II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 914

25 Professer Bernhandi
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„Was mich vor Gericht verstummen ließ, das war die mit
der Kraft göttlicher Erleuchtung in mir hervorbrechende
Einsicht, daß ich durch ein Wort mehr einer wahrhaft
heiligen, ja, der mir heiligsten Sache unermeßlichen Schaden
zugefügt hätte. Hätte ich Ihnen öffentlich nicht nur Ihre
gute Absicht zugestanden, worin ich schon weiterging, als
mir manche Wohldenkende verzeihen werden, sondern es
überdies als Ihr Recht erkannt, mich von dem Bett einer
Sterbenden, einer Christin, einer Sünderin, fortzuweisen,
so hätten die Feinde unserer heiligen Kirche eine solche Er¬
klärung weit über das Maß ausgenützt, für das ich die
Verantwortung hätte übernehmen können. Denn wir haben
nicht nur loyale Feinde, Herr Professor, wie Ihnen gewiß
nicht unbekannt sein wird. Und die geringfügige Wahrheit,
die ich ausgesprochen hätte, wäre dadurch in einem höhern
Sinne Lüge geworden. Und was wäre das Resultat ge¬
wesen? Nicht etwa als ein allzu Nachsichtiger, nein, als
ein Abtrünniger, als ein Verräter wäre ich vor denjenigen
gestanden, denen ich Rechenschaft und Gehorsam schuldig
bin — und vor meinem Gotte selber. Darum habe ich
nicht gesprochen.“ Für ihn ist nicht die Wahrheit die
heiligste Sache, sondern die Kirche; die Wahrheit ist ihm not¬
wendigerweise nur eine private Angelegenheit des Herzens;
seine öffentliche Überzeugung wird von den Interessen seiner
Kirche bestimmt. Wenn wir einen Vergleich mit Flint an
dieser Stelle ziehen wollen, so können wir sagen, der
Staatsmann ist ein Jesuit aus Eigennutz, der Pfarrer ein
Jesuit aus höherer Überzeugung. Während wir den einen
verachten, müssen wir dem andern seinen ehrlichen Glauben
zugute halten, wenn wir uns auch Bernhardis Ansicht an¬
schließen werden: „Lassen Sie mich hoffen, daß Sie nie¬
mals in die Lage kommen werden, öffentlich in einer Sache
auszusagen, wo mehr auf dem Spiele stünde als — mein
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geringes Schicksal. Denn es könnte sich ja fügen, daß Sie
auch dann, was mir als Ihr höchst persönliches Bedenken
erscheint, als göttliche Erleuchtung empfänden, und daß
damit eine noch höhere Wahrheit zu schaden käme, als die
ist, die Sie glauben vertreten und schützen zu müssen.“ Es
führt keine Brücke von dem katholischen Pfarrer zu dem
freidenkenden Juden. Und doch findet sich für einen
Augenblick Mensch zu Mensch. Bewegt von einer hier
offen einherstürmenden, dort gläubig in den Schlaf ge¬
sungenen Ehrlichkeit, — in der in einem unbewachten Augen¬
blick gemachten Erkenntnis, daß es etwas im Menschen¬
herzen gibt, das über alle kirchlichen Abweichungen hinweg
den Weg zur Wahrheit und Güte findet, reichen sich die
beiden Männer die Hand:
Pfarrer. Wenn es sich so unüberbrückbar — so abgrund¬
tief auftut zwischen zwei Männern wie — Sie und ich,
die ja vielleicht beide ... ohne (lächelnd) Feindseligkeit
sein mögen, dann muß das wohl seine tieferen Ur¬
sachen haben. Und ich sehe diese Ursache darin, daß
immerhin zwischen Glaube und Zweifel eine Ver¬
ständigung möglich sein dürfte — nicht aber zwischen
Demut und — Sie werden das Wort nicht mißver¬
stehen, wenn Sie sich mancher Ihrer früheren Auße¬
rungen erinnern — zwischen Demut — und Ver¬
messenheit.
Bernhardi. Vermessenheit —?! Und Sie, Hoch¬
würden, dem sich für das, was Sie auf dem Grund
meiner Seele vermuten, kein — milderes Wort dar¬
bietet, Sie glauben sich frei von — Feindseligkeit gegen
Männer meiner Art?
Pfarrer (will zuerst etwas heftig werden, — nach kurzer Samm¬
lung mit kaum merklichem Lächeln) Ich weiß mich frei.
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