n chemmee
Krach ins Land zog. Der große Krach und die große seinem Hauch wieder fortnimmt. Noch einmal: diese
Weltausstellung fielen zusammen, genau so wie jetzt Komödie ist alles eher denn wahrhaft. Diese Charak¬
der kleine Krach und die kleine Adriaausstellung zu=Iterlosigkeit en masse findet sich auch in Wien nicht,
sammenfallen. Vor vierzig Jahren spürte man
und die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, da man
beides, heute spürt man wohl auch, aber es gehört
Juden verfolgen mußte, um einen Beweis für seine
zum guten Ton, nicht davon zu sprechen. Wir lächeln,
klerikale Gesinnung zu erbringen.
so wenig auch Anlaß dazu sein mag. In der Natur¬
Dieses Stück, das die besten Absichten verfolgt, ist
geschichte des Wieners spielt die Liebenswürdigkeit
ein Dokument verspäteter Empfindlichkeit. Merk¬
eine hervorragende Rolle. Der Wiener schläft und
würdig, daß auch Schnitzler Entwicklungen verschlafen
lächelt sogar im Schlaf. Wenn man von Deutschland
konnte, die sich wohl unter der Oberfläche vollzogen
nach Hause kommt, ist es, als ginge man aufs Land;haben, die aber so feine Geister, wie diesem, kaum
so still ist's hier und so teuer, wie in einem fashio¬
verborgen bleiben dürfen. Es handelt sich nicht mehr
nablen Kurort. In Sachsen nennen sie's „neppen“ um zwei Weltanschauungen, die einander „gegen¬
bei uns „wurzen“, aber dort kennen sie's nur vom überstehen“ die eine Kluft trennt, und die trotzdem
Hörensagen, ghier aus schmerzlicher Erfahrung.
unaufhörlich das Bedürfnis haben, sich die Hand zu
Wohnungen, Chauffeure, Maitressen sind kaum mehr
reichen, aus Artigkeit wenigstens. Sondern: auf
zu erschwingen. Skutari trägt keine Schuld daran,
beiden Ufern, wo man einst nur Wissenschaft und
denn das alles war schon lange vor Skutari da. Der
Religion sah — stehn heute längst ganz andere Land¬
Grund liegt wo anders. In der Einbildung, daß die
schaften: ein Wissen, das metaphysische Flügel aus¬
Wonne, in Wien zu leben, bisher zu billig erkauft
spannt, eine Metaphysik, die mit wissenden Augen in
war, und wohl auch in der Gemütlichkeit, mit der diese Welt sieht. Das Kleine, Nebensächliche wird
wir alles ertragen, was uns geschickt wird. Die Schnitzler zum Problem. Für seinen Arzt und seinen
Priester ist der Tod in gleicher Weise eine traurige
besten Widerstände werden unter Titeln und Orden
und ernste Angelegenheit. Aber schon flammt im
begraben. Die feinsten Köpfe schweigen, das demo¬
kratische das Parlament des allgemeinen Wahl= Osten die schöne Röte einer neuen Botschaft auf, die
rechtes lebt nur zum Scheine. Es tritt immer erst
da sanft und milde spricht: der Tod ist ein Anfang,
auf, wenn alles glücklich vorüber ist, und man kann
meine Brüder. So werden der Arzt und der Priester
mit einem Male Figuren von Hehlern, und Schnitz¬
es der Regierung kaum verargen, daß sie so wenig
lers Stück wird ein Stück von Hehlern. Unsere
Sehnsucht hat, den Reichsrat wiederzusehen. Welch
ein Schauspiel wär's gewesen, wenn unsere lieben Zensur aber, die ein Stück von Vorgestern und leider
Parlamentsslaven ihre brüderlichen Empfindungen
auch von Uebermorgen sein will, rührt durch ihre
für jene hätten äußern dürfen, gegen die wir gerade
zarte und sinnige Naivität. Sie weiß von einem so
wenig wie vom andern, und verbietet aus ihrem
im Begriff standen, das Schwert zu ziehen? Das
sicheren Instinkt, der für gefährlich hält, was man
schleichende Gift, das der selige Graf Taaffe Oester¬
sich nicht erklären kann. Und rührender noch als diese
reich eingab, um länger als Minister leben zu
schöne heimische Naivität unserer „Gestrengen“ war
können, tut noch immer seine Wirkung. Die Zufrie¬
das Echo, das aus Ungarn herüberkam, und das
denheit des einen wird mit der Unzufri denheit des
Schnitzler gleichfalls die Tür vor der Nase zuschlug.
andern bezahlt. Und Wien sieht zu; es ist politisch
bedeutungslos, es spielt keinerlei Rolle in diesem
Wir sind jetzt so zärtlich befreundet mit Ungarn, daß
Wirrwarr, der bald mit dem Säbel rasselt, bald ein,
es sich ohne zu zögern lächerlich macht, wenn wir uns
Ereignis daraus macht, daß eine klerikale Studenten¬
lächerlich gemacht haben. Unsere Theater wechseln
verbindung in Graz die verwunderliche Tatsache
sich anmutig ab. Wien jubelt der Fedalt Säri zu
ihrer Existenz in lärmender Weise feiert. Wenn einer
und Budapest feiert die Zwerenz. Seit Ungarn
Adah=Kaleh annektiert hat, freuen wir uns, weil
im Ausland von Wien hört, verklärt sich automatisch
wir daheim auch ein Gänsehäufel haben. Es fehlt
sein Gesicht. Ich habe immer wieder zu ergründen
nur noch, daß die Parlamente wechselseitig gastieren¬
versucht, woher das wohl kommen mag, aber das
Rätsel hat scheinbar keine Lösung. Walzer machen's
Der Dualismus blüht erst jetzt auf: zwei Seelen=und
kein Gedanke
doch nicht?! Und die „beste Verwaltung der Welt“
gewiß noch weniger, denn die besteht sicherlich nur
in der Phantasie unserer Ratsherren. Ein amerika¬
•
n enelt er hen eene Sashernen
nischer Reiseschriftsteller, Herr Hunker, hat kürzlich
ein Buch geschrieben darin er seine Leser dringend
bittet, mit dem nächsten Orientexpreßzug nach Wien
zu fahren. „Genießen Sie“ ruft er enthusiastisch,
„diese wunderbare Stadt, denn sie ist großartig!“
Hinterdrein stellt sich heraus, was dieser Herr
Hunker in Wien gesehen hat. Zunächst: er
war
mit dem Essen zufrieden. Der Apfelstrudel! Der
Kaiserschmarrn! Der Kaffee! Und dann: Wien
ist so ungeheuer fröhlich! Wien ist die Hauptstadt des
Optimismus, vom Wiener Walzer aus gesehen!
Zuguterletzt: Die schönen Frauen und Mädchen!
Der Walzer, die „Madeln“ und der Apfelstrudel:
daraus besteht für den Ausländer Wien. Herr
Hunker ist grausam. Aber schließlich: er hat recht.
Soll er die Reden rühmen, die er im Parlament ge¬
hört hat? Oder die Operette, die er sah? Oder den
kleinen Stellwagen, darin der Wiener Optimismus
spazieren fährt? Oder die ganze unerträgliche Art,
über Kunst und alle wertvollen menschlichen Dinge
zu „schmocken“ die jetzt in Wien obenauf ist? Den
Neulerchenfelder Snobismus, diese „verflixte“
Wiener „Büldung“, die dem Wiener anfliegt und die
aus keinem nennenswerten modernen Triebe her¬
kommt? Diesen wütenden Ansturm gegen alle die
alten, guten, deutschen Häuser, die jetzt durch die
scheußlichsten und unwienerischsten Gebäude ver¬
drängt werden? ...
Das Wien, das einmal war, borgt seinen Glanz.
Der Widerschein vergangener großer Zeiten gibt
dieser liebenswürdigen, unbedeutenden und schwatz¬
haften Stadt ihren Wert. Sie zehrt vom gewesenen
Ruhme, sie lebt vom alten Vertrauen. Sie ruht im
Kaffeehause und wartet auf sich selbst. Sie ist das
Paradies aller kleinen und mäßig talentierten Leute,
die was „werden“ wollen und richtig auch werden,
und die doch niemals etwas sind. Sie ist die Stadt
der Stars, der Operettenjubiläen und der uner¬
schöpflichen Personenverzeichnisse, die Stadt der
Rundgänge und Ansprachen, der beliebten „Lyriker“
und des süßen Tratsches. Sie trägt das geschickt nach¬
gemachte Kleid einer Weltdame, der das Herz einer
Provinzlerin unter dem üppigen Busen schlägt; sic
fährt auf elendem Pflaster nach den teuersten Tarifen,
Krach ins Land zog. Der große Krach und die große seinem Hauch wieder fortnimmt. Noch einmal: diese
Weltausstellung fielen zusammen, genau so wie jetzt Komödie ist alles eher denn wahrhaft. Diese Charak¬
der kleine Krach und die kleine Adriaausstellung zu=Iterlosigkeit en masse findet sich auch in Wien nicht,
sammenfallen. Vor vierzig Jahren spürte man
und die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, da man
beides, heute spürt man wohl auch, aber es gehört
Juden verfolgen mußte, um einen Beweis für seine
zum guten Ton, nicht davon zu sprechen. Wir lächeln,
klerikale Gesinnung zu erbringen.
so wenig auch Anlaß dazu sein mag. In der Natur¬
Dieses Stück, das die besten Absichten verfolgt, ist
geschichte des Wieners spielt die Liebenswürdigkeit
ein Dokument verspäteter Empfindlichkeit. Merk¬
eine hervorragende Rolle. Der Wiener schläft und
würdig, daß auch Schnitzler Entwicklungen verschlafen
lächelt sogar im Schlaf. Wenn man von Deutschland
konnte, die sich wohl unter der Oberfläche vollzogen
nach Hause kommt, ist es, als ginge man aufs Land;haben, die aber so feine Geister, wie diesem, kaum
so still ist's hier und so teuer, wie in einem fashio¬
verborgen bleiben dürfen. Es handelt sich nicht mehr
nablen Kurort. In Sachsen nennen sie's „neppen“ um zwei Weltanschauungen, die einander „gegen¬
bei uns „wurzen“, aber dort kennen sie's nur vom überstehen“ die eine Kluft trennt, und die trotzdem
Hörensagen, ghier aus schmerzlicher Erfahrung.
unaufhörlich das Bedürfnis haben, sich die Hand zu
Wohnungen, Chauffeure, Maitressen sind kaum mehr
reichen, aus Artigkeit wenigstens. Sondern: auf
zu erschwingen. Skutari trägt keine Schuld daran,
beiden Ufern, wo man einst nur Wissenschaft und
denn das alles war schon lange vor Skutari da. Der
Religion sah — stehn heute längst ganz andere Land¬
Grund liegt wo anders. In der Einbildung, daß die
schaften: ein Wissen, das metaphysische Flügel aus¬
Wonne, in Wien zu leben, bisher zu billig erkauft
spannt, eine Metaphysik, die mit wissenden Augen in
war, und wohl auch in der Gemütlichkeit, mit der diese Welt sieht. Das Kleine, Nebensächliche wird
wir alles ertragen, was uns geschickt wird. Die Schnitzler zum Problem. Für seinen Arzt und seinen
Priester ist der Tod in gleicher Weise eine traurige
besten Widerstände werden unter Titeln und Orden
und ernste Angelegenheit. Aber schon flammt im
begraben. Die feinsten Köpfe schweigen, das demo¬
kratische das Parlament des allgemeinen Wahl= Osten die schöne Röte einer neuen Botschaft auf, die
rechtes lebt nur zum Scheine. Es tritt immer erst
da sanft und milde spricht: der Tod ist ein Anfang,
auf, wenn alles glücklich vorüber ist, und man kann
meine Brüder. So werden der Arzt und der Priester
mit einem Male Figuren von Hehlern, und Schnitz¬
es der Regierung kaum verargen, daß sie so wenig
lers Stück wird ein Stück von Hehlern. Unsere
Sehnsucht hat, den Reichsrat wiederzusehen. Welch
ein Schauspiel wär's gewesen, wenn unsere lieben Zensur aber, die ein Stück von Vorgestern und leider
Parlamentsslaven ihre brüderlichen Empfindungen
auch von Uebermorgen sein will, rührt durch ihre
für jene hätten äußern dürfen, gegen die wir gerade
zarte und sinnige Naivität. Sie weiß von einem so
wenig wie vom andern, und verbietet aus ihrem
im Begriff standen, das Schwert zu ziehen? Das
sicheren Instinkt, der für gefährlich hält, was man
schleichende Gift, das der selige Graf Taaffe Oester¬
sich nicht erklären kann. Und rührender noch als diese
reich eingab, um länger als Minister leben zu
schöne heimische Naivität unserer „Gestrengen“ war
können, tut noch immer seine Wirkung. Die Zufrie¬
das Echo, das aus Ungarn herüberkam, und das
denheit des einen wird mit der Unzufri denheit des
Schnitzler gleichfalls die Tür vor der Nase zuschlug.
andern bezahlt. Und Wien sieht zu; es ist politisch
bedeutungslos, es spielt keinerlei Rolle in diesem
Wir sind jetzt so zärtlich befreundet mit Ungarn, daß
Wirrwarr, der bald mit dem Säbel rasselt, bald ein,
es sich ohne zu zögern lächerlich macht, wenn wir uns
Ereignis daraus macht, daß eine klerikale Studenten¬
lächerlich gemacht haben. Unsere Theater wechseln
verbindung in Graz die verwunderliche Tatsache
sich anmutig ab. Wien jubelt der Fedalt Säri zu
ihrer Existenz in lärmender Weise feiert. Wenn einer
und Budapest feiert die Zwerenz. Seit Ungarn
Adah=Kaleh annektiert hat, freuen wir uns, weil
im Ausland von Wien hört, verklärt sich automatisch
wir daheim auch ein Gänsehäufel haben. Es fehlt
sein Gesicht. Ich habe immer wieder zu ergründen
nur noch, daß die Parlamente wechselseitig gastieren¬
versucht, woher das wohl kommen mag, aber das
Rätsel hat scheinbar keine Lösung. Walzer machen's
Der Dualismus blüht erst jetzt auf: zwei Seelen=und
kein Gedanke
doch nicht?! Und die „beste Verwaltung der Welt“
gewiß noch weniger, denn die besteht sicherlich nur
in der Phantasie unserer Ratsherren. Ein amerika¬
•
n enelt er hen eene Sashernen
nischer Reiseschriftsteller, Herr Hunker, hat kürzlich
ein Buch geschrieben darin er seine Leser dringend
bittet, mit dem nächsten Orientexpreßzug nach Wien
zu fahren. „Genießen Sie“ ruft er enthusiastisch,
„diese wunderbare Stadt, denn sie ist großartig!“
Hinterdrein stellt sich heraus, was dieser Herr
Hunker in Wien gesehen hat. Zunächst: er
war
mit dem Essen zufrieden. Der Apfelstrudel! Der
Kaiserschmarrn! Der Kaffee! Und dann: Wien
ist so ungeheuer fröhlich! Wien ist die Hauptstadt des
Optimismus, vom Wiener Walzer aus gesehen!
Zuguterletzt: Die schönen Frauen und Mädchen!
Der Walzer, die „Madeln“ und der Apfelstrudel:
daraus besteht für den Ausländer Wien. Herr
Hunker ist grausam. Aber schließlich: er hat recht.
Soll er die Reden rühmen, die er im Parlament ge¬
hört hat? Oder die Operette, die er sah? Oder den
kleinen Stellwagen, darin der Wiener Optimismus
spazieren fährt? Oder die ganze unerträgliche Art,
über Kunst und alle wertvollen menschlichen Dinge
zu „schmocken“ die jetzt in Wien obenauf ist? Den
Neulerchenfelder Snobismus, diese „verflixte“
Wiener „Büldung“, die dem Wiener anfliegt und die
aus keinem nennenswerten modernen Triebe her¬
kommt? Diesen wütenden Ansturm gegen alle die
alten, guten, deutschen Häuser, die jetzt durch die
scheußlichsten und unwienerischsten Gebäude ver¬
drängt werden? ...
Das Wien, das einmal war, borgt seinen Glanz.
Der Widerschein vergangener großer Zeiten gibt
dieser liebenswürdigen, unbedeutenden und schwatz¬
haften Stadt ihren Wert. Sie zehrt vom gewesenen
Ruhme, sie lebt vom alten Vertrauen. Sie ruht im
Kaffeehause und wartet auf sich selbst. Sie ist das
Paradies aller kleinen und mäßig talentierten Leute,
die was „werden“ wollen und richtig auch werden,
und die doch niemals etwas sind. Sie ist die Stadt
der Stars, der Operettenjubiläen und der uner¬
schöpflichen Personenverzeichnisse, die Stadt der
Rundgänge und Ansprachen, der beliebten „Lyriker“
und des süßen Tratsches. Sie trägt das geschickt nach¬
gemachte Kleid einer Weltdame, der das Herz einer
Provinzlerin unter dem üppigen Busen schlägt; sic
fährt auf elendem Pflaster nach den teuersten Tarifen,