II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 179

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24. Das weiteLand
Hambungischer Correspondent
1510. 1911
rs. Berlin, den 14. Oktober. (Privattelegramm.) Arthur
Schnitzlers fünfaktige Komödie „Das weite Land“ konnte
trotz einer klassisch vollendeten Regie und Darstellung das Publi¬
kum des Lessing=Theaters nicht erwärmen. Man ap¬
plaudierte zwar ein wenig nach den Aktschlüssen aus Achtung vor
dem Dichter, aber die verworrenen Fäden, in denen sich das
Hauptproblem der Handlung abwickelte, ließen das Publikum
über die Absichten des Dichters im Unklaren, sodaß das ganze
Werk mit seinem gewaltsamen Schluß verstimmte.
tritt ein: der Mann verläßt Genia, weil — ihre Tugend den
Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. In Tirol,
Vollsezeilung, Berik
wohin er sich gewendet, treibt die seelische Regung Erna, eine
höchst merkwürdig veranlagte junge Dame, ihm in die Arme — daheim
gibt Genia eine neue Regung ihrer Seele Raum und sucht Trost in
den Armen eines Marinefähnrichs. Obwohl sie den Gatten also nur
mit gleicher Münze heimzahlt, schießt dieser den jungen Mann, als er
üiber dessen Beziehungen zu Genia im klaren ist, im Duell über den
15 10. 1911.—
Haufen. Und solchen unerwarteten Seelenregungen begegnet man,
auch bei den Nebenszenen, auf Schritt und Tritt — die Seele ist ein
Lelsingtheater.
weites Land! Aber es ist kein einheitliches Seelengemälde, das der !#
„Das weite Land“. Tragikomödie von Arthur Schnitzler.
Dichter vor uns aufrollt, sprungweise tauchen die Regungen auf, ohne
Abergläubisch scheint Herr Arthur Schnitzler nicht zu sein, sonst
rechte Vorbereitung, ohne logische Entwicklung der Charaktere.
würde er kaum gestattet haben, daß sein neuestes Bühnenwerk gestern
Der Verfasser müßte nicht Arthur Schnitzler sein, böte das Stück
fgleichzeitig an dreizehn Theatern seine Eestaufführung erlebte. Aber
nicht noch vieles Interessante. Ein seinpointierter Dialog mit zahl¬
reichen glücklichen Wendungen. Und die Spannung steigt von Akt¬
einen vollen, großen Erfolg konnte er“den Geschick doch auch nicht
zu Akt, ohne doß man doch des Gehörten und Gesehenen dauernd
abtrotzen, er mußte sich mit einem Achtungserfolg begnügen.
froh werden könnte. Uneingeschränkte Anerkennung dagegen verdient
Die Seele ist ein weites Land — dieses Wort, das einmal im
die Darstellung. Heinz Monnard und Irene Triesch als
Dialog fällt, hat dem Stück den Titel gegeben. Ein weites, weites
Hofreitersches Ehepaar boten all ihr reiches Können auf, uns diese
Land, das Raum gibt für ungezählte Regungen. Und Schnitzler
beiden komplizierten Charaktere menschlich nahe zu bringen. Neben:
schwelgt förmlich in all den Regungen. Für eine jede der handeln¬
ihnen taten sich noch besonders hervor die Damen Herterich (Erna),
den Personen hat er eine besondere Regung auf Lager, für die im
Sussin und Grüning, sowie die Herren Stieler (Marine¬
Mittelpunkt der Handlung Stehenden aber hat er sie dutzendweise,
fähnrich), Reicher, Marr, Froböse und Forest. Die wunder¬
und daraus entstehen dann gar komplizierte Charaktere. Und um so
hübschen Dekorationen mögen nicht unerwähnt bleiben. Direktor
unverstöndlicher und unklarer werden diese Charaktere, je uner¬
Brahm dankte zum Schluß für den abwesenden Dichter, der der Erste
warteter immer wieder eine neue Regung in ihrer Seele auftaucht.

aufführung seines Stückes in Wien beiwohnte.
Man hat die Empfindung, als habe der Dichter selbst von vornherein
mit so komplizierten Charakteren gar nicht gerechnet, als habe nicht
er die verschiedenen Empfindungen in die Seelen seiner Geschöpse
hineingelegt, sondern als seien diese ohne sein Zutun entstanden und
ihm über den Kopf gewachsen.
Ein Ehepaar, das seit Jahren schon nicht mehr miteinander, son¬
dern nebeneinander lebt, Friedrich Hofreiter und seine Frau Genia,
steht im Mittelpunkt der Handlung. Das Stück beginnt damit, daß
ein Russe, der im Hofreiterschen Hause verkehrt, Selbstmord begangen
hat. Hofreiter hat seine Frau im Verdacht, daß zwischen ihr und
dem Russen Beziehungen bestanden haben, die Anlaß zu dem Selbst¬
nord gegeben haben. Genia beruhigt ihn aber über diesen Punkt.
ndem sie ihm einen Abschiedsbrief zu lesen gibt, aus dem hervor¬
eht, daß gerade die Treue Genias es gewesen, die den Russen in
en Tod getrieben. Genia erhofft von diesem Geständnis eine Besse¬
ing des Verhältnisses zu ihrem Gatten, aber gerade das Gegenteil;