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Je mehr Staaten der immer beschränkter werdende Nationalismus erobert,
desto weiter verbreitet sich überall der sogenannte Antisemitismus, Rußland und
Rumänien, Österreich und Deutschland sind seine Heimstätten. Selbst in Däne¬
mark windet der literarische Ohrwurmsich antisemitisch. Der immer größeren Ver¬
breitung des Antisemitismus gegenüber fühlen nun aber die Dichter jüdischer
Abstammung, für die das Konfessionelle nicht mehr besteht, sich gedrängt oder
verpflichtet, diese traurigen, falsch gestellten Rassenprobleme zu erneuter
Debatte aufzunehmen. Henri Nathansen hatte es in Dänemark mit Glück getan,
Jakob Wassermann in Deutschland. Arthur Schnitzler wollte es in Österreich in
seinem neuen, dort nicht geduldeten Schauspiele tun.
Das Stück ist äußerst sinnreich gebaut, überwältigend sicher in seiner
Beweisführung. Es dreht sich ganz und gar um eine schmutzige, nur deshalb gegen
den berühmten Arzt ins Werk gesetzte Intrigue, weil er aus reiner Humanität
ein krankes Mädchen, das seinen nahe bevorstehenden Tod nicht ahnt, sondern
sich geheilt wähnt, verschonen möchte vor dem Anblick des Geistlichen, der die
Sterbende zu versehen fordert.
Der Vorwand zu dem Lärm, der sich nun erhebt, ist natürlich, daß der
jüdische Arzt dem Geistlichen den Zutritt zur Patientin aus Haß gegen das Chri¬
stentum und die katholische Kirche verweigert habe. Daraufhin Opposition unter
den Kollegen, Interpellation im Parlament, schwankende Haltung des Ministers,
schließlich einige Wochen Arrest für den Oberarzt.
Schnitzlers Schauspiel ist unstreitig eine Kundgebung von.größtem Gewicht,
über die man nicht hinwegkommen kann. Immerhin gestehe ich, daß es mir, vom
höchsten künstlerischen Standpunkt aus gesehen, scheinen wollte, als ließe sich
ein gewisser Einspruch erheben gegen Werke, in denen der Dichter so gerade
und offen eine Sache mit Bezug auf Verhältnisse führt, die ihn persönlich ge¬
kränkt und gequält haben. Sie gestalten sich ebensosehr zur Polemik wie zur
Poesie.
Wohl ersieht man aus Shakespeares Werken — was man sich schließlich
zum voraus sagen konnte — daß die Schmach, die infolge der Vorurteile seiner
Umgebung und seiner Zeit dem Theater und dem Schauspielerstande anhafteten,
sein ganzes Leben hindurch eine Quelle des Leidens für ihn gewesen sei. Die Sonette
verraten es, so gut wie sein Eifer — per fas oder nefas — sich das Recht auf den
Titel Gentleman zu erobern. Und sicherlich steht sein früher Rücktritt von der
Bühne damit in Verbindung. Doch um wie viel weniger frei würden nicht Shake¬
speares Dramen nunmehr dastehen, wenn er sie zur Verfechtung seiner Sache
gebraucht hätte. Wenn er, statt Konflikte, gültig für alle Zeiten, zu behandeln,
sich auf die Bekämpfung von Vorurteilen beschränkt hätte, die seine Zeit hegte,
über die die unsrige jedoch hinaus ist! Dies aber würde dem in unsern Schauspielen
gefünrten Kampf gegen die heute herrschenden Vorurteile entsprechen. Zuge¬
geben sei indes, daß die Zensur zu Shakespeares Zeit Stücke dieser Art kaumy
zugelassen hätte.
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Je mehr Staaten der immer beschränkter werdende Nationalismus erobert,
desto weiter verbreitet sich überall der sogenannte Antisemitismus, Rußland und
Rumänien, Österreich und Deutschland sind seine Heimstätten. Selbst in Däne¬
mark windet der literarische Ohrwurmsich antisemitisch. Der immer größeren Ver¬
breitung des Antisemitismus gegenüber fühlen nun aber die Dichter jüdischer
Abstammung, für die das Konfessionelle nicht mehr besteht, sich gedrängt oder
verpflichtet, diese traurigen, falsch gestellten Rassenprobleme zu erneuter
Debatte aufzunehmen. Henri Nathansen hatte es in Dänemark mit Glück getan,
Jakob Wassermann in Deutschland. Arthur Schnitzler wollte es in Österreich in
seinem neuen, dort nicht geduldeten Schauspiele tun.
Das Stück ist äußerst sinnreich gebaut, überwältigend sicher in seiner
Beweisführung. Es dreht sich ganz und gar um eine schmutzige, nur deshalb gegen
den berühmten Arzt ins Werk gesetzte Intrigue, weil er aus reiner Humanität
ein krankes Mädchen, das seinen nahe bevorstehenden Tod nicht ahnt, sondern
sich geheilt wähnt, verschonen möchte vor dem Anblick des Geistlichen, der die
Sterbende zu versehen fordert.
Der Vorwand zu dem Lärm, der sich nun erhebt, ist natürlich, daß der
jüdische Arzt dem Geistlichen den Zutritt zur Patientin aus Haß gegen das Chri¬
stentum und die katholische Kirche verweigert habe. Daraufhin Opposition unter
den Kollegen, Interpellation im Parlament, schwankende Haltung des Ministers,
schließlich einige Wochen Arrest für den Oberarzt.
Schnitzlers Schauspiel ist unstreitig eine Kundgebung von.größtem Gewicht,
über die man nicht hinwegkommen kann. Immerhin gestehe ich, daß es mir, vom
höchsten künstlerischen Standpunkt aus gesehen, scheinen wollte, als ließe sich
ein gewisser Einspruch erheben gegen Werke, in denen der Dichter so gerade
und offen eine Sache mit Bezug auf Verhältnisse führt, die ihn persönlich ge¬
kränkt und gequält haben. Sie gestalten sich ebensosehr zur Polemik wie zur
Poesie.
Wohl ersieht man aus Shakespeares Werken — was man sich schließlich
zum voraus sagen konnte — daß die Schmach, die infolge der Vorurteile seiner
Umgebung und seiner Zeit dem Theater und dem Schauspielerstande anhafteten,
sein ganzes Leben hindurch eine Quelle des Leidens für ihn gewesen sei. Die Sonette
verraten es, so gut wie sein Eifer — per fas oder nefas — sich das Recht auf den
Titel Gentleman zu erobern. Und sicherlich steht sein früher Rücktritt von der
Bühne damit in Verbindung. Doch um wie viel weniger frei würden nicht Shake¬
speares Dramen nunmehr dastehen, wenn er sie zur Verfechtung seiner Sache
gebraucht hätte. Wenn er, statt Konflikte, gültig für alle Zeiten, zu behandeln,
sich auf die Bekämpfung von Vorurteilen beschränkt hätte, die seine Zeit hegte,
über die die unsrige jedoch hinaus ist! Dies aber würde dem in unsern Schauspielen
gefünrten Kampf gegen die heute herrschenden Vorurteile entsprechen. Zuge¬
geben sei indes, daß die Zensur zu Shakespeares Zeit Stücke dieser Art kaumy
zugelassen hätte.
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