II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 128

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24. Das weite-Land
Don den mehl als ein Dutzend Aufführungen, die am
Samstag Arthur Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie Das weite
Land gefunden hat, war die am Burgtheater als die Haupt¬
aufführung gedacht. Nicht nur, weil der Dichter in Wien wohnt, als
besonderer Burgtheaterdichter gilt und bei der Burgtheateraufführung
persönlich zugegen war, sondern auch, weil Schnitzler dieses neue Stück
wieder ganz ins moderne Wiener Milieu, wie er es nämlich auffaßt und
darstellt, hineingesetzt, mehrere der Rollen Gestalten der Wiener Gesell¬
schaft nachgezeichnet und die meisten sogar Burgschauspielern „auf den
Leib geschrieben hat, die Hauptrollen zweien der Koryphäen des Burg¬
theaters, die die Aufführung des Stücks nicht mehr erlebt haben, Kainz
und Hartmann. Auch ohne die gleichzeitige Massenaufführung wäre
daher Das weite Land für Wien eine große Sensation gewesen. Gleich¬
wohl kann man sagen, daß die überaus sorgfältige Aufführung des
Burgtheaters nahe daran war, einen Mißerfolg zu ergeben. Während
der ersten drei Akte dieses langgedehnten Stücks, die fast nichts geben
als eine allerdings sehr naturalistische Milieuschilderung, machte sich eine
bedrohliche Langeweile im Hause breit, die das Wohlgefallen an der
feingeschliffenen Dialektik dieses zynischen Skeptikers und der meister¬
haften Leichtigkeit und Natürlichkeit seines Dialogs fast erstickte; erst die
beiden letzten Akte mit ihrem kräftigern dramatischen Impuls brachten
ein tieferes Interesse hervor, so daß sich der Achtungserfolg in einen
wirklichen verwandelte, wobei freilich ein inneres Widerstreben des
Publikums gegen die Verbogenheit und Verrenktheit der Schnitzlerschen
Erotik und gegen das Übermaß dieses Sumpfes, als gegen eine selbst
in dem geschilderten Milieu naturwidrige Unwahrscheinlichkeit nicht über¬
wunden werden konnte. Wesentlich verdankt das Stück seinen Erfolg
in
Wien dem Darsteller der Hauptfigur, einer echten Schnitzlerschen
Gestalt, die lebhaft an den „jungen Medardus“ und an den Helden im
„Zwischenspiel“ erinnert, der Figur des Fabrikanten Friedrich Hof¬
reiter. Nach Kainzens Tode hat sie Herr Korff übernommen (der so¬
lange von Kainz in Schatten gestellt worden war) und zu einer meister¬
haften Darstellung gebracht, die mit einem Schlage dargetan hat, daß
das Burgtheater in diesem Künstler für solche Rollen einen vollen
Ersatz für Kainz gefunden hat. Seine schöne Leistung allein wird dem
Stücke in Wien, dessen Publikum jo im Theater mehr den Schauspieler 5
als den Dichter sucht, eine Reihe von Aufführungen sichern. Die
Partnerin Korffs, Frl. Marberg, die vom Deutschen Volkstheater
herübergekommen ist, als Frau des Fabrikanten Hofreiler, stand dagegen
noch nicht auf der vollen Höhe dieser ebenfalls überaus schwierigen Rolle;
sie gab sich zu einfach und schlicht und ließ die Verschwommenheit ver¬
missen, die den Schnitzlerschen Gestalten eigen ist. Für das ganze reiche
Episodenwerk hatte das Burgtheater sein erstes Künstlexpersonal auf¬
geboten, und die Ausstattung war hervorragend.
AGL