II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 161

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„Das weite Land“.
Tragikomödie in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung gestern im Lessing=Theater.
Das „weite Land“, in dessen unerforschte und
niemals ganz zu erforschende Gebiete wir hier zu
einem Ausflug eingeladen werden, ist das Lieblings¬
gebiet von Schnitzlers psychologisch=dramatischen
Forschungsexpeditionen: die merkwürdige Gegend
der menschlichen Seele, wo im Urwaldgestrüpp die
Geheimnisse der erotischen und vor allem der ehe¬
lichen Beziehungen ruhen. Diese Deutung des Titels
wird nicht gerade sehr delikat vorgebracht, und man
könnte ihn auch im Sinne von Effi Briests Vater
fassen: „Das weite Feld“. Denn über die Themata, —
die sich darunter verstecken, ließe sich unendliches und
noch einiges mehr plandern. Bei Arthur Schnitz¬
ler darf man sicher sein, einem geschmack¬
vollen und kultivierten Kopf, gegenüberzu¬
sitzen, der seine Gestalten nicht mit mehr
Lebens= und Gesellschaftsphilosophie beschwert, als sie
brauchen, um uns über ihre persönlichen Erlebnisse
hinaus zu interessieren. Immerhin doziert er einiger¬
maßen über die kitzligen Fragen, die er aufwirft, und
stellt mit offenbarem Behagen verschiedene Möglichkeiten
der Lösung auf, um sie lächelnd gegen einander ab¬
zuwägen und achselzuckend sein ignorabimus zu
sprechen. Was soll man tun, wenn die Fundamente
einer Ehe zu bersten beginnen? Man kann es
machen wie der etwas affektierte Dr. von Aigner,
der jetzt Hoteldirektor in den Dolomiten ist und einst
das schwere Verbrechen begangen hat, vor dem
einer meiner Freunde einmal mit dem tiessinnigen
Gebot gewarnt hat: „Laß dich nie auf einer Wahr¬
heit ertappen!“ Er hat es seiner Frau gestanden,
vielleicht aus Eitelkeit, und die Folge war
eine Trennung von Jahrzehnten, weil Madame die
Wahrheit nicht ertrug, sondern ihn verabschiedete.
Vielleicht ist dies die stärkste Form der Liebe? Oder
die andere, die der Bankier Natter anwendet, der sich
unheimlich, daß er, der Vierziger, sich durch
Niederträchtigkeiter, gegen ihre Liebhaber rächt? Oder
die der armen Frau Genia, die einen Don Juan
zum Gatten hat und ausharrt? Doch ihre Tugend,
um derentwillen sich ein schwärmerischer Musiker er¬
schießt, wird dem Herrn Gemahl nur unheimlich. So
unheimlich, daß er, der Vierziger sich durch
die Verführung eines jungen Mädchens erholen
wirft sich einem schlanken Fähnrich in die Arme. Aber
wirft sich einem schlanken Fähnrich in die Arme,ss Aber
da kracht die ganze morsche Gesellschaft wie mit
Donnergepolter in sich zusammen. Aus dem frivolen
Spiel wird durch allerlei Zufälle schrecklicher Ernst:
es kommt zu einem Duell, das ohne Haß, ohne Liebe,
ohne Wut, nur weil es so Sitte ist und der Ehemann
nicht gern „als der Dumme“ dastehen möchte, aus¬
gefechten wird, und bei dem der arme Fähnrich als
Opfer fällt.
Diese Vorgänge, von einem unvergleichlich ge¬
wandten Schachspieler durcheinander geschore, wer¬
den von einer Kette der liebenswürdigsten und geist¬
reichsten Dialoge geschmückt. Schnitzler ist einer der
wenigen Weltmänner, die die deutsche Bühne von
jeher besessen hat, und er weiß, von
festem Wiener Boden aus, die gesellschaftliche
Atmosphäre seiner Menschen wunderbar zu treffen.
Er käme darin wie in der graziösen Entschlossenheit
der Problemstellung den Franzosen der Dumaszeit
nahe, wenn er nicht durch ein etwas ibsenhaftes
Spiel mit Symbolen der Alltäglichkeit — eine Auto¬
fahrt „ins Dunkle“, Felsen, die man einst erklettert
und nun nicht mehr besteigen kann, Tennismatchs
durch die „endlich das Verhältnis klar gestellt werden
muß“ usw. — zu einer tieferen Deutung strebte, die
freilich weder nötig wäre noch recht verfängt und
namentlich durch ein Fragezeichen, mit dem er uns
am Schluß entläßt, der Klarheit seines seinen Spiels
schadet. Dafür gelang ihm auf diese Weise der
Umschwung zum Tragischen. Wir haben selbst erst
in den letzten Wochen in Berlin erlebt, wie die
Spielereien einer entarteten Gesellschaftsschicht zu
einer Trgödie führen können.
Es fehlt mir leider an Raum, diese meisterhafte
Kunst zu würdigen, mit der das Lessing=Theater
dies leichte und doch reiche Schauspiel lebendig