ersan. Auch sein; jüngse dramatische Arbeit, die fünf¬
aktige Tragikomödie: „Das weite Land“ hat uns
wieder eine Enttäuschung bereitet, wenngleich sie je ne
Treffsicherheit für wirksame Szenen, seine nicht gewöhn¬
liche technische Geschicklichkeit neuerlich bekundet. Er
stellt auch diesmal ein interessantes Problem auf, ent¬
wickelt es durch mehrere Akte hindurch in anregender
Weise, zieht aber nicht eine überzeugende Konsequenz
daraus, sondern schließt mit einem unbefriedigenden
Fragezeichen. Dabei verliert er sich wieder in ein Chaos
von spitzfindiger Seelendenterei und erkünstelten Empfin¬
dungen.
Schon der Titel seines jüngsten Werkes hat etwas
Gesuchtes. Das „weite Land“ es ist die menschliche
Stele mit ihren dunklen Trieben, ihren Widersprüchen,
ihren Leidenschaften, die den Menschen zu Handlungen
drängen, die er nicht zu rechtfertigen vermag. Der Held
der jüngsten Schnitzlerschen Komödie ist ein seltsam kompli¬
zierter Charakter, der sich eine eigenartige Lebensmoral
zurechtgelegt hat. Der reiche Fabrikant Friedrich Hof¬
reiter wird uns zunächst als ein tüchtiger Geschäfts¬
mann geschildert, dessen kommerzielle Verbindungen bis
über dem Ozean reichen. Doch geschieht dies nur mit
Worten. Taten lätt uns dieser angebliche Mann der
praktischen Arbeit nicht erkennen, was übrigens für die
Handlung des Stückes auch gleichgiltig ist. Denn in
ihrem Mittelpunkt steht nicht der Kaufmann, sondern
der siegreiche Frauenjäger Hofreiter, eine Herrennatur
auf dem Gebiete der Erotik, die nur durch das gesell¬
schaftliche Milien, in dem er sich bewegt, etwas abge¬
dämpft erscheint.
Wiewohl schon seit dreizehn Jahren mit einer an¬
mutigen Frau verheiratet und Vater eines Sohnes, ist
Hofreiter ein unverwüstlicher Libertin, der von einem
Weibchen zum andern gankelt und diese Settensprünge
als sein natürliches Recht empfindet. Die Nachsicht seiner
Gattin, die seine offenkundigen Liebesabenteuer still¬
schweigend duldet, bestärkt ihn und er gefällt sich in der
Rolle eines lachenden Lebensphilosophen, bis ihn ein
unerwartetes Ereignis aus seinem Gleichmut bringt.
Einer seiner Freunde, ein junger russischer Pianist, der
viel in seinem Haus verkehrte, hat sich erschossen und
niemand weiß, weshalb. Ein unbewußtes Gefühl bringt
Hofreiter zur Vermutung, daß seine Frau die Ursache
des Selbstmordes des jungen Russen gewesen sein
dürfte. Er bringt auch wirklich die widerstrebende Gattin
zu dem Gesländnis, daß der Russe in den Tod gegangen
ist, weil sie seine Werbung abgewiesen hat. Die sorglose
Lebensphilosophie, mit welcher Hofreiter prunkt, kann
sich mit dem Verhalten seiner Frau in dem heiklen Fall
nicht abfinden. Ihre Tugend hat den jungen Mann in
den Tod gejagt, die Tugend, die er jedoch nur für einen
Schemen hält, und seine Frau erscheint diesem Muster¬
gatten plötzlich „unheimlich“.
Er fühlt das unabweisbare Bedürfnis, wenigstens für
ein paar Wochen die unheimliche Frau zu verlassen und
eine andre, seelenbefreiendere Luft zu aimen. Das
gelingt ihm vortrefflich in einem Automobil, wohin ihm
auch einige se ner Bekannten, darunter eine geschwätzige
Dame mit ihrer emanzipierten, lebenslustigen Tochter,
gefolgt sind. Mit dieser Tochter — Erna heißt der liebe
Schatz — findet er sehr rasch sein seelisches Gleich¬
gewicht wieder, zumal das süße Kind, das notabene aus
„gutem“ Hause ist, sich ihm kurzweg an den Hals wirft.
Nach Hause zurückgekehrt, macht er die Entdeckung, daß
seine Frau sich mittlerweile zu seiner Lebensphilosophie
bekehrt habe, wobei ihr ein hübscher Schiffsfähnrich
werktätig behilflich war. Vielleicht wollte die gute Frau
auch nur, daß nicht zum zweitenmal ein junges Leben
ihretwegen vernichtet werde.
Aber gerade da kippt die Komödie in die Tragik um.
Hofreiter nimmt anfänglich seine Hahnreischaft ziemlich
gleichgiltig. Er-sieht darin nichts für ihn Kränkendes.
Er versichert sogar, es befriedige ihn, daß er nicht mehr
als allein Schuldiger in seinem Hause herumgehe, ja,
der Fehltritt seiner Frau habe diese ihm menschlich
näher gebracht. Man ist paff von der hohen sittlichen
Auffassung der Ehe, mit welcher Schnitzler seinen
traurigen Helden paradieren läßt. Doch sie hält nicht
lange vor. Ein Zeitungsartikel mit boshaften An¬
spielungen versetzt Hofreiter rasch in eine andre
Stimmung. Er fordert den Schiffsfähnrich zum Duell
und ersticht den jungen Offizier. Nun wendet sich wieder
. Trau mit „Grauen“ von ihm. Erna aber ist be¬
renie, urh Aulehl aber die 1o zugl ce — arsennn
Hauptrollen verhalfen dem Stücke zu einem äußeren
Erfolg. Der eigentliche Gewinn des Abends aber war
die Erkenntnis, daß Herr Korff, der den Hofreiter
meisterlich svielte, mit einem Schlage in die erste Reih¬
vorrückte. Ihm sekundierten vortrefflich die „Dam#
Marberg als Frau Hofreiter und Hoftegfel als
Erna. Aber auch die lange Reihe der übrigen Mit¬
wirkenden verdient volle Anerkeinung.
Alpha.
Berliner Börsen-Courier
18 10. 1917
Unfer Wiener Korrespondent schreibt uns:
Das Burgtheater=Publikum hatte vorgestern einen
seiner großen Tage: galt es doch ein neues Weik von
Arthur Schminler aus der Tause zu heben. Das
Burgtheater hat aber auch alles getan, um dem
Wiener Boden und Wiener Empfinden entsprossenen
Dichter mit wahrhaft königlichen Ehren zu empfangen.
nter der feinsinnigen Regie Hugo Thimigs war eine
bahre Galavorstellung des „weiten Land“ zu¬
kandegekommen, eine Aufführung, welche dartat, daß
ich die junge Garde des Burgtheaters ihren Mann
kellt. Den sonderbaren Liebesschwärmer Hofreiter,
der, für Kainz geschrieben, seiner Individualität
gepaßt war und mit dem er sich noch auf seinem
kankenbette, das so bald zum Sterbelager werden;
lie, beschäftigt hatte, — spielte Herr Korff nicht
gerz aus dem Vollen heraus, aber doch mit richtiger
Betonung des Herrenmenschen mit dim scharf¬
därchdringenden Blick. Nur daß er wohl allzusehr
die Wienerische Note anschlug und dadurch die Grund¬
linie des Charakters verschob. Eine seine Komposition
war die Genia des Fräulein Lily Marberg, die
den ihr durch die Moralbegrisse ihres Gatten
förmlich abgerungenen Umschwung ihres Charakters
überaus interessant vollzog. Den Glutrausch der
Liebe des „übel behüteten“ Mädchens Erna zeichnete
Fräulein Marie Hofteufel mit glühenden Farben
und eigenartig herbem Reiz; sie verstand es, die
wildbachartig schäumende Leidenschaft zu verhalten und
ergriff fast mehr durch ihre Geste als durch ihr Wort,
als sie während des Duells um das Leben des
geliebten Freundes bangt. Die künstlerische Erb¬
schaft Ermst Hartmanns trat Herr Devrient mit
der so plötzlich übernommenen Rolle des Hotel¬
direktors Aigner überaus glücklich
er
an;
spielte diesen wunderlichen Kauz, diesen Ueber¬
lebemann mit einem prächtig ironischen Ton. Mit
seinem Pauschallob müssen sich Frau Devrient¬
Reinhold, eine erheiternd schwatzhafte Frau Wahl,
Frau Römpler=Bleibtren als Schauspielerin
Aigner, die Herren Gerasch, Paulsen, Heine
und Thimig begnügen.
Der Eindruck des Werkes war hier, wie bereits
mein Telegramm meldete, ein tiefgehender und
Schnitzler für den nach dem ersten Akte der
Regisseur dankte, konnte vom zweiten Akte ab
persönlich den immer lauter werdenden Hervorrusen
oeusten.
S. L.
S nng
aktige Tragikomödie: „Das weite Land“ hat uns
wieder eine Enttäuschung bereitet, wenngleich sie je ne
Treffsicherheit für wirksame Szenen, seine nicht gewöhn¬
liche technische Geschicklichkeit neuerlich bekundet. Er
stellt auch diesmal ein interessantes Problem auf, ent¬
wickelt es durch mehrere Akte hindurch in anregender
Weise, zieht aber nicht eine überzeugende Konsequenz
daraus, sondern schließt mit einem unbefriedigenden
Fragezeichen. Dabei verliert er sich wieder in ein Chaos
von spitzfindiger Seelendenterei und erkünstelten Empfin¬
dungen.
Schon der Titel seines jüngsten Werkes hat etwas
Gesuchtes. Das „weite Land“ es ist die menschliche
Stele mit ihren dunklen Trieben, ihren Widersprüchen,
ihren Leidenschaften, die den Menschen zu Handlungen
drängen, die er nicht zu rechtfertigen vermag. Der Held
der jüngsten Schnitzlerschen Komödie ist ein seltsam kompli¬
zierter Charakter, der sich eine eigenartige Lebensmoral
zurechtgelegt hat. Der reiche Fabrikant Friedrich Hof¬
reiter wird uns zunächst als ein tüchtiger Geschäfts¬
mann geschildert, dessen kommerzielle Verbindungen bis
über dem Ozean reichen. Doch geschieht dies nur mit
Worten. Taten lätt uns dieser angebliche Mann der
praktischen Arbeit nicht erkennen, was übrigens für die
Handlung des Stückes auch gleichgiltig ist. Denn in
ihrem Mittelpunkt steht nicht der Kaufmann, sondern
der siegreiche Frauenjäger Hofreiter, eine Herrennatur
auf dem Gebiete der Erotik, die nur durch das gesell¬
schaftliche Milien, in dem er sich bewegt, etwas abge¬
dämpft erscheint.
Wiewohl schon seit dreizehn Jahren mit einer an¬
mutigen Frau verheiratet und Vater eines Sohnes, ist
Hofreiter ein unverwüstlicher Libertin, der von einem
Weibchen zum andern gankelt und diese Settensprünge
als sein natürliches Recht empfindet. Die Nachsicht seiner
Gattin, die seine offenkundigen Liebesabenteuer still¬
schweigend duldet, bestärkt ihn und er gefällt sich in der
Rolle eines lachenden Lebensphilosophen, bis ihn ein
unerwartetes Ereignis aus seinem Gleichmut bringt.
Einer seiner Freunde, ein junger russischer Pianist, der
viel in seinem Haus verkehrte, hat sich erschossen und
niemand weiß, weshalb. Ein unbewußtes Gefühl bringt
Hofreiter zur Vermutung, daß seine Frau die Ursache
des Selbstmordes des jungen Russen gewesen sein
dürfte. Er bringt auch wirklich die widerstrebende Gattin
zu dem Gesländnis, daß der Russe in den Tod gegangen
ist, weil sie seine Werbung abgewiesen hat. Die sorglose
Lebensphilosophie, mit welcher Hofreiter prunkt, kann
sich mit dem Verhalten seiner Frau in dem heiklen Fall
nicht abfinden. Ihre Tugend hat den jungen Mann in
den Tod gejagt, die Tugend, die er jedoch nur für einen
Schemen hält, und seine Frau erscheint diesem Muster¬
gatten plötzlich „unheimlich“.
Er fühlt das unabweisbare Bedürfnis, wenigstens für
ein paar Wochen die unheimliche Frau zu verlassen und
eine andre, seelenbefreiendere Luft zu aimen. Das
gelingt ihm vortrefflich in einem Automobil, wohin ihm
auch einige se ner Bekannten, darunter eine geschwätzige
Dame mit ihrer emanzipierten, lebenslustigen Tochter,
gefolgt sind. Mit dieser Tochter — Erna heißt der liebe
Schatz — findet er sehr rasch sein seelisches Gleich¬
gewicht wieder, zumal das süße Kind, das notabene aus
„gutem“ Hause ist, sich ihm kurzweg an den Hals wirft.
Nach Hause zurückgekehrt, macht er die Entdeckung, daß
seine Frau sich mittlerweile zu seiner Lebensphilosophie
bekehrt habe, wobei ihr ein hübscher Schiffsfähnrich
werktätig behilflich war. Vielleicht wollte die gute Frau
auch nur, daß nicht zum zweitenmal ein junges Leben
ihretwegen vernichtet werde.
Aber gerade da kippt die Komödie in die Tragik um.
Hofreiter nimmt anfänglich seine Hahnreischaft ziemlich
gleichgiltig. Er-sieht darin nichts für ihn Kränkendes.
Er versichert sogar, es befriedige ihn, daß er nicht mehr
als allein Schuldiger in seinem Hause herumgehe, ja,
der Fehltritt seiner Frau habe diese ihm menschlich
näher gebracht. Man ist paff von der hohen sittlichen
Auffassung der Ehe, mit welcher Schnitzler seinen
traurigen Helden paradieren läßt. Doch sie hält nicht
lange vor. Ein Zeitungsartikel mit boshaften An¬
spielungen versetzt Hofreiter rasch in eine andre
Stimmung. Er fordert den Schiffsfähnrich zum Duell
und ersticht den jungen Offizier. Nun wendet sich wieder
. Trau mit „Grauen“ von ihm. Erna aber ist be¬
renie, urh Aulehl aber die 1o zugl ce — arsennn
Hauptrollen verhalfen dem Stücke zu einem äußeren
Erfolg. Der eigentliche Gewinn des Abends aber war
die Erkenntnis, daß Herr Korff, der den Hofreiter
meisterlich svielte, mit einem Schlage in die erste Reih¬
vorrückte. Ihm sekundierten vortrefflich die „Dam#
Marberg als Frau Hofreiter und Hoftegfel als
Erna. Aber auch die lange Reihe der übrigen Mit¬
wirkenden verdient volle Anerkeinung.
Alpha.
Berliner Börsen-Courier
18 10. 1917
Unfer Wiener Korrespondent schreibt uns:
Das Burgtheater=Publikum hatte vorgestern einen
seiner großen Tage: galt es doch ein neues Weik von
Arthur Schminler aus der Tause zu heben. Das
Burgtheater hat aber auch alles getan, um dem
Wiener Boden und Wiener Empfinden entsprossenen
Dichter mit wahrhaft königlichen Ehren zu empfangen.
nter der feinsinnigen Regie Hugo Thimigs war eine
bahre Galavorstellung des „weiten Land“ zu¬
kandegekommen, eine Aufführung, welche dartat, daß
ich die junge Garde des Burgtheaters ihren Mann
kellt. Den sonderbaren Liebesschwärmer Hofreiter,
der, für Kainz geschrieben, seiner Individualität
gepaßt war und mit dem er sich noch auf seinem
kankenbette, das so bald zum Sterbelager werden;
lie, beschäftigt hatte, — spielte Herr Korff nicht
gerz aus dem Vollen heraus, aber doch mit richtiger
Betonung des Herrenmenschen mit dim scharf¬
därchdringenden Blick. Nur daß er wohl allzusehr
die Wienerische Note anschlug und dadurch die Grund¬
linie des Charakters verschob. Eine seine Komposition
war die Genia des Fräulein Lily Marberg, die
den ihr durch die Moralbegrisse ihres Gatten
förmlich abgerungenen Umschwung ihres Charakters
überaus interessant vollzog. Den Glutrausch der
Liebe des „übel behüteten“ Mädchens Erna zeichnete
Fräulein Marie Hofteufel mit glühenden Farben
und eigenartig herbem Reiz; sie verstand es, die
wildbachartig schäumende Leidenschaft zu verhalten und
ergriff fast mehr durch ihre Geste als durch ihr Wort,
als sie während des Duells um das Leben des
geliebten Freundes bangt. Die künstlerische Erb¬
schaft Ermst Hartmanns trat Herr Devrient mit
der so plötzlich übernommenen Rolle des Hotel¬
direktors Aigner überaus glücklich
er
an;
spielte diesen wunderlichen Kauz, diesen Ueber¬
lebemann mit einem prächtig ironischen Ton. Mit
seinem Pauschallob müssen sich Frau Devrient¬
Reinhold, eine erheiternd schwatzhafte Frau Wahl,
Frau Römpler=Bleibtren als Schauspielerin
Aigner, die Herren Gerasch, Paulsen, Heine
und Thimig begnügen.
Der Eindruck des Werkes war hier, wie bereits
mein Telegramm meldete, ein tiefgehender und
Schnitzler für den nach dem ersten Akte der
Regisseur dankte, konnte vom zweiten Akte ab
persönlich den immer lauter werdenden Hervorrusen
oeusten.
S. L.
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