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25. ProfessonBernhand1
Ausschnitt aus:
WIENER CARICATUREN
vom:
TL. MNRI
1
Viel Geserres wird jetzt mit dem ver¬
botenen „Professor Bernhardi“ ge¬
macht und wir glauben, daß man Artur
Schnitzler damit nicht nützt.
—im Ubrigen hätte der Autor der
„Liebelei“ guf-getan, nicht mit den
„Klerikalen“ anzubinden. Die ganze Sache
liegt ihm nicht und die Gründung der
Poliklinik ist überhaupt eine sehr pro¬
saische Sache gewesen, wie er sehr gut
weiß.
Befliner Bürger Courier, Verlir
Morgeneusgeb
Ausschnitt aus:
18 MI
vom:
—
lund sie verbietet ihren Einwohnern, nach 7 Uhrf
abens einen Laden zu betreten, statt daß sie den Ge¬
Feuilleton
schäftsleuten nahelegte, Schichtendienst einzuführen und
ihren Laden womöglich bis Mitternacht offenzu¬
Wiener Brief.
halten. Und endlich: sie verbietet die Aufführung von
Von Hans Liebstoeckl.
Theaterstücken, weil sie sich der Kritik ihrer Ver¬
Der Krieg, den wir nicht geführt haben, ist be= hältnisse nicht gewachsen fühlt. Ich habe Schnitzlers
endigt. Der helle Frühling liegt über Wien, und die „Professor Bernhardi“ in Berlin und Leipzig-gesehen
Kurse steigen, als wäre nichts geschehen. Ein hübsches und muß gestehen, daß dieses Stück weder ganz wahr
Jubiläum lief sang= und klanglos vorbei, obgleich
ist, noch ganz unterhaltend. Die beiden Schlußakte
es vielleicht nützlich gewesen wäre, die Wiener an den
fallen senkrecht ab und münden in einen Witz, der
Tag zu erinnern, da, vor vierzig Jahren, der große
den Ernst der künstlich gezüchteten Konflikte mit
Krach ins Land zog. Der große Krach und die große einem Hauch wieder fortnimmt. Noch einmal: diese
Weltausstellung fielen zusammen, genau so wie jetzt Komödie ist alles eher denn wahrhaft. Diese Charak¬
der kleine Krach und die kleine Adriaausstellung zu=terlosigkeit en masse findet sich auch in Wien nicht,
sammenfallen. Vor vierzig Jahren spürte man
und die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, da man
beides, heute spürt man wohl auch, aber es gehört Juden verfolgen mußte, um einen Beweis für seine
zum guten Ton, nicht davon zu sprechen. Wir lächeln,
klerikale Gesinnung zu erbringen.
so wenig auch Anlaß dazu sein mag. In der Natur¬
Dieses Stück, das die besten Absichten verfolgt, ist
geschichte des Wieners spielt die Liebenswürdigkeit
ein Dokument verspäteter Empfindlichkeit. Merk¬
eine hervorragende Rolle. Der Wiener schläft und
würdig, daß auch Schnitzler Entwicklungen verschlafen
lächelt sogar im Schlaf. Wenn man von Deutschland konnte, die sich wohl unter der Oberfläche vollzogen
nach Hause kommt, ist es, als ginge man aufs Land; haben, die aber so feine Geister, wie diesem, kaum
so still ist's hier und so teuer, wie in einem fashio= verborgen bleiben dürfen. Es handelt sich nicht mehr
nablen Kurort. In Sachsen nennen sie's „neppen“,um zwei Weltanschauungen, die einander „gegen¬
bei uns „wurzen“, aber dort kennen sie's nur vom überstehen“ die eine Kluft trennt, und die trotzdem
Hörensagen, ghier aus schmerzlicher Erfahrung.
unaufhorlich das Bedürfnis haben, sich die Hand zu.
Wohnungen, Chauffeure, Maitressen sind kaum mehr
reichen, aus Artigkeit wenigstens. Sondern: auf
zu erschwingen. Skutari trägt keine Schuld daran,
beiden Ufern, wo man einst nur Wissenschaft und
denn das alles war schon lange vor Skutari da. Der
Religion sah — stehn heute längst ganz andere Land¬
Grund liegt wo anders. In der Einbildung, daß die
schaften: ein Wissen, das metaphysische Flügel aus¬
Wonne, in Wien zu leben, bisher zu billig erkauft spannt, eine Metaphysik, die mit wissenden Augen in
war, und wohl auch in der Gemütlichkeit, mit der diese Welt sieht. Das Kleine, Nebensächliche wird
Schnitzler zum Problem. Für seinen Arzt und seinen
wir alles ertragen, was uns geschickt wird. Die
besten Widerstände werden unter Titeln und Orden
Priester ist der Tod in gleicher Weise eine traurige
und ernste Angelegenheit. Aber schon flammt im
begraben. Die feinsten Köpfe schweigen, das demo¬
Osten die schöne Röte einer neuen Botschaft auf, die
kratische das Parlament des allgemeinen Wahl¬
rechtes lebt nur zum Scheine. Es tritt immer erst da sanft und milde spricht: der Tod ist ein Anfang,
meine Brüder. So werden der Arzt und der Priester
auf, wenn alles glücklich vorüber ist, und man kann
mit einem Male Figuren von Hehlern, und Schnitz¬
es der Regierung kaum verargen, daß sie so wenig
Sehnsucht hat, den Reichsrat wiederzusehen. Welchlers Stück wird ein Stück von Hehlern. Unsere
Zensur aber, die ein Stück von Vorgestern und leider
ein Schauspiel wär's gewesen, wenn unsere lieben
auch von Uebermorgen sein will, ruhrt durch ihre
Parlamentsslaven ihre brüderlichen Empfindungen
zarte und sinnige Naivität. Sie weiß von einem so
für jene hätten äußern dürfen, gegen die wir gerade
wenig wie som andern, und verbietet aus ihrem
im Begriff standen, das Schwert zu ziehen? Das
schleichende Gift, das der selige Graf Taaffe Oester= sicheren Instinkt, der für gefährlich hält, was man
reich eingab, um länger als Minister leben zu sich nicht erklären kann. Und rührender noch als diese
schöne heimische Naivität unserer „Gestrengen“ war
können, tut noch immer seine Wirkung. Die Zufrie¬
das Echo, das aus Ungarn herüberkam, und das
denheit des einen wird mit der Unzufriedenheit des
Schnitzler gleichfalls die Tür vor der Nase zuschlug.
andern bezahlt. Und Wien sieht zu; es ist politisch
Wir sind jetzt so zärtlich befreundet mit Ungarn, daß
bedeutungslos, es spielt keinerlei Rolle in diesem
es sich ohne zu zögern lächerlich macht, wenn wir uns
Wirrwarr, der bald mit dem Säbel rasselt, bald ein,
lächerlich gemacht haben. Unsere Theater wechseln
Ereignis daraus macht, daß eine klerikale Studenten¬
sich anmutig ab. Wien jubelt der Fedalt Särt zu
verbindung in Graz die verwunderliche Tatsache
und Budapest feiert die Zwerenz. Seit Ungarn
ihrer Existenz in lärmender Weise feiert. Wenn einer
Adah=Kaleh annektiert hat, freuen wir uns, weil
im Ausland von Wien hört, verklärt sich automatisch
wir daheim auch ein Gänsehäufel haben. Es fehlt
sein Gesicht. Ich habe immer wieder zu ergründen
nur noch, daß die Parlamente wechselseitig gastieren¬
versucht, woher das wohl kommen mag, aber das
Rätsel hat scheinbar keine Lösung. Walzer machen's
Der Dualismus blüht erst jetzt auf: zwei Seelen=und
kein Gedanke
doch nicht?! Und die „beste Verwaltung der Welt“
—
gewiß noch weniger, denn die besteht sicherlich nur
in der Phantasie unserer Ratsberren.
25. ProfessonBernhand1
Ausschnitt aus:
WIENER CARICATUREN
vom:
TL. MNRI
1
Viel Geserres wird jetzt mit dem ver¬
botenen „Professor Bernhardi“ ge¬
macht und wir glauben, daß man Artur
Schnitzler damit nicht nützt.
—im Ubrigen hätte der Autor der
„Liebelei“ guf-getan, nicht mit den
„Klerikalen“ anzubinden. Die ganze Sache
liegt ihm nicht und die Gründung der
Poliklinik ist überhaupt eine sehr pro¬
saische Sache gewesen, wie er sehr gut
weiß.
Befliner Bürger Courier, Verlir
Morgeneusgeb
Ausschnitt aus:
18 MI
vom:
—
lund sie verbietet ihren Einwohnern, nach 7 Uhrf
abens einen Laden zu betreten, statt daß sie den Ge¬
Feuilleton
schäftsleuten nahelegte, Schichtendienst einzuführen und
ihren Laden womöglich bis Mitternacht offenzu¬
Wiener Brief.
halten. Und endlich: sie verbietet die Aufführung von
Von Hans Liebstoeckl.
Theaterstücken, weil sie sich der Kritik ihrer Ver¬
Der Krieg, den wir nicht geführt haben, ist be= hältnisse nicht gewachsen fühlt. Ich habe Schnitzlers
endigt. Der helle Frühling liegt über Wien, und die „Professor Bernhardi“ in Berlin und Leipzig-gesehen
Kurse steigen, als wäre nichts geschehen. Ein hübsches und muß gestehen, daß dieses Stück weder ganz wahr
Jubiläum lief sang= und klanglos vorbei, obgleich
ist, noch ganz unterhaltend. Die beiden Schlußakte
es vielleicht nützlich gewesen wäre, die Wiener an den
fallen senkrecht ab und münden in einen Witz, der
Tag zu erinnern, da, vor vierzig Jahren, der große
den Ernst der künstlich gezüchteten Konflikte mit
Krach ins Land zog. Der große Krach und die große einem Hauch wieder fortnimmt. Noch einmal: diese
Weltausstellung fielen zusammen, genau so wie jetzt Komödie ist alles eher denn wahrhaft. Diese Charak¬
der kleine Krach und die kleine Adriaausstellung zu=terlosigkeit en masse findet sich auch in Wien nicht,
sammenfallen. Vor vierzig Jahren spürte man
und die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, da man
beides, heute spürt man wohl auch, aber es gehört Juden verfolgen mußte, um einen Beweis für seine
zum guten Ton, nicht davon zu sprechen. Wir lächeln,
klerikale Gesinnung zu erbringen.
so wenig auch Anlaß dazu sein mag. In der Natur¬
Dieses Stück, das die besten Absichten verfolgt, ist
geschichte des Wieners spielt die Liebenswürdigkeit
ein Dokument verspäteter Empfindlichkeit. Merk¬
eine hervorragende Rolle. Der Wiener schläft und
würdig, daß auch Schnitzler Entwicklungen verschlafen
lächelt sogar im Schlaf. Wenn man von Deutschland konnte, die sich wohl unter der Oberfläche vollzogen
nach Hause kommt, ist es, als ginge man aufs Land; haben, die aber so feine Geister, wie diesem, kaum
so still ist's hier und so teuer, wie in einem fashio= verborgen bleiben dürfen. Es handelt sich nicht mehr
nablen Kurort. In Sachsen nennen sie's „neppen“,um zwei Weltanschauungen, die einander „gegen¬
bei uns „wurzen“, aber dort kennen sie's nur vom überstehen“ die eine Kluft trennt, und die trotzdem
Hörensagen, ghier aus schmerzlicher Erfahrung.
unaufhorlich das Bedürfnis haben, sich die Hand zu.
Wohnungen, Chauffeure, Maitressen sind kaum mehr
reichen, aus Artigkeit wenigstens. Sondern: auf
zu erschwingen. Skutari trägt keine Schuld daran,
beiden Ufern, wo man einst nur Wissenschaft und
denn das alles war schon lange vor Skutari da. Der
Religion sah — stehn heute längst ganz andere Land¬
Grund liegt wo anders. In der Einbildung, daß die
schaften: ein Wissen, das metaphysische Flügel aus¬
Wonne, in Wien zu leben, bisher zu billig erkauft spannt, eine Metaphysik, die mit wissenden Augen in
war, und wohl auch in der Gemütlichkeit, mit der diese Welt sieht. Das Kleine, Nebensächliche wird
Schnitzler zum Problem. Für seinen Arzt und seinen
wir alles ertragen, was uns geschickt wird. Die
besten Widerstände werden unter Titeln und Orden
Priester ist der Tod in gleicher Weise eine traurige
und ernste Angelegenheit. Aber schon flammt im
begraben. Die feinsten Köpfe schweigen, das demo¬
Osten die schöne Röte einer neuen Botschaft auf, die
kratische das Parlament des allgemeinen Wahl¬
rechtes lebt nur zum Scheine. Es tritt immer erst da sanft und milde spricht: der Tod ist ein Anfang,
meine Brüder. So werden der Arzt und der Priester
auf, wenn alles glücklich vorüber ist, und man kann
mit einem Male Figuren von Hehlern, und Schnitz¬
es der Regierung kaum verargen, daß sie so wenig
Sehnsucht hat, den Reichsrat wiederzusehen. Welchlers Stück wird ein Stück von Hehlern. Unsere
Zensur aber, die ein Stück von Vorgestern und leider
ein Schauspiel wär's gewesen, wenn unsere lieben
auch von Uebermorgen sein will, ruhrt durch ihre
Parlamentsslaven ihre brüderlichen Empfindungen
zarte und sinnige Naivität. Sie weiß von einem so
für jene hätten äußern dürfen, gegen die wir gerade
wenig wie som andern, und verbietet aus ihrem
im Begriff standen, das Schwert zu ziehen? Das
schleichende Gift, das der selige Graf Taaffe Oester= sicheren Instinkt, der für gefährlich hält, was man
reich eingab, um länger als Minister leben zu sich nicht erklären kann. Und rührender noch als diese
schöne heimische Naivität unserer „Gestrengen“ war
können, tut noch immer seine Wirkung. Die Zufrie¬
das Echo, das aus Ungarn herüberkam, und das
denheit des einen wird mit der Unzufriedenheit des
Schnitzler gleichfalls die Tür vor der Nase zuschlug.
andern bezahlt. Und Wien sieht zu; es ist politisch
Wir sind jetzt so zärtlich befreundet mit Ungarn, daß
bedeutungslos, es spielt keinerlei Rolle in diesem
es sich ohne zu zögern lächerlich macht, wenn wir uns
Wirrwarr, der bald mit dem Säbel rasselt, bald ein,
lächerlich gemacht haben. Unsere Theater wechseln
Ereignis daraus macht, daß eine klerikale Studenten¬
sich anmutig ab. Wien jubelt der Fedalt Särt zu
verbindung in Graz die verwunderliche Tatsache
und Budapest feiert die Zwerenz. Seit Ungarn
ihrer Existenz in lärmender Weise feiert. Wenn einer
Adah=Kaleh annektiert hat, freuen wir uns, weil
im Ausland von Wien hört, verklärt sich automatisch
wir daheim auch ein Gänsehäufel haben. Es fehlt
sein Gesicht. Ich habe immer wieder zu ergründen
nur noch, daß die Parlamente wechselseitig gastieren¬
versucht, woher das wohl kommen mag, aber das
Rätsel hat scheinbar keine Lösung. Walzer machen's
Der Dualismus blüht erst jetzt auf: zwei Seelen=und
kein Gedanke
doch nicht?! Und die „beste Verwaltung der Welt“
—
gewiß noch weniger, denn die besteht sicherlich nur
in der Phantasie unserer Ratsberren.