II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 37

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der Fabrikant Friedrich Hofreiter, die Hauptfigur des „Weiten
Landes“ sind nahe seelische Verwandte. Auch hier handelt es sich
wieder um die Tragik des innerlich Einsamen und Alternden.
Hofreiter lebt mit seiner jungen Frau Genia in einer Villa
in Baden bei Wien und hier spielen vier von den fünf Akten.
Der erste Akt setzt mit einer echt Schnitzler'schen Stimmung ein:
Die Hauptfiguren kommen von dem Leichenbegängnis eines be¬
rühmten Pianisten, der sich erschossen hat. Man führt nachdenk¬
liche und gleichmütige Gespräche über den Tod und stellt Ver¬
mutungen über die Ursache des Selbstmordes auf. Man glaubt
allgemein, der Pranist habe sich aus unbefriedigtem Ehrgeiz das
Leben genommen. Nur Hofreiter ahnt einen andern Grund. In
einem Gespräche mit seiner Frau wird die Ahnung zur Ge¬
wißheit. Der Pianist hat sich aus unglücklicher hoffnungsloser
Liebe zu Genia umgebracht. Sie selbst zeigt ihrem Mann einen
Brief, den der Pianist eine Stunde vor seinem Selbstmord an
sie gerichtet hat. In den übrigen Szenen des ersten Aktes ier¬
den die sonstigen Figuren des Stückes eingeführt: Eine Frau
Wahl und ihre Tochter Erna, ein junges, kluges Mädchen, eine
Schauspielerin und ihr Sohn Otto, ein junger sympathischer
Marinefähnrich und ein Arzt Doktor Mauer. Hauptsächlich wird
aber das Verhältnis der beiden Ehegatten zu einander charak¬
terisiert. Er betrügt sie fortwährend und sie erfährt alles. Aber
es ist ihr egal, denn sie denkt nicht daran, sich zu rächen. Aber
Hofreiter, ein merkwürdiger komplizierter Mensch, kann die Epi¬
sode mit dem Pianisten nicht vergessen. Es ist ihm ein
Uner¬
träglicher Gedanke, daß Jemand gestorben ist, weil seine Frau
so unerbittlich und tugendhaft war. Er braucht einen Milieu¬
wechsel und fährt in die Dolomiten. Dort, in einem Hotel am
Völser Weiher spielt der dritte Akt. Hier treffen mit Ausnahme
von Genia alle Figuren und noch einige Episoden zusammen,
und auch Hofreiter begegnet Erna, in die er sich verliebt hat.
In der Nähe des Ortes gibt es einen Turm, den Aigenturm,
von dem vor 15 Jahren ein Freund Hofreiters abgestürzt is
und seither hat sich niemand mehr getraut, den Turm zu be¬
steigen. Hofreiter wagt es und zwar in Gesellschaft Eenab. Er
will sich von seiner Frau scheiden lassen, um Eona zu hei¬
raten. Sie küssen sich und sie sagt ihm, daß er heute Nach.
ihre Tür offen finden werde. Inzwischen hat Hofreiters Frau)
Genia in Baden mit jenem Fähnrich ein Verhältnis begonnen.
Die Sache kommt Hofreiter in skandalöser Weise zu Ohren und
obwohl ihm die Angelegenheit ziemlich gleichgültig ist, muß er
sich mit dem Fähnrich schlagen. Er erschießt ihn im Duell und
damit ist das letzte Band zwischen den Ehegatten zerrissen. Er
will verschwinden nach Amerika irgendwo ins Unbekannte.
Er
fühlt sich zu alt, er weicht vor der Jugend, die er in dem Auge
des sterbenden Fähnrichs aufblitzen sah...
Man sieht, Schnitzler hat hier ein kühnes und kompli¬
ziertes seelisches Problem zu lösen gesucht. Man vermag ihm
auf seinen vsychologischen Pfaden nicht immer leicht zu folgen
und manches dürfte auf das große Theaterpublikum seltsam und
vielleicht sogar befremdend wirken. Das ganze Stück ist von
einer nachdenklichen resignierten Stimmung erfüllt, die man im
ersten und vierten Akt am stärksten spürt. Die packendste und
dramatischste Szene des Werkes enthält der fünfte Akt: Die Rück¬
kehr Hofreiters vom Duell und sein Zusammentreffen mit der
Mutter des Getöteten. Am meisten äußerliche Bewegung und
Handlung enthält natürlich der dritte Akt, der in dem Dolo¬
miten=Hotel. spielt. Hier gibt es auch sehr viel episodistisches
Füllsel, von dem manches ziemlich konventionell und lustspiel¬
mäßig anmutet. Aber manche dieser Nebenfiguren sind sehr
eigenartig, zum Beispiel der philosophische und gebildete Hotel¬
direktor und er spricht auch das Leitmotiv des Stückes aus:
Die Seele ist das weite Land.
Das Burgtheater hat an das Werk seinen ganzen noch
immer großen darstellerischen Reichtum und viel künstlerische
Sorgfalt und Eifer gewendet. Die ursprünglich Kainz zuge¬
dachte Hauptrolle spielt Herr Korff, sehr interessant aber zu
wenig durchgeistigt, wodurch die Figur Hofreiters
zu brutal
wird. Die Genia ist eine jener passiven Frauenrollen, die dem
Fräulein Marburg so außerordentlich liegen. Das junge
Mädchen wird vom Fräulein Hofteufel sehr nett,
der
Fähnrich von Herrn Gerasch gespielt. Aber auch die
klein¬
sten Rollen werden von den ersten Künstlern dargestellt:
Den
Hoteldirektor, den Hartmann hätte spielen sollen, gibt Herr
Devrient, die Mutter des Fähnrichs Frau Bleibtreu,
einen Hotelportier Herr Thimig, zugleich der Regisseur der
Vorstellung, einen Bergführer Herr Balaithy und so weiter.
Eine außerordentliche Besetzung wie sie nur für Arthur Schnitz¬
ler und nur vom Burgtheater aufgeboten werden kann.
Berlin, 14. Oktober. (Telegr.) Arthur Schnitzlers
Tragikomödie „Das weite Land“, das wie in Wien,
München und Hamburg, sowie an einem Dutzend anderer Büh¬
nen heute abend im Berliner Lessingtheater seine erste Auffüh¬
rung erlebte, wurde hier nach den beiden ersten Akten freund¬
lich, in den drei letzten Akten nur noch kühl aufgenommen. Zum
Schluß mischte sich sogar einige Opposition in den Beifall. Doch
durfte Direktor Brahm für den in Wien weilenden Dichter
vor der Rampe danken. Das Resultat wäre vermutlich noch un¬
erfreulicher gewesen, hätte nicht das Stück eine über alles Lob
erhabene Wiedergabe gefunden. „Das weite Land“ ist das Land
der menschlichen Seele mit allen seinen Rätseln und Ueber¬
raschungen. Das Spiel der Widersprüche, das der Dichter uns
geben wollte, wirkte leider vielfach nicht befriedigend, oft ab
stoßend, und so blieb ein Rest mangelnder Befriedigung.