II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 173

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Theater und Musik.
Lessing=Theater.
Das weite Land. Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Schnitzlers Produktion, über die man als Gesamttitel den seines
ersten Dramas „Liebelei“ schreiben könnte, fängt an, etwas Fett
anzusetzen. Sie ist durch Inzucht erschlafft, durch Wiederholung
der Motive, die immer wieder dieselbe weichliche, verdorbene
und verspielte Gesellschaft liefert. Schnitzler ist mit fünf langen
Akten um sie
herumgegangen, hat eine ziemlich voll¬
ständige Revue über seine Lieblingstypen abgehalten vom einfachen
Trottel bis zu dem illusionslosen Lebemann, der an nichts glaubt,
der aber trotzdem an die Entscheidung der Pistole appelliert. Friedrich
Hofreiter schießt im letzten Akt den jungen Fähnrich tot, dem sich
feine Frau ergeben hat. Durch ein ganzes Leben und die vier
vorhergehenden Akte hat er ste zu oft betrogen, um noch
daß
eifersüchtig sein zu dürfen. Er weiß wahrscheinlich auch,
seine Frau ihn liebt, und daß ihr stilles Werben und Warten jedes¬
mal den Weg zu ihm gesperrt fand. Aber als er dem jungen Mann,
der ihm sonst recht sympathisch ist, während des Duells ins Auge
fah, da mußte er treffen, vernichten. Denn die Jugend trotzte ihn
an, übermütig und überlegen. Wenn er das Wette sucht, wird er
auch das junge Mädchen nicht mitnehmen, das ihm Jugend, Un¬
schuld und Ruf mit unbedenklicher Passion geopfert hat. Dazu fühlt
er sich nicht mehr stark genug, und er wird den einsamen Weg
gehen, wie Schnitzler früher sagte.
Dieser tragische Grundgehalt der Tragikomödie hat den Zu¬
schauern nicht sehr aus Herz gegriffen, obgleich Herr Monnard
auch in der Maske nicht ohne Glück einen kleinen Napoleon
betonte, einen gefaßten Realpolitiker, dem man seine Erfolge
im Geschäfts= wie im Liebesleben wohl zutrauen darf. Dem
Künstler fehlte der Glanz, das gewisse große Air, mit
dem Schnitzler seine Lieblingsfiguren gern übergießt, aber er
hatte den richtigen Stoff, und er wußte die zynische Entschieden¬
heit des Erfahrenen und Illusionslosen in eine Art ironischer
Weichlichkeit gut hineinzustecken. Nimmt sich Herr Monnard
noch mehr in die Hand, so wird er auch einen Rest von
bajuvarischem Naturburschentum verstecken können.
Neben
dieser undurchsichtigen Figur des Mannes steht die unverständ¬
liche der Frau. Genia ist nicht wie die anderen, von denen sie auch
den Jargon der Frivolität nicht übernimmt, aber sie setzt sich nicht
ins Klare. Ein junger Musiker hat sich erschossen, weil sie in ihrem
Reinlichkeitsbedürfnis seiner Leidenschaft nicht nachgeben wollte. Der
junge Fähnrich wird erhört, aber man merkt ihr nicht an, daß sie
ihn liebt, oder daß sie ihn betrauert. Ihr Wesen, das warm und
n Neutralitäten aus und
mütterlich sein soll, drückt sich
keistet nichts für die organische Fortbewegung des Dramas. Diese
Genia hätte das Stück belastet, wenn Irene Triesch ihr nicht eine
wundervolle Junigkeit eingehaucht hätte, eine zarte Frauen¬
feele, die man nicht durchschaut, und die deshalb tief sein
muß. Man weiß kaum mehr, worauf sie wartet, was sie
verlangt, aber man ist diesem Wesen dankbar, daß
ist, in einer geheimnisvollen Indifferenz der tiefsten Enttäuscht¬
heit oder eines tiefen Glaubens. Sie kann ihrer Natur
den schärfsten Widerspruch zu ihren Handlungen erlauben;
niemand glaubt, das nachts ein Fähnrich wirklich aus ihrem Fenster
gestiegen ist, wenn es auch der Mann geseben hat,
den Fall sogleich mit einer gewissen Befriedigung dem besten
Freunde vorzutragen. Denn da wir in einer Schnitzlerschen Gesell¬
schaft sind, folgt jeder Begrüßung und jedem Händedruck die gleich¬
mütige Erklärung: meine Frau hat mich betrogen. Oder: ich habe meine
Frau betrogen. Friedrich Hofreiter, der davon am meisten zuerzählen hat,
bestätigt sogar einem Ehemann, daß er ihn betrogen hat, was der
andere mit den Händen in der Tasche anhört. Es sind immerhin
merkwürdige Kavaliere, und man sollte nach dieser Duldung und
Offenheit nicht glauben, daß die Pistolen noch zum Knallen kommen.
Aber Schnitzler hegt ehrwürdige atavistische Gefühle, und wenn er
mit allem, was sich sonst ernst nehmen ließe, gespielt hat, spielt er
zuletzt mit dem Schießgewehr.
Was also tragisch sein soll an der Situation des Lebemannes in
grauen Haaren oder an dem Konflikt dieser Ehe von zwei Menschen,
die sich nicht finden können, das hat die Leute nicht allzusehr be¬
trübt. Man hielt sich lieber an die Konversation, die von Schnitzter¬
schem Geiste nicht geradezu sprudelt, die aber unablässig in der bekannten
elegischen Frivolität durch die fünf Akte rinnt. Sie nimmt manches
hübsche Wort
auf, das sich weich einschmeichelt oder spitz
einbohrt, das sich mit vertraulicher Indiskretion an unsere Er¬
fahrung wendet, so daß wir das Vergnügen des heimlichen Zu¬
stimmens und Mitredens genießen. So ist das Leben, wenn man
alles ausscheidet, was nicht mit Liebelei zu tun hat, und so muß es
werden, wenn man von nichts anderem spricht. Durch drei Akte hin¬
durch wird Tennis gespielt, und wenn zwei das Racket
zu
hinlegen, treten si
einer kleinen Salontrggödie an.

Die Leute sind für beides wohl trainiert, und der Jargon, der die
Liebe als Sport behandelt, wird immer amüsant sein. Es kommen
auch ernste Leute vor, wie der anständige Arzt, von Herrn
Marr sehr zuverlässig hingestellt, wie die leidenschaftliche
kluge Jungfrau, die es durchaus nicht mehr sein will, und der
Fräulein Herterich den ganzen Zauber ihrer Schlankheit,
ihrer dunklen Augen gab. Aber die Unterhaltung lieferten haupt¬
sächlich die Chargen, die am ungeniertesten bis an die Posse greifen
durften, und von dieser Schnitzlerschen Weitherzigkeit haben nach
Fraulein Grüning, die Herren Ziener, Forest, Neßler am
meisten profitiert mit komischen Tennisspielern, Dichtern und Hotel¬
portiers. A. E.
Hamburg, 14. Oktober. (Eigener Drahtbericht unseres
Mitarbeiters.) Bei der Erstaufführung von Schnitzlers Tragi¬
komödie „Das weite Land“ im Hamburger Schauspielhause
interessierten die vorzügliche Darstellung und Regie das Publikum
ebenso sehr wie das Werk, dem ein Achtungserfolg beschieden war.
München, 14. Oktober. (Eigener Drahtbericht unseres¬
Korrespondenten.) Schnitzlers „Das weite Land“ hielt bis
zum Schluß das Publikum des Hoftheaters in großer Spannung.
Neben den vielen Schönheiten des Werkes wirkte die breite Neben¬
handlung stellenweise undramatisch und novellistisch. In der guten
Aufführung verdienen Steinrück und die Damen Hagen und
Dandler besonderes Lob.
Wien, 14. Oktober. (Eigener Drahtbericht unseres
Korrespondenten.) Schnitzlers „Weites Land“ hatte im Burg¬
theater einen starken, im Schlußakt eiwas früh abschwächenden
Erfolg. Der Dichter wurde oft gerufen.