II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 164

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„Das weite Land“ im Lessingtheater.
Das weite Land, in das uns Arthur Schnitzler in seiner
fünfaktigen Tragikomödie hineinschauen läßt, ist des Menschen Seele,
Diese Seele, so zeigt uns der Dichter an all den Menschen, deren
Schicksal er uns vorführt, ist ein gar kompliziertes Ding. Diese
Seele empfindet Liebe, wo die konventionellen Schranken es verbieten,
sie täuscht uns sogar den, den sie liebt, weil verbotene Frucht sich
durch guten Geschmack auszeichnet, und diese Seele ist zuweilen treu —
sogar in der Untreue. Friedrich Hofreiter (Heinz Monnard)
ist allen treu, die er jeweils liebt, nur nicht seiner schönen Frau Genia
(Irene Triesch), die ihrem ersten Verehrer gegenüber so sehr
die anständige Frau spielt, daß der Verschmähte sich das Leben nimmt.
Beim zweiten Verehrer, dem Fähnrich Otto v. Aigner (Kurt
Stieler), siegt das Recht auf Liebe über alle Gewissensskrupel,
und diese Verirrung im weiten Land der Liebe endet damit, daß der
gekränkte Gatte den Liebhaber niederknallt, weniger aus Rachebedürf¬
nis, sondern in letzter Linie aus der inneren Furcht vor der siegenden
Jugend. Aber mit dieser blutigen Abrechnung rechnet er auch ab
mit seiner Liebe zu der jugendfrischen Erna Wahl (Hilde Her¬
terich), die er dem wackeren Dr. Mauer (Hans Marr) ent¬
rissen, und die er, trotzdem das Tischtuch zwischen ihm und seiner
Frau zerschnitten, gehen läßt, weil die Lebenslust in
ihm gebrochen ist, und weil die Stimme
des Sohnes
mahnend an sein Herz klingt. Irrwege in dem weiten Lande der
Seele sind es auch, die des erschossenen Liebhabers Vater,
den Dr. Aigner (Emanael Reicher) von seiner Gattin (Ma¬
thilde Sussin) trennen, deren Wege sich scheiden, weil er seine
Gattin zwar nicht zu sehr liebte, um sie zu betrügen, oder zu sehr,
um sie zu belügen. Es sind komplizierte Vorgänge in dem weiten
Lande der Seele, die der Dichter mit feiner psychologischer Be¬
gründung uns entwickelt, und wir bewundern die hier in die Tiese
gehenden und dort wieder mit geistreichen Thesen und Antithesen
jonglierenden Gedankenreichtum, wir vernehmen mit Genuß gar
manches feine und kluge Wort, das sich uns tief ins Gedächtnis ein¬
prägt. Nur an den tragischen Schluß vermögen wir nicht recht zu
glauben, da den fünf Akten die zwingende Gewalt der inneren Ent¬
wickelung abgeht. Die Tragik dieser Komödie erwächst eben nicht
von innen heraus. Das ist ihre Schwäche, aber die übrig bleibende
(Komödie war stark genug, das Publikum fünf Akte hindurch zu unter¬
halten und zu fesseln. Der lebhafte Beifall galt freilich wohl in erster!
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Reihe der vollendeten Wiedergabe des Werkes, in deren Mittelpunkt
das treffliche Zusammenspiel von Heinz Monnard und Irene
Triesch stand, die zwei schauspielerische Glanzleistungen schufen.
Mit seinem Empfinden und starkem Temperament charakterisierte
Hilde Herterich die rassige, ihr eigenes Leben lebende Erna, und
prächtige Charakterrollen schufen auch Emanuel Reicher, Haus
Marr Ilka Grüning als geschwätzige Alte, Karl Forest
als Dichter, Bruno Ziener als Stutzer, Wikly Froböse als
„fröhlich betrogener" Ehemann, und alle die anderen, die wir nicht
aufzählen, da wir sonst den ganzen Theaterzettel wiedergeben müßten,
so vortrefflich war bis in kleinste Detail die Aufführung, deren ge¬
schmackvolle und glänzende Inszenierung und Ausstattung ganz be¬
sonders hervorgehoben werden muß.
B. P.