II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 915

25. ProfesserBernhand
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Mir, Herr Professor, gebietet meine Religion, auch die
zu lieben, die mich hassen.
Bernhardi (stark) Und mir die meine, Hochwürden —
oder das, was an ihrer Stelle in meine Brust gesenkt
ist — auch dort zu verstehen, wo ich nicht verstanden
werde.
Pfarrer. Ich zweifle nicht an Ihrem guten Willen.
Aber das Verstehen, Herr Professor, hat seine Grenzen.
Wo der menschliche Geist waltet — Sie haben es
gewiß selbst oft genug erfahren — gibt es Trug und
Irrtum. Was nicht trügt — Menschen meiner Art
nicht zu trügen vermag — ist — (zögert) ich will lieber
gleich ein Wort wählen, gegen das auch Sie nichts
werden einzuwenden haben, Herr Professor, ist — das
innere Gefühl.
Bernhardi. Wollen wir's denn so nennen, Hoch¬
würden. Diesem inneren Gefühl, wenn es auch in
meine Seele aus andern Quellen fließen dürfte —
dem versuche ja auch ich zu vertrauen. Was bleibt
uns allen am Ende anderes übrig? Und wenn es ...
unsereinem nicht so leicht wird, wie Männern Ihrer
Art, Hochwürden, — Gott, der Sie — so demütig
schuf, und mich — so vermessen, dieser — unbegreif¬
liche Gott wird schon seine Gründe dafür haben.
Pfarrer (sieht ihn lange an — dann, mit einem plötzlichen
Eutschluß streckt er ihm die Hand entgegen).
Bernhardi (zögernd, ganz wenig lächelnd) Über — den
Abgrund, Hochwürden?
Pfarrer. Lassen Sie uns — nicht hinabschauen —
für einen Augenblick!
Bernhardi (reicht ihm die Hand).
Pfarrer. Leben Sie wohl, Herr Professor! — (Er geht.)
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Diese Komödie ist in gewissem Sinne eine moderne
Auflage von Lessings „Nathan dem Weisen“. Der geistige
Gehalt und die Nathan=Erkenntnis, der der Dichter An¬
erkennung verschaffen will, möge noch durch die Worte des
jungen Pflugfelder charakterisiert sein: „Und Antisemit.
Jawohl, Herr Dozent. Bin's sogar noch immer, im all¬
gemeinen. Nur bin ich seither auch Antiarier geworden.
Ich finde, die Menschen sind im ailgemeinen eine recht
mangelhafte Gesellschaft, und ich halte mich an die wenigen
Ausnahmen da und dort.“
Man hat gesagt, die Aufführung der Komödie „Pro¬
fessor Bernhardi“ sei verboten worden, weil das Stück auf
der Bühne wegen seiner berechtigten Kritik Stürme des
Beifalls ausgelöst haben würde. Ich bin nicht dieser An¬
sicht. Der Schwerpunkt der Komödie liegt zu sehr im
Geistigen; die Kritik ist zwar scharf und gerecht, aber zu
fein ausgemünzt, als daß sie übermäßige Bühnenwirkungen
auslösen könnte. Schnitzler verfügt ja nicht über die rohe
Holzschnittmanier seines österreichischen Kollegen Karl Schön¬
herr, der mit weniger geistigem Gehalt drastischer zu wirken
versteht. Die Komödie „Professor Bernhardi“ ist für mich
vor allem ein gutes Buch, ebenso wie Lessings „Nathan der
Weise“. Ich spreche damit keinen Tadel aus, im Gegenteil;
denn nicht alles, was in das Licht der Rampe gezerrt wird
und vielleicht „wirkt“, ist es wert, daß man seine Gedanken
zu ihm zurückwandern läßt.
B