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24. Das weiteLand
Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.
Ny#lar
Feuilleton.
U##%
Hofburgtheater.
Am 14. Oktober 1911 zum ersten Male: „Das weite
Land“, Tragikomödie in fünf Akten von Artur Schnitzler.*)
Vor wenigen Wochen hat Artur Schnitzler eine
phantasievoll gedachte und mit feinstem Kunstverstande
konstruierte Novelle veröffentlicht in jenem Goetheschen
Altersstile, dem sich neuerdings seine Prosa so ganz
hingegeben. Sie nennt sich „Die Hirtenflöte“ mit
nicht viel mehr Recht als dem vorliegenden Stücke der
Titel „Das weite Land“ aufgeprägt worden. Da
stößt ein tiefer Denker und Grübler sein junges Weib
in die Welt hinaus, weil er nicht weiß, ob ihre Treue
und Liebe nicht nur in ihrer Ungeprüftheit wurzle,
sie soll jeder Lockung folgen, die ihr ruft; wann
und wie immer sie zurückkehre, des Treibens müde,
sein Haus stehe ihr offen und kein Vorwurf werde sie
treffen. Und das Leben führt sie von Mann zu Mann,
durch wild bewegte Schicksale, der Gatte grüßt die
zerbrochen Heimkehrende als reiner denn jene, „die
im trüben Dunst ihrer Wünsche atmen. Du weißt,
wer du bist“ Sie aber erhebt Klage gegen ihn: „In
der Beschränkung, die du mir zuerst bereitet, war
mir versagt mich zu finden, im Grenzenlosen, wohin
du mich sandtest, wo alles Lockung war, mußte ich
*) Buchausgabe: Berlin, S. Fischer.
box 28/2
mich verlieren.“ Er hatte es nicht verstanden, „daß
höchst gleichgültig, wenn sich nicht zug
jedem menschlichen Dasein nur ein schmaler Strich
Ehe, die bis dahin ein ruhiges Neb
gegönnt ist, sein Wesen zu verstehen und zu erfüllen“.
schien, ein Prozeß abspielen würde, den
So scheidet sie von ihm, der vergebens sie festzuhalten
beschworen.
sucht.
Ein junger russischer Künstler hat
In dieses weite Land der Wünsche und Begierden
übt, seine Freunde und Bekannten kehre
unserer komplizierten Seelen, in das schon der Amandus
hofe zurück, Vermutungen und Klatsch
des „Zwischenspiels“ sein Weib hinausgewiesen, stößt
Badener Villa Hofreiters tragend, w.
auch der Wiener Fabrikant Friedrich Hofreiter seine
sitzt, die um die Ursache weiß. Sie
Gellia. Wahrlich, kein Weiser, dieser Mann von
gegen den Gatten, der in seinem Lebe
vierzig Jahren, in dem Jugendkraft noch den er¬
freiwilligen Abschied eines Jünglings aus
bittertsten letzten Kampf mit dem ergrauenden Haar
Welt nicht begreifen kann und nach
streitet. Der sehnige Körper trotzt wohl noch in sport¬
eifriger als jeder andere forscht. Ein V
lichen Betätigungen, in denen er Meister, der mahnen¬
seiner Frau — was kann dem Geistesleh
den Zeit, noch begehrt sein Mund nach Küssen, die
näher liegen, als dieser Gedanke? Sie wari
heiß gegeben und heiß erwidert werden, aber ihn über¬
Besitznie reizvoll, während Genia, seine Lieh
fröstelt schon schaurig das Gefühl, gegen das sich
ansehend, ihre Gefühle für ihn in mütt
niemand stärker als der alternde Lebenskünstler wehrt,
gewandelt glaubt. Aber ein Abschiedsbrie
es gehe zur Neige, und verzweifelt lehnt er
mörders, den ihn Genia lesen läßt, bele
sich wie jeder Schauspieler, der von seinem Fache
daß sie seiner Werbung widerstanden,
scheiden muß, gegen ein grausames Machtgebot, das
verhehlten Neigung. Das versteht er,
gerade jetzt, wo er die Liebe erst so recht versteht,
etwas in der Liebe versagt hat, nicht,
zum Abschiede mahnt. Er möchte es gern überhören,
ihm, bis es, von der forschenden Frau her
das warnende Pochen an seiner Tür, das ihm wie
zu brutalem Ausdruck kommt: Sie ist ihn
dem einsamen Solneß die Jugend ankündigt, die
Tugend, mit der sie ihm zu prunken
lockend fordernd Einlaß begehrt. Herein tritt ein
unheimlich geworden, er flieht sie, die er
schönes Kind, das ihn von ihrem siebenten Jahre ab
Liebe erwartet hätte, und zieht dem k
angeschwärmt und nun von ihm Besitz ergreifen
nach in die Berge. Dieser Konflikt st
möchte, ganz wie Hilde von ihrem Baumeister. Das
Kühnheit jenseits von jeder Tradition,
wird ihr nicht schwer, denn das Leben dieses Mannes
schärfster Individualität, wie der Dichte
waren die Frauen, und ob diesmal die kleine Erna einer gewissen Absicht immer wieder beton
die fesche Frau Adeke ablösen wird oder nicht, wäre ich einmal, andere wären halt anders. ..
24. Das weiteLand
Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.
Ny#lar
Feuilleton.
U##%
Hofburgtheater.
Am 14. Oktober 1911 zum ersten Male: „Das weite
Land“, Tragikomödie in fünf Akten von Artur Schnitzler.*)
Vor wenigen Wochen hat Artur Schnitzler eine
phantasievoll gedachte und mit feinstem Kunstverstande
konstruierte Novelle veröffentlicht in jenem Goetheschen
Altersstile, dem sich neuerdings seine Prosa so ganz
hingegeben. Sie nennt sich „Die Hirtenflöte“ mit
nicht viel mehr Recht als dem vorliegenden Stücke der
Titel „Das weite Land“ aufgeprägt worden. Da
stößt ein tiefer Denker und Grübler sein junges Weib
in die Welt hinaus, weil er nicht weiß, ob ihre Treue
und Liebe nicht nur in ihrer Ungeprüftheit wurzle,
sie soll jeder Lockung folgen, die ihr ruft; wann
und wie immer sie zurückkehre, des Treibens müde,
sein Haus stehe ihr offen und kein Vorwurf werde sie
treffen. Und das Leben führt sie von Mann zu Mann,
durch wild bewegte Schicksale, der Gatte grüßt die
zerbrochen Heimkehrende als reiner denn jene, „die
im trüben Dunst ihrer Wünsche atmen. Du weißt,
wer du bist“ Sie aber erhebt Klage gegen ihn: „In
der Beschränkung, die du mir zuerst bereitet, war
mir versagt mich zu finden, im Grenzenlosen, wohin
du mich sandtest, wo alles Lockung war, mußte ich
*) Buchausgabe: Berlin, S. Fischer.
box 28/2
mich verlieren.“ Er hatte es nicht verstanden, „daß
höchst gleichgültig, wenn sich nicht zug
jedem menschlichen Dasein nur ein schmaler Strich
Ehe, die bis dahin ein ruhiges Neb
gegönnt ist, sein Wesen zu verstehen und zu erfüllen“.
schien, ein Prozeß abspielen würde, den
So scheidet sie von ihm, der vergebens sie festzuhalten
beschworen.
sucht.
Ein junger russischer Künstler hat
In dieses weite Land der Wünsche und Begierden
übt, seine Freunde und Bekannten kehre
unserer komplizierten Seelen, in das schon der Amandus
hofe zurück, Vermutungen und Klatsch
des „Zwischenspiels“ sein Weib hinausgewiesen, stößt
Badener Villa Hofreiters tragend, w.
auch der Wiener Fabrikant Friedrich Hofreiter seine
sitzt, die um die Ursache weiß. Sie
Gellia. Wahrlich, kein Weiser, dieser Mann von
gegen den Gatten, der in seinem Lebe
vierzig Jahren, in dem Jugendkraft noch den er¬
freiwilligen Abschied eines Jünglings aus
bittertsten letzten Kampf mit dem ergrauenden Haar
Welt nicht begreifen kann und nach
streitet. Der sehnige Körper trotzt wohl noch in sport¬
eifriger als jeder andere forscht. Ein V
lichen Betätigungen, in denen er Meister, der mahnen¬
seiner Frau — was kann dem Geistesleh
den Zeit, noch begehrt sein Mund nach Küssen, die
näher liegen, als dieser Gedanke? Sie wari
heiß gegeben und heiß erwidert werden, aber ihn über¬
Besitznie reizvoll, während Genia, seine Lieh
fröstelt schon schaurig das Gefühl, gegen das sich
ansehend, ihre Gefühle für ihn in mütt
niemand stärker als der alternde Lebenskünstler wehrt,
gewandelt glaubt. Aber ein Abschiedsbrie
es gehe zur Neige, und verzweifelt lehnt er
mörders, den ihn Genia lesen läßt, bele
sich wie jeder Schauspieler, der von seinem Fache
daß sie seiner Werbung widerstanden,
scheiden muß, gegen ein grausames Machtgebot, das
verhehlten Neigung. Das versteht er,
gerade jetzt, wo er die Liebe erst so recht versteht,
etwas in der Liebe versagt hat, nicht,
zum Abschiede mahnt. Er möchte es gern überhören,
ihm, bis es, von der forschenden Frau her
das warnende Pochen an seiner Tür, das ihm wie
zu brutalem Ausdruck kommt: Sie ist ihn
dem einsamen Solneß die Jugend ankündigt, die
Tugend, mit der sie ihm zu prunken
lockend fordernd Einlaß begehrt. Herein tritt ein
unheimlich geworden, er flieht sie, die er
schönes Kind, das ihn von ihrem siebenten Jahre ab
Liebe erwartet hätte, und zieht dem k
angeschwärmt und nun von ihm Besitz ergreifen
nach in die Berge. Dieser Konflikt st
möchte, ganz wie Hilde von ihrem Baumeister. Das
Kühnheit jenseits von jeder Tradition,
wird ihr nicht schwer, denn das Leben dieses Mannes
schärfster Individualität, wie der Dichte
waren die Frauen, und ob diesmal die kleine Erna einer gewissen Absicht immer wieder beton
die fesche Frau Adeke ablösen wird oder nicht, wäre ich einmal, andere wären halt anders. ..