II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 163

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24. Das weite Land
Mem ag
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lichen Erna, die anscheinend eine krankhafte Ab¬
neigung vor jedem Geliebten mit reellen Ab¬
Theuter und Masnt.
sichten hat, dem diabolischen Herrn Hofreiter
aber „überallhin folgen will, nachdem er den
J. K. Im Lessing=Theater wurde gestern
Liebhaber seiner Frau so heldenhaft beseitigt.
(Sonnabend). Artur Schnitzlers neuestes Werk,
Leider ist Schnitzler auch in dem überreichlichen
die fünfaktige Tragikomödie „Das weite
Beiwerk des Fünfakters nicht der alte, liebens¬
Land“ mit jener Freundlichkeit ausgenommen,
würdige und unterhaltsame Causeur. Er gibt
die weniger beweist, daß man ein Stück als seinen
viel Bonmots aus zweiter Hand; flache Tief¬
Autor zu schätzen weiß. Und wenn auch jeg¬
sinnigkeit und die frohe Laune in den heiteren
licher Enthusiasmus ausblieb, als Brahm im
Momenten kommt ihm nicht recht von Herzen.
Namen des von der Prager Premiere abge¬
Die Darstellung tat alles, um dem Stück zu
haltenen Schnitzler dankte, so wahrte man doch
nützen. Heinz Monnard gab seinem Friedrich
auch hier standhaft die freundliche Haltung. Und
Hofreiter Scharfe und Fülle der Charakteristik
das war im Grunde gar nicht so leicht, denn diese
und war mit voller Aufbietung seiner reichen
fünfaktige Tragikomödie, deren bedauerliche
schauspielerischen Mittel bemüht, uns einen
Länge in bedenklichem Gegensatz zu ihrem arm¬
außergewöhnlichen Menschen, einen interessanten
seligen Inhalt steht, bürdet den Zuhörern eine
Mann, ein eigenartiges Musterexemplar aus den
nicht immer leicht zu tragende Last von Worten
rätselhaften Gefilden des „weiten Landes“
auf und windet sich so mühselig und umständlich
vorzuführen. Menschlich näher aber brachte
durch ein dichtes Gestrüpp von Ueberflüssigkeiten
er uns den traurigen Helden ebenso¬
dem Ziele zu, daß das tragische Ende auf müde
wenig, wie Hilde
Herterich mit
all
und gleichgültige Stimmung stößt. Was Schnitzler
1
ihrem Streben nach
Wahrhaftigkeit die
mit diesem anstrengenden Ritt ins „weite Land“
Erna, und Irene Trieschs reife Kunst die zwi¬
sagen will, errät man im dritten Akt, als ein
schen Entsagung und Revanchegelüsten schwanke
lebensweiser Hoteldirektor in einer der vielen
Frau Hofreiter. Dem jungen Marine=Fähnrich
strapaziösen Auseinandersetzungen des Stückes
verlieh Kurt Stieler nach Möglichkeit warme
darauf hinweist, daß die Seele ein „weites
Empfindung, den bravsten Menschen der Komö¬
in der
Land“ sei.
liegt also wohl
die einen ehrlichen Doktor und Freund, spielte
etlichen
Absicht dieser Dichtung, uns mit
Hans Marr mit seiner wohltuenden ehrlichen
Menschen bekanntzumachen, deren Empfin¬
Gradheit. Ilka Grüning und Mathilde Sussin,
dungsleben uns möglichst kompliziert erscheint.
Emanuel Reicher, Karl Forest, Bruno Ziener
Das ist dem Autor denn auch reichlich
spielten die bedeutenderen Episoden des von
gelungen; schade nur, daß diese absichtlichen
Emil Lessing inszenierten Stückes, dem man
Wunderlichkeiten sich so schlecht mit den Lebens¬
einen außergewöhnlich reichen dekorativen Nah¬
bedingungen und — was noch schlimmer ist —
men verliehen.
mit der Unterhaltsamkeit eines Dramas ver¬
tragen. Dieser Herr Friedrich Hofreiter, der in
der unverschämtesten Weise hübsche Weiber und
Ueber die Aufnahme des Stückes im Wiener
Mädchen abküßt und seiner Frau das kleine Ver¬
Burgtheater erhalten wir das nachstehende Pri¬
gnügen der bescheidenen Revanche nicht gönnt,
vattelegramm:
sondern den ersten Jüngling, dem sie das Fenster
Wien, 14. Oktober, 11 Uhr 35 Min. nachts.
ihres Schlafgemachs öffnet, in einem schleunigst
(Von unserem hl.=Korrespondenten.)
herbeigeführten Duell herzlos niederknallt, mag
Im Wiener Burgtheater fand der neue Schnitz¬
ein sehr geeigneter Held für einen psychologischen
ler einen von Akt zu Akt steigenden Erfolg, der
Roman in dem neuerdings so beliebten Umfang
um so höher anzuschlagen ist, als die Scherze, mit
sein, auf der Bühne kann er reden, so viel er
denen Schnitzler gerade jenem Teil der Wiener
will, er bleibt uns fremd und fällt schließlich auf
Gesellschaft, der in den Logen und im Parkett
die Nerven. Damit fällt aber auch das ganze
maßgebend ist, den Spiegel ihres erotischen und
Stück, denn es gibt neben diesem so unsagbar
Ehelebens vorhalten will, immerhin gerade bei
erkünstelt anmutenden Konflikt in den langen
der Wiener Erstaufführung eine Gefahr be¬
fünf Akten keine Spur einer anderen Handlung,
deutete. Die Leistung des Burgtheaters war die
eines anderen Konfliktes, die zu interessieren ver¬
beste, die man in den letzten Jahren er¬
möchte. Man findet kaum Beziehungen zu
lebt hat. Die Regie hat Schnitzler mit
Menschen und Dingen einer Komödie, die so
Hugo Thimig selbst geführt. In der Rolle des
völlig auf Spitzfindigkeiten gestellt ist und ihre
Fabrikanten Hofreiter spielte sich Arnold Korff,
Tragik ebenso mühselig aus mehr oder
minder geistvollen Bemerkungen zusammenträgt,
der vom Berliner Theater her bekannt ist. mit
wie sie die wenigen äußerlichen Geschehnisse her¬
einer gewaltigen schauspielerischen Leistung in
beizwingt. Und die Art, wie Frau Genia Hof¬
die allererste Reihe. Die Genia spielte Fräulein
reiter, die Mutter eines schon leidlich heran¬
Marberg anständig und tüchtig, aber uninter¬
essant, die Erna Fräulein Hofteufel ausgezeich¬
gewachsenen Jünglings, sich im Zwischenakt in
dem blutjungen Marinefähnrich einen Geliebten
net. Auch die kleinste Rolle war mit den ersten
zulegt, der regelmäßig auf dem Wege durchs
Darstellern besetzt. Die Gesamtwirkung des
Fenster mit ihr verkehrt, trägt ebenso zu dem
Stückes kann als sehr stark bezeichnet werden.
wenig erfreulichen Eindruck des Ganzen bei wie
Vom 2. Akt an konnte sich der Dichter wiederholt
die „komplizierte" Mädchengestalt der begehr= bedanken.
Auch in zahlreichen anderen Städten fand die
Tragikomödie gestern bei ihrer Erstaufführung,
Privattelegrammen zufolge, reichen
Beifall, so im Hamburger Deutschen Schauspiel¬
haus, in der Schauburg zu Hannover und in
Prag, wo der Autor nach dem vierten Akt er¬
scheinen konnte. In Leipzig dagegen war der
Beifall nur schwach.