24. Das beiteLand
ne
48. J4
AS.
Kunst und Wissenschaft.
— Lessing=Theater: „Das weite Land“, Tragi¬
komödie von Arthur Schnitzler.
„Was sind wir Menschen doch im Grunde für
komplizierte Subjekte!
So vieles hat zu¬
gleich Raum in uns! Wir versuchen wohl
Ordnung in uns zu
schaffen,
gut es
so
geht; aber diese Ordnung ist doch nur etwas
Künstliches. Die Seele
ist ein weites Land!“
Ungefähr mit diesen Worten gibt eine der
vielen Nebenpersonen das Thema von Schnitzlers
neuem Werke an. Die Seele ist ein weites Land —
und in einem weiten Lande gibt es noch viele un¬
erforschte Gegenden. Ja, selbst von denen, die man zu
kennen glaubt, ist die Kenntnis doch nur recht ober¬
flächlich. Da reden wir von verschiedenen Provinzen:
Liebe, Haß, Eisersucht, Reue — und doch, geben“
diese Worte wirklich genaue Vorstellung aller der be¬
treffenden Distrikte in dem weiten Land?
Der Fabrikant Hofreiter ist, was man einen Don
Inan nennt. Er betrügt seine Frau mit dieser
und jener,
aber wer kann sagen, er liebe
seine Frau nicht oder sie sei ihm gleichgültig?
Vielmehr, es scheint, er umgibt sie gewisser¬
hat geradezu eine Witterung für ihren Verkehr
mit den Männern, ein seines Gehör für ihren
Verkehrston. Als er erfährt, daß sich einer wegen
unerwiderter Liebe zu ihr das Leben genommen,
graut ihm fast vor ihr. Und als er entdeckt, daß
sie einen anderen erhörte, frohlockt er beinahe, weil
er sich nun im Hause nicht mehr als der allein
Schuldige zu fühlen brauche.
Diese Seelenkomplikationen glossiert Schnitzler vier
Akte lang mit vielen feuilletonistischen Geistreichig¬
keiten und immer in einem Dialog, der diese
Akte zu einem feinen Konversationslustspiel
auf bemerkenswert solider psychologischer Grundlage
stempelt. Vieles in diesen Partien gehört zum Ge¬
schliffensten, was der geschmackvolle Dialogiser je
gesprochen, und man freut sich vielfach dieser
Weisheit, die mit überlegenem humoristischen
Schmunzeln die Wahrheit sagt und durch keine
neue Entdeckung
818
im weiten Lande seelischer
Stimmungen aus der Fassung zu bringen ist. Um so
größer das Stannen, daß der lächelnde Weise ur¬
plötzlich die Stirne zu finsteren tragischen Falten
runzelt. Der froh das Leben genießende Fabrikant
tritt mit einem Male mit den Tragödienhelden
in Konkurrenz, greift zum Revolver und erschießt den
von der Gattin begünstigten Fähnrich.
Diese
tragische Krönung wirkt unorganisch. Doch gewiß
ist sie das Resultat einer tieseren Absicht: Ist
vielleicht im tiefsten Grunde des Helden Liebe
zur Gattin immer so glühend und echt gewesen,
daß er nicht anders handeln konnte? Und war ihm
alles andere nur Episode? Es ist das Schlußfrage¬
zeichen des Schnitzlerschen Werkes, andeutend, daß es
uns wohl immer versagt bleiben wird, einzudringen
in die Geheimnisse des weiten Landes, das wir Seele
nennen.
So wenig die Dichtung im eigentlichen Sinne
bühnendankbar ist, — das Lessing=Theater meisterte
sie trefflich. Herr Monnard in der schwierigen
Hauptrolle vergrößerte gleichsam den Anatol¬
Typus und vertiefte ihn nach Anleitung des Dichters.
Ich habe den Künstler noch nie so menschlich schlicht ge¬
funden wie in der Gestaltung dieses dissizilsten, kom¬
pliziertesten Charakters. Frau Triesch sekundierte
ihm meisterlich, war bald seine Herrin, bald fast seine
Sklavin und leuchtete tief in die seelischen Unbegreif¬
lichkeiten. Das gesamte Ensemble hielt sich über¬
haupt in den oft kaum greifbaren Situationen auf
gewohnter Höhe, und selbst in den Partien,
die als unnötiger Ballast erschienen, wußten Künstler
wie Stieler und Marr, die Herterich und die Sussin,
die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Szene zu
fesseln. So wurde es ein zwar nicht lärmender, aber
ehrenvoller Erfolg, für den Direktor Brahm alle
Ursache hatte, im Namen des abwesenden Dichters
zu danken.
Kp.
box 28/4
Ausschnltt aus
Se e
16 T 414
We
vorgestern begegnet dem Ehe
„Das weite Land.“
erlebte, erlebt dieser jetzt.
aber weil wir Menschen „ko
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
wahre Liebe nicht zugleich e
(Uraufführung im Lessingtheater.)
Männer wird durchkreuzt v
P. S. Das Publikum nahm dieses Stück nicht gerade über¬
„unendlich“, ist „Anbetung“;
wältigt und überwältigende, aber doch nach leisen gelegentlichen
Weibchen und Mädchen. In
Zweifeln ohne Widerspruch an und wünschte zum Schluß dem Dichter
Frau vom ungetreuen Gatter
zu danken. Statt seiner erschien Direktor Brahm und entschuldigte
künstlerischen Beruf gesucht
sein bedauerliches Fernbleiben damit, daß er zur Uraufführung des¬
beitenden Menschen erzogen.
selben Stückes in Wien sei. Der Eindruck blieb fast nach allen fünf
zum Betruge des liebenden
Akten der gleiche. Doch gefiel wohl am meisten der mittelste, weil
wird deshalb Gegenstand des
er das Treiben im Bestibül eines großen Dolomitenhotels während
jene Andere. Auch ihr Söhr
der Hochsaison zeigte und neben den Hauptpersonen einige belusti¬
mitten in der Gesellschaft und
gende Touristentypen vorwies. Die krassen Effekte der beiden Schlu߬
her die parfümierte Wiener(
akte, Herausforderung zum Duell und tödlicher Ausgang, hätten noch
des Blöden, des Geistreichen,
stärker gewirkt, wenn sie früher gekommen wären. Das Publikum
feinerten, des Luges und des
war allmählich durch eine Breite des Dialogs übermüdet, die man
einandergeliebelt, und der M
episch, aber nicht dramatisch nennen darf. Dabei waren gerade die
den“ Liebe zur eigenen Frau,
für den Sinn aufschlußreichsten Szenen leider am unlebendigsten,
Quere: zuerst ist es das
aus der Doktrin und nicht aus dem Wesen der Menschen erzeugt,
moderne Mädchen, das nur n
so daß manche Undeutlichkeit den Mitgang des Publikums erschwert
lieren hat.
haben mag. Ich glaube, da ließe sich noch nachhelfen. Es ist doch
Alles das sieht, hört, fühl
nicht unbedingt nötig, daß das Stück, in dem so wenig Treue gehalten
Mann ebenso intensiv liebt
wird, gerade nach seiner Formseite hin dem Titel treu bleibt.
Spiegelbild aus jener älteren
Ein tönender Titel! „Das weite Land“
— es soll die mensch¬
zwei Männer, so haben auch
liche Seele sein. Schon manches Drama der Vorzeit hätte diesen
ment. Von der älteren erfä
umspannenden Titel verdient: Shakespeares „Hamlet" Goethes
Kind den verlorenen Mann,
„Stella“, Kleists „Homburg“ Grillparzers „Jüdin“ — ich erwähne
solch ein Verlust unvergeßlich
nur das Beste vom Besten. Von Ibsen könnte man alles so nennen.
jenige ist, die niemals verzeih
Sogar die „Oresteia“ des Aischylos ließe sich auch vom Standpunkte
und durchlittenen Erfahrunger
moberner Seelenkunde darstellen. Fontane hätte seinen tiefsten Roman
hervor. Ihre noble Erschein
„Das weite Feld“ nennen können, aber er wählte für sein Aushänge¬
bare Ruhe, und doch der unv
schild eine schlichtere Farbe und nannte ihn „Effi Briest“; alle diese
Gigerln, die faden Alfreds, di
Werke breiten sich vor unserm innern Auge auf, wie ein weites Feld
daran vorbei; aber gerade auf
oder gar wie ein weites Land.
das Eindruck. Ein befreunde
Auch unter dem Feinsten was der Wiener Schnitzler schon ge¬
da er „kein Freund von Herze
dichtet hat, verdiente diese Aufschrift schon manches Drama mit glei¬
daraus. Ein Künstler erschieß
chen Rechken wie das neue Werk, das für den weiten Titel innerlich
verführt die gereifte Frau ei
zu schmal ist. Er ist auch nur als Etikett von außen in ein erklären¬
Sohn jenes älteren gegenbildli
des Raisonnement eingeklebt. Der Dichter stellt seinem — wenn man
Der Mann weiß alles, so
so sagen darf — Helden ein Spiegelbild entgegen, etwa wie Pai¬
eine weiß sie nicht, daß er vo
munds Menschenfeind dem Alvenkönige begegnet; ein Ehebrecher von ! sie wahrhaft, daß er sie allei
ne
48. J4
AS.
Kunst und Wissenschaft.
— Lessing=Theater: „Das weite Land“, Tragi¬
komödie von Arthur Schnitzler.
„Was sind wir Menschen doch im Grunde für
komplizierte Subjekte!
So vieles hat zu¬
gleich Raum in uns! Wir versuchen wohl
Ordnung in uns zu
schaffen,
gut es
so
geht; aber diese Ordnung ist doch nur etwas
Künstliches. Die Seele
ist ein weites Land!“
Ungefähr mit diesen Worten gibt eine der
vielen Nebenpersonen das Thema von Schnitzlers
neuem Werke an. Die Seele ist ein weites Land —
und in einem weiten Lande gibt es noch viele un¬
erforschte Gegenden. Ja, selbst von denen, die man zu
kennen glaubt, ist die Kenntnis doch nur recht ober¬
flächlich. Da reden wir von verschiedenen Provinzen:
Liebe, Haß, Eisersucht, Reue — und doch, geben“
diese Worte wirklich genaue Vorstellung aller der be¬
treffenden Distrikte in dem weiten Land?
Der Fabrikant Hofreiter ist, was man einen Don
Inan nennt. Er betrügt seine Frau mit dieser
und jener,
aber wer kann sagen, er liebe
seine Frau nicht oder sie sei ihm gleichgültig?
Vielmehr, es scheint, er umgibt sie gewisser¬
hat geradezu eine Witterung für ihren Verkehr
mit den Männern, ein seines Gehör für ihren
Verkehrston. Als er erfährt, daß sich einer wegen
unerwiderter Liebe zu ihr das Leben genommen,
graut ihm fast vor ihr. Und als er entdeckt, daß
sie einen anderen erhörte, frohlockt er beinahe, weil
er sich nun im Hause nicht mehr als der allein
Schuldige zu fühlen brauche.
Diese Seelenkomplikationen glossiert Schnitzler vier
Akte lang mit vielen feuilletonistischen Geistreichig¬
keiten und immer in einem Dialog, der diese
Akte zu einem feinen Konversationslustspiel
auf bemerkenswert solider psychologischer Grundlage
stempelt. Vieles in diesen Partien gehört zum Ge¬
schliffensten, was der geschmackvolle Dialogiser je
gesprochen, und man freut sich vielfach dieser
Weisheit, die mit überlegenem humoristischen
Schmunzeln die Wahrheit sagt und durch keine
neue Entdeckung
818
im weiten Lande seelischer
Stimmungen aus der Fassung zu bringen ist. Um so
größer das Stannen, daß der lächelnde Weise ur¬
plötzlich die Stirne zu finsteren tragischen Falten
runzelt. Der froh das Leben genießende Fabrikant
tritt mit einem Male mit den Tragödienhelden
in Konkurrenz, greift zum Revolver und erschießt den
von der Gattin begünstigten Fähnrich.
Diese
tragische Krönung wirkt unorganisch. Doch gewiß
ist sie das Resultat einer tieseren Absicht: Ist
vielleicht im tiefsten Grunde des Helden Liebe
zur Gattin immer so glühend und echt gewesen,
daß er nicht anders handeln konnte? Und war ihm
alles andere nur Episode? Es ist das Schlußfrage¬
zeichen des Schnitzlerschen Werkes, andeutend, daß es
uns wohl immer versagt bleiben wird, einzudringen
in die Geheimnisse des weiten Landes, das wir Seele
nennen.
So wenig die Dichtung im eigentlichen Sinne
bühnendankbar ist, — das Lessing=Theater meisterte
sie trefflich. Herr Monnard in der schwierigen
Hauptrolle vergrößerte gleichsam den Anatol¬
Typus und vertiefte ihn nach Anleitung des Dichters.
Ich habe den Künstler noch nie so menschlich schlicht ge¬
funden wie in der Gestaltung dieses dissizilsten, kom¬
pliziertesten Charakters. Frau Triesch sekundierte
ihm meisterlich, war bald seine Herrin, bald fast seine
Sklavin und leuchtete tief in die seelischen Unbegreif¬
lichkeiten. Das gesamte Ensemble hielt sich über¬
haupt in den oft kaum greifbaren Situationen auf
gewohnter Höhe, und selbst in den Partien,
die als unnötiger Ballast erschienen, wußten Künstler
wie Stieler und Marr, die Herterich und die Sussin,
die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Szene zu
fesseln. So wurde es ein zwar nicht lärmender, aber
ehrenvoller Erfolg, für den Direktor Brahm alle
Ursache hatte, im Namen des abwesenden Dichters
zu danken.
Kp.
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Se e
16 T 414
We
vorgestern begegnet dem Ehe
„Das weite Land.“
erlebte, erlebt dieser jetzt.
aber weil wir Menschen „ko
Tragikomödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
wahre Liebe nicht zugleich e
(Uraufführung im Lessingtheater.)
Männer wird durchkreuzt v
P. S. Das Publikum nahm dieses Stück nicht gerade über¬
„unendlich“, ist „Anbetung“;
wältigt und überwältigende, aber doch nach leisen gelegentlichen
Weibchen und Mädchen. In
Zweifeln ohne Widerspruch an und wünschte zum Schluß dem Dichter
Frau vom ungetreuen Gatter
zu danken. Statt seiner erschien Direktor Brahm und entschuldigte
künstlerischen Beruf gesucht
sein bedauerliches Fernbleiben damit, daß er zur Uraufführung des¬
beitenden Menschen erzogen.
selben Stückes in Wien sei. Der Eindruck blieb fast nach allen fünf
zum Betruge des liebenden
Akten der gleiche. Doch gefiel wohl am meisten der mittelste, weil
wird deshalb Gegenstand des
er das Treiben im Bestibül eines großen Dolomitenhotels während
jene Andere. Auch ihr Söhr
der Hochsaison zeigte und neben den Hauptpersonen einige belusti¬
mitten in der Gesellschaft und
gende Touristentypen vorwies. Die krassen Effekte der beiden Schlu߬
her die parfümierte Wiener(
akte, Herausforderung zum Duell und tödlicher Ausgang, hätten noch
des Blöden, des Geistreichen,
stärker gewirkt, wenn sie früher gekommen wären. Das Publikum
feinerten, des Luges und des
war allmählich durch eine Breite des Dialogs übermüdet, die man
einandergeliebelt, und der M
episch, aber nicht dramatisch nennen darf. Dabei waren gerade die
den“ Liebe zur eigenen Frau,
für den Sinn aufschlußreichsten Szenen leider am unlebendigsten,
Quere: zuerst ist es das
aus der Doktrin und nicht aus dem Wesen der Menschen erzeugt,
moderne Mädchen, das nur n
so daß manche Undeutlichkeit den Mitgang des Publikums erschwert
lieren hat.
haben mag. Ich glaube, da ließe sich noch nachhelfen. Es ist doch
Alles das sieht, hört, fühl
nicht unbedingt nötig, daß das Stück, in dem so wenig Treue gehalten
Mann ebenso intensiv liebt
wird, gerade nach seiner Formseite hin dem Titel treu bleibt.
Spiegelbild aus jener älteren
Ein tönender Titel! „Das weite Land“
— es soll die mensch¬
zwei Männer, so haben auch
liche Seele sein. Schon manches Drama der Vorzeit hätte diesen
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umspannenden Titel verdient: Shakespeares „Hamlet" Goethes
Kind den verlorenen Mann,
„Stella“, Kleists „Homburg“ Grillparzers „Jüdin“ — ich erwähne
solch ein Verlust unvergeßlich
nur das Beste vom Besten. Von Ibsen könnte man alles so nennen.
jenige ist, die niemals verzeih
Sogar die „Oresteia“ des Aischylos ließe sich auch vom Standpunkte
und durchlittenen Erfahrunger
moberner Seelenkunde darstellen. Fontane hätte seinen tiefsten Roman
hervor. Ihre noble Erschein
„Das weite Feld“ nennen können, aber er wählte für sein Aushänge¬
bare Ruhe, und doch der unv
schild eine schlichtere Farbe und nannte ihn „Effi Briest“; alle diese
Gigerln, die faden Alfreds, di
Werke breiten sich vor unserm innern Auge auf, wie ein weites Feld
daran vorbei; aber gerade auf
oder gar wie ein weites Land.
das Eindruck. Ein befreunde
Auch unter dem Feinsten was der Wiener Schnitzler schon ge¬
da er „kein Freund von Herze
dichtet hat, verdiente diese Aufschrift schon manches Drama mit glei¬
daraus. Ein Künstler erschieß
chen Rechken wie das neue Werk, das für den weiten Titel innerlich
verführt die gereifte Frau ei
zu schmal ist. Er ist auch nur als Etikett von außen in ein erklären¬
Sohn jenes älteren gegenbildli
des Raisonnement eingeklebt. Der Dichter stellt seinem — wenn man
Der Mann weiß alles, so
so sagen darf — Helden ein Spiegelbild entgegen, etwa wie Pai¬
eine weiß sie nicht, daß er vo
munds Menschenfeind dem Alvenkönige begegnet; ein Ehebrecher von ! sie wahrhaft, daß er sie allei