II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 15


rrfren
denkliche und gleichmütige Gespräche über den Tod
und stellt Vermutungen über die Ursache des Selbst¬
mordes auf. Man glaubt allgemein, der Planist
habe sich aus unbefriedigtem Ehrgeiz das Leben ge¬
nommen. Nur Hofreiter ahnt einen andern Grund.
In einem Gespräch mit seiner Frau wird die Ahnung
zur Gewißheit. Der Pianist hat sich aus unglück¬
licher, hoffnungsloser Liebe zu Genia umgebracht
Sie selbst zeigt ihrem Mann einen Brief, den der
Pionist eine Stunde vor seinem Selbstmord an sie
gerichtet hat. In den übrigen Szenen des ersten
Aktes werden die sonstigen Figuren des Stückes ein¬
geführt: eine Frau Wahl und ihre Tochter Erna, ein
junges, kluges Mädchen, eine Schauspielerin und ihr
Sohn Otto, ein junger, sympathischer Marinesähn¬
rich, und ein Arzt Dr. Mauer. Hauptsächlich wird
aber das Verhältnis der beiden Ehegatten zueinander
charakterisiert; er betrügt sie fortwährend, und sie er¬
fährt alles. Aber es ist ihr egal; denn sie denkt
nicht daron, sich zu rächen. Aber Hofreiter, ein merk¬
würdiger, komplizierter Mensch, kann die Episode
mit dem Pianisten nicht vergessen. Es ist ihm ein
unerträglicher Gedanke, daß jemand gestorben ist,
weil seine Frau so unerbittlich und tugendhaft war.
Er braucht einen Milieuwechsel und fährt in die
Dolomiten. Dort, in einem Hotel am Völser Weiher,
spielt der dritte Akt. Hier treffen mit Ausnahme
von Genia alle Figuren und noch einige Episoden
zusammen, und auch Hofreiter begegnet Erna, in
die er sich verliebt hat. In der Nähe des Ortes gibt
es einen Turm, den Aigenturm, von dem vor 15
Jahren ein Freund Hofreiters abgestürzt ist, und
seither hat sich niemand mehr getraut, den Turm zu
besteigen. Hofreiter wagt es und zwar in Gesell¬
schaft Ernas. Er will sich von seiner Frau scheiden
lassen, um Erna zu heiraten. Sie küssen sich, und
sie sagt ihm, daß er heute nacht ihre Tür offen
finden werde. Inzwischen hat Hofreiters Frau
Genio in Baden mit jenem Fähnrich ein Verhältnis
begonnen. Die Sache kommt Hofreiter in standa¬
löser Form zu Ohren, und obwohl ihm die Ange¬
legenheit ziemlich gleichgültig ist, muß er sich mit dem
Fähnrich schlagen. Er erschießt ihn im Duell, und
damit ist das letzte Band zwischen den Ehegatten
zerrissen. Er will verschwinden, nach Amerika,
irgendwo ins Unbekannte. Er fühlt sich zu alt, er
weicht vor der Jugend, die er in dem Auge des
sterbenden Fähnrichs aufblitzen sah..
Man sieht, Schnitzler hat hier ein kühnes und
kompliziertes seelisches Problem zu lösen gesucht.
Man vermag ihm auf seinen psychologischen Pfaden
nicht immer leicht zu folgen, und manches dürfte auf
das große Theaterpublikum seltsam und vielleicht
sogar befremdend wirken. Das ganze Stück ist von
einer nachdenklichen, risignierten Stimmung erfüllt,
die man im ersten und vierten Akt am stärksten
spürt. Die packendste und dramatischste Szene des
Werkes enthält der fünfte Akt: Die Rückkehr Hof¬
reiters vom Duell und sein Zusammentreffen mit
der Mutter des Getöteten. Am meisten äußerliche
Bewegung und Handlung enthält natürlich der
dritte Akt, der in dem Dolomiten=Hotel spielt. Hier
gibt es auch sehr viel episodistisches Füllsel, von dem
manches ziemlich konventionell und lustspielmäßig an¬
mutet. Aber manche dieser Nebenfiguren sind sehr
eigenartig; zum Beispiel der philosophische und ge¬
bildete Hoteldirektor; dieser spricht auch das Leit¬
motiv des Stückes aus: Die Seele ist das weite
Land.
Das Burgtheater hat an das Werk — wie schon

seinen
aus der Generalprobe ersichtlich war
ganzen, noch immer großen darstellerischen Reichtum
und viel künstlerische Sorgfalt und Eifer gewendet.
Die ursprünglich Kainz zugedachte Hauptrolle spielt
Korff, sehr interessant, aber zu wenig durchgeistigt,
wodurch die Figur Hofreiters zu roh wirkt. Die
Genia ist eine jener passiven Frauenrollen, die dem
Fräulein Marberg so außerordentlich liegen. Das
junge Mädchen wird von Fräulein Hofteufel sehr
nett, der Fähnrich von Herrn Gerasch gespielt.. Aber
auch die kleinsten Rollen werden von den ersten
Künstlern dorgestellt: den Hoteldirektor, den Hart¬
mann hätte spielen sollen, gibt Devrient
Mutter des Fähnrichs Frau Bleibtreu — einen
Hotelportier Thimig (zugleich der Regisseur der
Vorstellung)
einen Bergführer Balajthy usw.
Eine außerordentliche Besetzung, wie sie nur für
Artur Schnitzler und nur vom Burgtheater aufge¬
boten werden konn!