II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 178

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24. Das weiteLand
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(Gs. 787 /0. 17
Lelling-Theater.
Zum ersten Male: „Das weite Land“; Tragikomödie in
fünf Akten von Arthur Schnitzler.
Eine der großen Sensationen des berliner Theaterwinters
liegt hinter uns: die Schnitzler=Premiere. — Ich will gleich zu
Anfang des Berichtes den mäßigen. lanwarmen Empfang verzeich¬
nen, der dem Stück geworden ist. Nach dem straffgehaltenen ersten
Akt folgte ein zweiter schon ziemlich breiter und diesem dann gar
ein unendlich langer und mühsam aufgepäppelter dritter, der alles
andere als für die noch kommenden zwei letzten erwärmen konnte.
Was in den beiden ersten Akten Schnitzler wieder als den ge¬
wandten Theatermann zeigte, der sicher zufaßte, der einen knappen
charakteristischen Dialog gab, zerrann im dritten Akt. Es verdarb
mit einer gewollten, gesuchten, sogar entsetzlich gesuchten
Komödienstimmung den Ton, so daß mon, als der Schluß
auch dieses Aktes ins Große zu streben suchte, vom vorauf¬
gegangenen Episodenkram totgemacht worden war. Die beiden
letzten Akte, wieder strammer zusammengefaßt — dank der vorge¬,
nommenen Streichungen! — litten entschieden unter dem matten
Eindruck, den das voraufgegangene Wettrennen in der Durchgangs¬
halle eines großen Dolomitenhotels heraufbeschwor, und so konnte
die tragische Steigerung, die sich unheilschwanger vom vierten zum
fünften Akt herüberzog, wirklich keine rechte tiesgreifende Tragik
werden. Der Schluß wirkte so wässerig, wie die regennassen
Straße, auf die wir nach dem letzten Fallen des Vorhanges hinaus
mußten.
So wie das äußere Resultat ist auch das innere sehr wenig
befriedigend. „Das weite Land“ ist ohne Frage ein Stück aus
Schnitzlerschem Holz. Es enthält aber leider nur wenig von dem,
was der Dichter früher schon gutes zu geben vermochte. Das Ge¬
schwätzige, auf den Effekt der Wirkung bedachte überwuchert, und
man
wohl gut sich für diese
Liebes= und
Ehetragikomödie fest
des Dichters Wort zu hal¬
ten: „Und
bitte lassen Sie mich Ihnen noch
eine Mahnung mit auf den Weg geben! — Nehmen Sie's nicht
gar zu schwer. Es wäre doch lächerlich, wenn Sie, ein Mensch,
der das Leben von seiner ernstesten Seite kennt, dergleichen Spie¬
lerei und Spiel wichtig nähme. Liebessachen sind nichts anderes,
Doktor, glauben Sie mir ... Die dummen, schweren Worte, die
Ihnen durch den Sinn gehen, die blasen Sie nur gefälligst in die
Luft. Und Sie werden sehen, wie leicht sie eigentlich sind. Sie
fliegen ... alle...
sie verwehen, diese schweren, dummen
Worte ... Ich bin, nachdem das Wort im vierten Akt gefallen
war, nicht mehr davon losgekommen; denn es paßt so richtig zu
der dekadenten Wiener Welt, die Schnitzler bildweise an uns vor¬
beiziehen läßt. Daß er den Ton, das unbestimmt weichlich
über dieser Gesellschaft liegende Etwas, das ihr Gesicht bestimmt,
gut getroffen hat, daran dürfen wir nicht zweifeln. Wem anders
dürfte das besser gelingen als Schnitzler, in dem sich die Wiener
Art so charakteristisch verkörpert hat. Kraus wie das Wiener¬
tum ist auch die Handlung des Stückes. Ihr fehlt vollständig das
tiefinnerlich treibende Element, das Rückgrat, und wenn Herr
Hohreiter, der ungetreue Ehegatte, sich schließlich (nachdem er
seine Frau gleichfalls zur Untreue gebracht hat) mit dem Lieb¬
haber seiner Frau im Duell trifft, den jungen Mann über den
Haufen schießt und von seiner Frau darauf die Worte: „Mörder“
und „Aus“ zugeschleudert bekommt, so läßt uns die Sache
ziemlich kalt, obgleich wir programmgemäß sehr erschüttert
sein sollten.
Es verschwamm eben alles zu sehr in¬
einander, blieb in der Hauptsache im Episodenhaften stecken, und
nicht Lachen, Tränen und große Worte konnten dem Stück die große
Einheit geben, die ihm notgetan hätte, um einen vollen Erfolg zu
erzielen.
Emil Lessings Inszenierung gab dem Werk einen guten
Hintergrund. Aus dem Rahmen der Darsteller raten Irene
Triesch als Genia Hofreiter, Franz Monnard (mit einem Basser¬
mannton in der Stimme) als Friedrich Hofreiter und Hans Marx¬
W. C. G.
als Dr. Franz Maurer besonders heraus.
Gaeepur
Nuaeht denl
Atv.. 78• 70. (7/4

Hus dem Kunstleben.
Lessing-Cheater.
Arthur Schnitzler: „Das weite Land“
Ein sehr richtiger Titel für ein sehr schwaches Stück: „Das
weite Land“ Arthur Schnitzler hat sich in ein allzu weites Land
der Möglichkeiten begeben und dorten an verschiedenen Punkten
Fähnlein gesteckt oder leichtes Gezelte errichtet, statt auf einem
einzigen Fleck der mütterlichen Erde ein festes Haus zu er¬
bauen.
Fünf lange, lange Akte und eine Menge Menschen werden
aufgeboten, um diese neue „Tragikomödie“ zu vollbringen. Aber
es kann keine lebendige Tragikomödie zustande kommen, weil
der Grundgedanke, oder sagen wir: das Grundempfinden des
Dichters überhaupt kein Drama entstehen läßt.
Im Anfang endlos exponierendes Gerede ohne Klärung,
just als sollte die Bühne einer Belastungprobe unterzogen
werden: wie viel Langeweile zu ertragen sie wohl imstande
sei. Mittels zweier Akte hat man solchermaßen ein unglück¬
selig unverständliches Eheweib (auf das Irene Triesch ver¬
geblich ihre psychologische Kunst verwandte), einen ledernen
Fähnrich, einen hölzernen Arzt, eine resignierte Ehebrecherin,
eine unternehmende höhere Tochter und namentlich einen über¬
reifen Lebemann nebst allerlei Episodensippschaft — nicht.
näher kennen gelernt. Nun kommt ein Akt Hochtouristen¬
schwank mit einer sonderbar schamfreien Attacke der merk¬
würdig ernstgenommenen höheren Tochter auf besagten ver¬
heirateten Lebemann. In der dritten Pause geschehen über¬
raschende und verhältnismäßig wesentliche Dinge: das unglück¬
selig=unverständliche Eheweib läßt sich von dem ledernen Fähn¬
rich erobern, der Lebemann dagegen flieht vor der unter¬
nehmenden höheren Tochter — wobei leider nichts davon gesagts
wird, daß schamfrei gewordene Unternehmunglust von seiten
des immer noch zarteren Geschlechtes durchaus an sich geeignet
ist, auch ergrauende Lebehelden in die Flucht zu schlagen Ganz
gegen seine ausführlichen Reden nimmt der Lebemahn im
vierten Akt den Fehltritt seiner Frau, obwohl er sie wirklich
nicht mehr zu lieben scheint, plötzlich ernst, schießt in der vierten
Pause den Fähnrich tot und behauptet im fünften Akt steif und
fest, er werde in die Ferne ziehen und hinfort immerdar ein¬
sam bleihen. ...
Die Inkonsequenzen, oder um es deutscher und weiter¬
reichend auszudrücken: die Ungereimtheiten dieses langen und
breiten Spiels sind zum großen Teil vom Dichter bewußt ver¬
übt worden. Allein dies entlastet höchstens den Intellektuellen:
Schnitzler, den Gesellschaftphilosophisten, nicht den Dramatiker
gleichen Namens. Seine nicht mehr unbekannte Reifeweis¬
heit, daß die Seele ein weites Land sei, und daß wir vor
allem in Dingen der Liebe, aber auch sonst weder für unsere
Treue noch für unsere Untreue gutsagen könnten, kurz: daß
wir allesamt egoistische Nervenbündel mit unberechenbaren
Funktionen seien — diese nihilistisch=sentimentale Scheinphilo¬
sophie vernichtet den Heldenwillen und damit alle Tragik. Und
wo sie ihre Selbstverkünd.gung zum letzten Ziel des Kunst¬
werks machen möchte, muß sie notwendig auch alles sonstige
dramatische Leben im Keim ersticken. Daß ein so nachdenk¬
licher Kopf wie Schnitzler das nicht einsieht! Daß er nicht die
naheliegende Folgerung zieht: auch die Kunst sei dann ein
Nichts, und auch das Drama eine Fable convenue!
Aber vermutlich denkt er, es ginge auch so — und es
genüge, daß das Theater etwas einigermaßen Wirkliches sei?
Die Erfahrung mit seinem neuesten Werk wird diese
Meinung nicht verstärken können. Direktor Brahm konnten
zwar zum Schluß für den Verfasser danken, aber das gewiß
wohlgesinnte Publikum gab im Verlauf des Abends erheblich mehr
Langeweile und Mißvergnügen als Freude zu erkennen. Eine Reihe
hübscher Aphorismen und Witze wurde gern belächelt. Jedoch
das Ganze, dieses völlig romanartige Nebeneinander von
Schauspiel, Schwank, Novellen und Sentenzensammlung ver¬
mochte sich nicht durchzusetzen. Die Darstellung interessierten
durchweg mehr als die „Tragikomödie“. Heinz Monnard¬
war als Lebeheld des Abends gleich ausgezeichnet an Liebens¬
würdigkeit wie an treffsicherer Natürlichkeit. Hilde Herte¬
rich gab der höheren Tochter weit mehr Glaubwürdigkeit als
der Dichter. Mit den Nebenrollen (Herr Stieler war als
Liebhaber diesmal nicht recht am Platz) ließ sich schauspielerisch
nicht viel anfangen. Nur Mathilde Sussin und Karl
Forest hatten dankbarere Aufgaben und blieben ihnen nichts
schuldig. Vergeblich waren Kräfte wie Reicher, Marr,
Ilka Grüning auf die Bühne bemüht worden.
Willy Rath.