II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 119

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Nr. 947 Montag, 6. November 1911
klärte, ein Mann wie er müsse ein eigenes Grabmal haben!
Liszi aber starb in Bayreuth und fand dort seine Ruhestätte, bis
jetzt; denn die Ungarn wollen jetzt die Leiche des großen National¬
Musikers im eigenen Lande haben. Wien hat zu Ehren Liszis
einer Straße der inneren Stadt seinen Namen gegeben. Von
den großen Tonwerken Liszts wird in Wien am häufigsten sein
Oratorium Elisabeth, alljährlich, in der Hofoper aufgeführt,
dann einige seiner Rhapsodien, sein Christus wurde mehrmals,
einmal von der Leogesellschaft, ein andermal von dem Verein
Dreizehnlinden, zum Vortrag gebracht, öfter auch das grandiose
Tonstück Mazeppa und von Klaviervirtnosen einige seiner Trans¬
skriptionen. Er selbst hal, nachdem er sich von seinen beispiel¬
losen Klaviererfolgen vom Klavierspiel ab= und ganz der Kompe¬
sition zugewandt hatte, auf seine kompositorische Tätigkeit mehr
Wert gelegt, und es wird trotz Wagner wohl noch die Zeit
kommen, we Liszt auch als Komponist höher gewertet wird als
noch jetzt. Interessant ist, was ein altes Mitglied des Wiener
philharmonischen Orchesters, Prof. Bachrich, soeben erzählt.
Liszt hat bekanntlich selbst mehr für den Ruhm Richard Wagners
getan als für den eigenen Ruhm. Uneigennützigkeit und Nächsten¬
liebe war ja Liszts' ihn vor den meisten großen Tonkünstlern
einzig auszeichnende Tugend. Nachdem er das öffentliche Kla¬
vierspiel aufgegeben, machte er sich aus seinem Ruhm als Klavier¬
spieler nicht mehr viel und wenn er auch ab und zu in aristokra¬
tischen Häusern noch spielte, wies er alle Huldigungen fast gleich¬
gültig zurück. Wenn man aber, erzählt Bachrich, ihm von seinen
Kompositionen sprach, die Motive eines seiner Werke zitierte
oder eine interessante Akkordfolge hervorhob, da leuchteten seine
Augen in jugendlichem Feuer, da hob er mit jähem Ruck seinen
herrlichen Kopf nach oben, darauf stürzte er mit jugendlicher
Behendiakeit ans offene Klavier und schlug mit Macht einen
gar seltsamen Akkord an, und mit dämonischem Blitzen in den
Augen erklärte der Meister: „Seht ihr? Solche Harmonien
habe ich noch vor Wagner und Berlioz schon erfunden, aber
ich — ich schwieg darüber! Und ich — ich will auch über diesen
gar seltsamen Akkord schweigen und ihn niemandem verraten.“
Ein großer Geist, große Gedanken und eine große Beherrschung
der orchestralen Mittel — diese Vorzüge wird man an Liszt
allezeit schätzen. Sein Klavierspiel — ein Phänomen damaliger
Zeit — kann ihn nicht überleben, trotz der vielen Schüler, die
er gebildet hat. Und vor allem, Liszt war ein katholischer Mann,
seine Graner Festmesse, auch in Wien öfters aufgeführt, und sein
Christus bleiben dessen ein sprechendes, klingendes Zeugnis.
Fast wie blutiges Weh schneidet es einem ins Herz, wenn man
gleich nach der Erinnerung an Liszt, einer neuen Operette.
gedenken muß, die in Wien einen Sensationserfolg errungen
hat: Die Heimliche Liebe — so heißt das neue Glücks¬
kind — ist übrigens, was den Inhalt betrifft, um Einiges an¬
ständiger als die Verwandten der gleichen Linie, und die Musik
ist um ein gut Teil vornehmer und gründiger als die nunmehr
hoffentlich veraltete, süßlich=tänzelnde Operettenmusik der Lehar,
Fall u. Cie. Vor allem aber, und das entscheidet den Erfolg für
Wien an erster Stelle, ist in dem Profossen, einer echt Wieneri¬
schen Figur voll Wiener Humor und mit dem „goldnen“ Wiener
Herzen, der sich schließlich mit der als Tambour verkleideten
Toni verlobt, eine neue Girardi=Rolle geschaffen. Sein Lied
von der „Wiener Gemütlichkeit“ und das „Bänkel“ im zweiten
Akt, trägt er vor, — nun, wie eben nur Girardi es vortragen
kann. Im dritten Akt gibt es gar ein Kanarienvogel=Lied für
ihn, das der Komiker Böhm hinter den Kulissen mit Pfeifen
begleitet. Die heimlich verliebte Toni spielte Gerda Walde als
ein echtes „süßes Mädel“ und als ein liebreizender Tambour.
Textdichter ist der Journalist Julius Bauer, dessen Witze über
die Gebühr=elöbt werden, aber hier wirklich manchmal Lachen.
erregen, die Musik lieferte der Nachfolger Zemlinskys als
Dirigent der Volksoper, Herr Paul Ottenheimer, der sich mit
diesem großen Erstlingswerke sofort mit in die Reihe der be¬
rühmten Wiener Operettenkomponisten gestellt hat. Die Musik
geht nicht auf grobe Wirkung aus, sondern ist voll Melodik,
Lieder und Couplets singen sich ins Ohr, und manches wenn
nicht neue so doch originell klingende ist darunter.
Gerade wie der Altmeister der Wiener Komik, Karl Blasel,
der nunmehr auch achtzig Jahre geworden ist. Er ist der
älteste der Wiener Komiker, obschon er erst 1863, also mit 32
Jahren, nach zehn Jahren Schmieren= und Provinzspiel, in
Wien bodenständig geworden ist. Er selbst hat bei seinem
fünfzigjährigen Schauspielerjubiläum seine Biographie zum
Scherz für seine Freunde niedergeschrieben, damals, als er sich
verirrte, Direktor des Varieté Kolosseums zu werden. Das
Kolosseum ist denn auch richtig bald darauf verkracht. Aber
Blasel kehrte zur Komik, zur echten Wiener Lustspiel-, Possen¬
und Operettenkomik zurück, in der es ihm seit Matras keiner
gleich tat. Er ist der Typus der schalkhaft=gemütlichen, aber
trocken=satirischen Komik, worin der Reiz der Wienerischen