S
25 Bernhandi
14
Bernhardi fühlt sich von alledem angeekelt oder zum
Lachen gereizt.
Professor Bernhardi steht jetzt in jeder Beziehung
fleckenlos da. Die Krankenschwester Ludmilla hat ihre
frühere Aussage — von ihrem Gewissen gepeinigt — wider¬
rufen; über den verlogenen Hochroitzpointner bricht eben¬
falls das Schicksal herein. Nun soll die ganze Angelegen¬
heit noch einmal aufgerollt und Bernhardi volle Gerechtig¬
keit verschafft werden; er verzichtet aber darauf, mitzumachen:
„Soll ich den ganzen Schwindel noch einmal mitmachen?
Jetzt in anderer Beleuchtung? Alle vernünftigen Menschen
wissen doch, daß ich unschuldig gesessen bin, und die zwei
Monate, die nimmt mir ja doch keiner ab. Ich bin im¬
stande und stelle der Schwester Ludmilla ein Gutachten aus,
daß sie schwer hysterisch und unzurechnungsfähig ist. Was
ich schon davon habe, wenn diese Person nachträglich ein¬
gesperrt wird. — Ich verzichte auf die wohltätigen Folgen.
Ich will meine Ruhe haben! Und wenn es zu einem zweiten
Prozeß kommt, meine Aussage aus dem ersten liegt vor,
ich habe ihr nichts hinzuzufügen.“ — Wir erfahren noch
zum Schluß, daß es mit den Finanzen des Elisabethinums
unter der Leitung Ebenwalds schlecht steht; allerdings hätten
wir dem Dichter gern diese billige Hervorhebung der Ver¬
dienste seines Helden erlassen; er hätte sie nicht nötig gehabt.
Viel wichtiger ist es uns, daß ein gefestigter Charakter
wie der Bernhardis, der aber doch nicht zum Reformator
taugt, weil er nicht kampfesfroh genug ist, — viel wichtiger
ist es, daß der Dichter diesen Charakter mit einem leichten
ironischen Klaps entläßt. Warum, lieber Bernhardi, hast
du den Lärm und diese Komödie veranlaßt, da du doch so
vornehm leise auftrittst und ein Feind des Trubels bist, du,
der du bei der Abfassung einer zornigen Broschüre über
deine Affäre ganz allmählich in das philosophische Thema
box 31/7
19
von Verantwortung und Offenbarung und von der Willens¬
freiheit hineingerätst? Siehst du nicht, lieber Bernhardi,
daß du immer bei dem Spinozistischen „Alles verstehen
heißt alles verzeihen“ anlangen wirst und damit Haß und
Liebe und — nach Ansicht des Hofrats — den Reiz des
Lebens, nach unserer Auffassung auch den Reiz des Dramas
aufgibst? Nun mußt du dir von dem Hofrat sagen lassen,
daß es das beste, ja das einzig anständige ist, wenn man
sich in solche Geschichten nicht hineinmischt. Bernhardi ist
zuletzt unbestrittener Sieger, aber ein Sieger, der noch eine
Lehre mit auf den Weg zu nehmen hat.
Hofrat. Es kommt nichts dabei heraus. Was hätten
Sie denn am End' damit erreicht, mein lieber Pro¬
fessor, wenn Sie der armen Person auf dem Sterbe¬
bett einen letzten Schrecken erspart hätten —? Das
kommt mir grad' so vor, wie wenn einer die soziale
Frage lösen wollte, indem er einem armen Kerl eine
Villa zum Präsent macht.
Bernhardi. Sie vergessen nur das eine, lieber Herr
Hofrat, wie die meisten übrigen Leute, daß ich ja nicht
im entferntesten daran gedacht habe, irgendeine Frage
lösen zu wollen. Ich habe einfach in einem ganz
speziellen Fall getan, was ich für das Richtige hielt.
Hofrat. Das war eben das Gefehlte. Wenn man
immerfort das Richtige täte, oder vielmehr, wenn
man nur einmal in der Früh', so ohne sich's weiter
zu überlegen, anfing', das Richtige zu tun und so in
einem fort den ganzen Tag lang das Richtige, so säße
man sicher noch vor dem Nachtmahl im Kriminal.
Bernhardi. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Herr
Hofrat? Sie in meinem Fall hätten genau so ge¬
handelt.
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Bernhardi fühlt sich von alledem angeekelt oder zum
Lachen gereizt.
Professor Bernhardi steht jetzt in jeder Beziehung
fleckenlos da. Die Krankenschwester Ludmilla hat ihre
frühere Aussage — von ihrem Gewissen gepeinigt — wider¬
rufen; über den verlogenen Hochroitzpointner bricht eben¬
falls das Schicksal herein. Nun soll die ganze Angelegen¬
heit noch einmal aufgerollt und Bernhardi volle Gerechtig¬
keit verschafft werden; er verzichtet aber darauf, mitzumachen:
„Soll ich den ganzen Schwindel noch einmal mitmachen?
Jetzt in anderer Beleuchtung? Alle vernünftigen Menschen
wissen doch, daß ich unschuldig gesessen bin, und die zwei
Monate, die nimmt mir ja doch keiner ab. Ich bin im¬
stande und stelle der Schwester Ludmilla ein Gutachten aus,
daß sie schwer hysterisch und unzurechnungsfähig ist. Was
ich schon davon habe, wenn diese Person nachträglich ein¬
gesperrt wird. — Ich verzichte auf die wohltätigen Folgen.
Ich will meine Ruhe haben! Und wenn es zu einem zweiten
Prozeß kommt, meine Aussage aus dem ersten liegt vor,
ich habe ihr nichts hinzuzufügen.“ — Wir erfahren noch
zum Schluß, daß es mit den Finanzen des Elisabethinums
unter der Leitung Ebenwalds schlecht steht; allerdings hätten
wir dem Dichter gern diese billige Hervorhebung der Ver¬
dienste seines Helden erlassen; er hätte sie nicht nötig gehabt.
Viel wichtiger ist es uns, daß ein gefestigter Charakter
wie der Bernhardis, der aber doch nicht zum Reformator
taugt, weil er nicht kampfesfroh genug ist, — viel wichtiger
ist es, daß der Dichter diesen Charakter mit einem leichten
ironischen Klaps entläßt. Warum, lieber Bernhardi, hast
du den Lärm und diese Komödie veranlaßt, da du doch so
vornehm leise auftrittst und ein Feind des Trubels bist, du,
der du bei der Abfassung einer zornigen Broschüre über
deine Affäre ganz allmählich in das philosophische Thema
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von Verantwortung und Offenbarung und von der Willens¬
freiheit hineingerätst? Siehst du nicht, lieber Bernhardi,
daß du immer bei dem Spinozistischen „Alles verstehen
heißt alles verzeihen“ anlangen wirst und damit Haß und
Liebe und — nach Ansicht des Hofrats — den Reiz des
Lebens, nach unserer Auffassung auch den Reiz des Dramas
aufgibst? Nun mußt du dir von dem Hofrat sagen lassen,
daß es das beste, ja das einzig anständige ist, wenn man
sich in solche Geschichten nicht hineinmischt. Bernhardi ist
zuletzt unbestrittener Sieger, aber ein Sieger, der noch eine
Lehre mit auf den Weg zu nehmen hat.
Hofrat. Es kommt nichts dabei heraus. Was hätten
Sie denn am End' damit erreicht, mein lieber Pro¬
fessor, wenn Sie der armen Person auf dem Sterbe¬
bett einen letzten Schrecken erspart hätten —? Das
kommt mir grad' so vor, wie wenn einer die soziale
Frage lösen wollte, indem er einem armen Kerl eine
Villa zum Präsent macht.
Bernhardi. Sie vergessen nur das eine, lieber Herr
Hofrat, wie die meisten übrigen Leute, daß ich ja nicht
im entferntesten daran gedacht habe, irgendeine Frage
lösen zu wollen. Ich habe einfach in einem ganz
speziellen Fall getan, was ich für das Richtige hielt.
Hofrat. Das war eben das Gefehlte. Wenn man
immerfort das Richtige täte, oder vielmehr, wenn
man nur einmal in der Früh', so ohne sich's weiter
zu überlegen, anfing', das Richtige zu tun und so in
einem fort den ganzen Tag lang das Richtige, so säße
man sicher noch vor dem Nachtmahl im Kriminal.
Bernhardi. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Herr
Hofrat? Sie in meinem Fall hätten genau so ge¬
handelt.