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PrfeonBernhandi
Schnitzler hat dieses dramatische Spiegelbild des heutigen Österreich
eine Komödie genannt. Ein die poetischen Werte weniger behutsam wägender
Künstler hätte es eine Tragödie genannt. Es sagt darin gegen den Schluss
eine Person, die sich in dem Wirrwar der Politik von allen den klarsten Blick
bewahrt hat — an Stelle des Dichters: „Wenn man immerfort das Richtige
täte, oder vielmehr wenn man nur einmal in der Früh, so ohne sichs
weiter zu überlegen, anfing das Richtige zu tun und so in einemfort den
ganzen Tag lang das Richtige, so säße man sicher noch vorm Nachtmahl
im Kriminal.“ Das ist auch der Sinn des Stückes. Ein Urmotiv der Tra¬
gödie. Aber freilich, was im Zusammenprall ewiger, großer Konflikte eine
Tragödie ergeben würde, das wirkt in der Jämmerlichkeit der Politik und
den Niederungen der politischen Kämpfe leicht tragikomisch — oder gar
nur komisch. In diesem Sinne nennt sich das ernste, nachdenkliche Stück
mit mehr Recht eine Komödie als manch eines, in dem greifbarere Komik
herrscht als hier.
Der österreichische Zensor hat ein gutes Werk getan, als er die Auf¬
führung verbot. Und wir wollen es dem braven Manne danken, dass er für
das Stück alles getan, was er an seinem Orte dafür tun konnte. Denn
Schnitzlers Komödie vom Professor Bernhardi gehört in die breiteste
Offentlichkeit.
JONAS FRANKEL
BIE PTIORLU
Nr. 368/369 5. FEBRUAR 1913
XIV. JAHR
Glossen
Fern sei es von mir, den -Professor Bernhardis zu lesen
denn läse ich ihn, ich fühlte mich hingerissen, ihn zu zitieren,
und zitierte ich ihn, man läse ihn richtig. Denn ihr alle wisset
doch schon, daß die Dinge, die ihr anderorts mit Wohlgefallen
betrachtet, hier plötzlich ein anderes Gesicht annehmen, indem
sie das werden, was sie sind. Denn mir ist ein Engel erschienen,
der mir sagte: Gehe hin und zitiere sie. So ging ich hin und
zitierte sie. Und kann Existenzen dem Hungertode preisgeben, bloß
dadurch, daß ich sie hier noch einmal und wörtlich das sagen
lasse, wodurch sie Reichtümer erwerben. Und wahrlich ich sage
euch, ich besitze eine Skizze von Salus, welche in der Sonntags¬
„Zeit' erschienen ist. Und wenn ich sie abdrucke, wird sich Europas
Sorgenantlitz glätten und es wird wieder sein wie vor dem Kriege.
Ich aber tue es nicht, weil ich ein anständiger Mensch bin. Diese
geheime Kraft, die mich befähigt, die deutsch-österreichischen
Autoren vor Gott und Menschen mißliebig zu machen, übe ich
mit Bedacht. Schnitzlers-Zeit ist noch nicht vollendet. In zehn
Jahren wird malf wissen. Und aber in zehn Jahren wird man
nicht mehr wissen. Fern sei es von mir, seine besten Sätze
abzudrucken. Denn er ist allen sympathisch und alle würden von
mir sagen, ich sei ungerecht gegen ihn. Was ich aber schon heute
verraten kann, ist, was ich nur vom Hörensagen weiß. Es soll
ein ernstes Stück sein, ein soziales Stück, und Priester und Arzt
reichen sich die Hand über dem Abgrund. Das habe ich gehört
und mache mir Gedanken. Ich weiß, daß es nicht das Lustspiel ist,
das sie von ihm erwartet haben. Denn jegliche Saison, wenn das
Fest der Laubhütten kam, gingen die zehn Altesten hinaus zu
ihm und sahen nach, ob er ihnen schon das Lustspiel geschenkt
hatte. Aber immer kehrten sie um und sagten: Noch nicht, aber fast.
Er sei berufen, seinem Volk dereinst im Volkstheater das Lustspiel
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PrfeonBernhandi
Schnitzler hat dieses dramatische Spiegelbild des heutigen Österreich
eine Komödie genannt. Ein die poetischen Werte weniger behutsam wägender
Künstler hätte es eine Tragödie genannt. Es sagt darin gegen den Schluss
eine Person, die sich in dem Wirrwar der Politik von allen den klarsten Blick
bewahrt hat — an Stelle des Dichters: „Wenn man immerfort das Richtige
täte, oder vielmehr wenn man nur einmal in der Früh, so ohne sichs
weiter zu überlegen, anfing das Richtige zu tun und so in einemfort den
ganzen Tag lang das Richtige, so säße man sicher noch vorm Nachtmahl
im Kriminal.“ Das ist auch der Sinn des Stückes. Ein Urmotiv der Tra¬
gödie. Aber freilich, was im Zusammenprall ewiger, großer Konflikte eine
Tragödie ergeben würde, das wirkt in der Jämmerlichkeit der Politik und
den Niederungen der politischen Kämpfe leicht tragikomisch — oder gar
nur komisch. In diesem Sinne nennt sich das ernste, nachdenkliche Stück
mit mehr Recht eine Komödie als manch eines, in dem greifbarere Komik
herrscht als hier.
Der österreichische Zensor hat ein gutes Werk getan, als er die Auf¬
führung verbot. Und wir wollen es dem braven Manne danken, dass er für
das Stück alles getan, was er an seinem Orte dafür tun konnte. Denn
Schnitzlers Komödie vom Professor Bernhardi gehört in die breiteste
Offentlichkeit.
JONAS FRANKEL
BIE PTIORLU
Nr. 368/369 5. FEBRUAR 1913
XIV. JAHR
Glossen
Fern sei es von mir, den -Professor Bernhardis zu lesen
denn läse ich ihn, ich fühlte mich hingerissen, ihn zu zitieren,
und zitierte ich ihn, man läse ihn richtig. Denn ihr alle wisset
doch schon, daß die Dinge, die ihr anderorts mit Wohlgefallen
betrachtet, hier plötzlich ein anderes Gesicht annehmen, indem
sie das werden, was sie sind. Denn mir ist ein Engel erschienen,
der mir sagte: Gehe hin und zitiere sie. So ging ich hin und
zitierte sie. Und kann Existenzen dem Hungertode preisgeben, bloß
dadurch, daß ich sie hier noch einmal und wörtlich das sagen
lasse, wodurch sie Reichtümer erwerben. Und wahrlich ich sage
euch, ich besitze eine Skizze von Salus, welche in der Sonntags¬
„Zeit' erschienen ist. Und wenn ich sie abdrucke, wird sich Europas
Sorgenantlitz glätten und es wird wieder sein wie vor dem Kriege.
Ich aber tue es nicht, weil ich ein anständiger Mensch bin. Diese
geheime Kraft, die mich befähigt, die deutsch-österreichischen
Autoren vor Gott und Menschen mißliebig zu machen, übe ich
mit Bedacht. Schnitzlers-Zeit ist noch nicht vollendet. In zehn
Jahren wird malf wissen. Und aber in zehn Jahren wird man
nicht mehr wissen. Fern sei es von mir, seine besten Sätze
abzudrucken. Denn er ist allen sympathisch und alle würden von
mir sagen, ich sei ungerecht gegen ihn. Was ich aber schon heute
verraten kann, ist, was ich nur vom Hörensagen weiß. Es soll
ein ernstes Stück sein, ein soziales Stück, und Priester und Arzt
reichen sich die Hand über dem Abgrund. Das habe ich gehört
und mache mir Gedanken. Ich weiß, daß es nicht das Lustspiel ist,
das sie von ihm erwartet haben. Denn jegliche Saison, wenn das
Fest der Laubhütten kam, gingen die zehn Altesten hinaus zu
ihm und sahen nach, ob er ihnen schon das Lustspiel geschenkt
hatte. Aber immer kehrten sie um und sagten: Noch nicht, aber fast.
Er sei berufen, seinem Volk dereinst im Volkstheater das Lustspiel