsätze unseres Heftes 23 (III. Jahrgang) als die Artikel „Gabriel Schillings Flucht“
von Leo Feld (III. Jahrgang, Heft 6) und Dr. Johannes Brandt (IV. Jahrgang, Heft 1). Was
uns natürlich nicht hindern darf, auch die entgegengesetzte Empfindung zu Wort kommen zu
(Die Red.)
lassen, wenn sie von einem kommt, der Georg Brandes heißt.
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GAGEe
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25. Professer Bernhand1
hätte aber besser die Erinnerung an Goethe beiseite gelassen. Daß man
das Stück in Lauchstädt spielte, machte es ja nicht Goetheisch, es sei denn, daß
man an Werke wie Stella dächte.
Man sollte es überhaupt unterlassen, einen Dichter in einem anderen zu finden.
Begeisterte Anhänger Hauptmanns lieben es, seine vermeintliche äußere Ahnlich¬
keit mit Goethe hervorzuheben; sie ist an sich nicht schlagend und solche Ahnlich¬
keiten entstehen eher durch die unermüdliche Arbeit des Raseurs und Coiffeurs
als durch das selbständige Wirken der Natur. Weder in Goethe noch in Byron,
in Shelley, in Hugo, Musset oder Ibsen fand man jemand andern als sie selbst.
Gerhart Hauptmann hat seinen Nobelpreis vollauf durch so schöne und tiefe
dramatische Werke verdient wie Hannele, Die Weber, Der Biberpelz, Florian
Geyer; aber es ist ja etwas lange her, seit er sie schrieb. Gabriel Schillings
Flucht ist die Tragikomödie der Flucht des allzusehr geliebten Gatten vor der
Scheuche von Frau, die ihr Eigentumsrecht geltend macht, und der Megäre von
Geliebten, die ihn nicht freigeben will, obgleich er inkognito auf lange Reisen
gehen will, um sie los zu werden. Beide holen ihn irgendwo in Sylt oder Norderney
ein und er weiß schließlich kein anderes Mittel, ihren glühenden Umarmungen zu
entgehen, als in der Nordsee sich zu ersäufen. So ergeht es, wenn man allzu
ließehswürdig und zugleich allzu nervös ist.*)
*
Das in Österreich aus politischen Gründen verbotene Stück Arthur Schnitziers
MSteGgRe
PProfessor Bernhardi, das seine Erstaufführung demzufolge in Berlin erlebte,
ist eine ungleich wuchtigere Arbeit. Jede einzelne Gestalt in diesem Werke ist
eine Charakterstudie von hohem Rang und die Handlung ist mit überlegener
Sicherheit zu dem logisch und faktisch geforderten Ziel geführt, an dessen Be¬
deutung ein feiner Skeptizismus zum Schlusse rüttelt.
Schnitzler hat hier auf alle die Mittel verzichtet, mit denen er sonst Wir¬
kungen erzielt. Im Stücke kommen — mit Ausnahme einer einzigen Frau, die ein
Paar Repliken hat — nur Männer vor. Keinen Geschlechtsgegensatz und kein
Geschlechtsproblem, keinen doppelten Boden, keinen Unterstrom gibt es hier.
Alles ist mit äußerster Klarheit ganz an der Oberfläche im Hautrelief heraus¬
gearbeitet.
Das Stück behandelt ein Lebensschicksal, wie es der Vater des Dichters
erfahren hatte. Er wurde, gleich dem Professor Bernhardi des Stückes, aus dem
Hospital, das er selbst gegründet und geleitet hatte, hinausintrigiert, wurde hinaus¬
gedrängt von den Untergebenen, die er selbst angestellt hatte, und zwar aus der
nämlichen Ursache wie dort der Oberarzt, aus der eines im Dienste eigensüchtiger
Zwecke ausgenützten Religions- und Rassenhasses.
*) Daß wir im Fall Hauptmann mit Brandes nicht einig sind, beweisen sowohl die
Hauptmannaufsätze unseres Heftes 23 (III. Jahrgang) als die Artikel „Gabriel Schillings Flucht“
von Leo Feld (III. Jahrgang, Heft 6) und Dr. Johannes Brandt (IV. Jahrgang, Heft 1). Was
uns natürlich nicht hindern darf, auch die entgegengesetzte Empfindung zu Wort kommen zu
(Die Red.)
lassen, wenn sie von einem kommt, der Georg Brandes heißt.
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