II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 185

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24. DasueiteLand
Ausoel
15.0KI.1911 Staatsbürger Zeitung, Berlin
vom!
Theater und Kunst.
Lessing=Theater. Zum ersten Male: „Das weite Land“
Tragikomaödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
Das weite Land ist die menschliche Seele. Wer vermag in sie
hineinzuschauen, ihren geheimen und geheimsten Regungen nachzu¬
spüren, sie zu ergründen in allen ihren Tiefen? Dieses Problem
behandelt Schnitzler in seinem neuen Werk. Natürlich auf seiner
Weise. In seinem geistvollen Plauderton, der die denkbar größten
Nichtigkeiten hoch heraus zu heben vermag und der über Probleme
tiefgründigster Natur mit glatter eleganter Leichtigkeit hinweg
gleitet. Er zeichnet wieder mit festen Strichen Menschen aus
jener Welt, in der man sich nicht zu langweilen pflegt. Im Mittel¬
punke seiner Plauderei den verheirateten Wüstling, die rohe, ge¬
walttätige Herrnnatur, die si pellos von Genuß zu Genuß taumell,
die vor dem brutalsten Eingriff in die Rechte eines andern nicht
zurückschreckt, der selbst des eigenen Freundes Besitz nichts gilt, wenn
es darauf ankommt, sein Ziel zu erreichen. Die Seele ist ein
weites, unerforschtes Land. Denn dieser skrupellose Genußmensch
bäumt sich auf, wenn ihm gleiches mit gleichem vergolten wird.
Er, der tausendmal die Treue lachenden Mundes bricht, greift bei
dem kleinsten Einbruch in seine Rechte zmi Waffe uad knallt den
anderen nieder. Ists Liebe, gekränkte Eitelkeit, der Gebanke an
die verletzte Ehre? Wer vermag in der Seele des Menschen zu
lesen! Und ihm zur Seite steht das Weib, das ihn liebt, das in der
Hoffnungslosigkit sich ihres Besitzes zu erfreuen, sich wegwirft, ein
Opfer seiner eigenen Gewissenlosigkeit. Hübsch ist das Bild gerade
nicht, nicht klar und rein der Spiegel, in den Schnitzler sein Publi¬
kum hineinschauen läßt. Daß er wahr, mit charakterstischen Strichen
malt, wer könnte das bezweiseln.
Die Aufführung, von Emil Lessing mit seinem
Verständnis für seine Aufgabe, inszeniert, mag Schnitzlers
Absichten recht nahe gekommen sein. Man war auf den richtigen
Ton gestimmt. Die beiden Hauptrollen lagen in den Händen von
Heinz Monnard und Irene Triesch. Beide lösten ihre
Aufgabe restlos. Er, der gewissenlose Lebemann und Verführer,
#e. die Gattin, die sich mit allen Kräften einer ehrlich empfindenden
Natur gegen ihr Schicksal wehr!, bis sie hoffnungslos unterliegt.
[Hilde Herterich gibt die Halbjungfrau, die dem Zaber,
der Gewalt der Herrennatur unterliegt, mit jener Dosis von
Lüsternheit, die seinen Sieg nicht allzu schwer macht. Hans
Marr, der Freund, der resigniert zurücktritt. Alles andere ist
Stassage, Typen aus der Lebewelt, leichtherzige Offiziere,
schwatzende alte Weiber, Paturburschen. Trottel und bequeme
Ehemänner. Die beiden ersten Akte sind im ganzen genommen
recht langweilig, es wird zu viel gesprochen, man weiß nicht recht,
worauf Schnitzler hinaus will. Mit großer Kunst ober versteht
er dann, die Handlung spannend zu gestalten. Der Beifall war
nach den beiden ersten Akten lau, dann wurd er von Akt zu
Akt wärmer
amtk.10 Mfankfurter Zeitung
Uraufführung von Thnitzlers „Das weite Land“.
h Berlin, 11. Oktbr., 11.40 N. (Iriv.=Tel.) Arthur
[Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ wurde
im Lessingtheatet mit Interesse und Anteilnahme
aufgenommen; ohne daß man von einem rechten Erfolge
sprechen könnte. Das weite Land ist die Seele des Mannes,
in der alle Möglichkeiten beieinander sind. Eine jener bruta¬
len Männergestalten steht im Mittelpunkt des Stückeb. Aus
derben Lebemannsinstinkten heraus betrügt er seine Frau
mit einer Geliebten nach der andern. Es ist ihm unverständ¬
lich, je es stößt ihn ab, daß seine Frau einen seiner Freunde
laber in den Tod gehen läßt, als daß sie ihm willfährig ge¬
besen wäre. Und als seine Frau dann doch mit einem an¬
dern die Ehe brich sordert er den Liebhaber und knallt ihn
kaltblütig nieder.
Das Drama setzt mit feinster Seelenmalerei stimmungs¬
kräftig ein, der dritte Akt aber ergeht sich in Nebensächlich¬
keiten. Die beiden Schlußakte weisen jene kalte psychologische
Rechenkunst auf. der Schnitzler leicht verfällt. Man kann
sagen: Aus seelischer Psychologie wird psychologisches Theaier.
Die Aufführung des Lessingtheater krankte daran, daß
Herr Monnard die Hauptgestalt mit groben Mitteln etwas
sehr absichtlich und unfein gab: sie war im übrigen fein abe
Frau Triesch, Frl. Herte¬
getönt und künstlerisch.
rich, die Herren Reicher, Marr und Stieler boten
erlesene Leistungen.
Wien, 14. Oktbr. (Priv.=Tel.) Die Premiere von Arthul
Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ im Hofburg
theater war ein gesellschaftliches, wie ein künstlerisches Er¬
eignis. Das Haus war lange vorher ausverkauft.
Herrn Korf fand die Hauptrolle des Fabrikanten Hofreiter
einen Darsteller, der mit Recht als der beste Natürlichkeits;
svieler des Hauses gilt. Devrient, der Hartmann ersetzte,
ist noch einer von der guten alten Garde und Frau Rein¬
hold=Devrient als Ersatz war vielleicht zum Vorteil des
Spiels nicht so grotesk wie es Frau Senders, die erkrankt iste
gemiß gewesen wäre. Man braucht nur zu erwähnen, daß Herr
Thiemig den Hotelportier und Balajthy den Werkführer
gaben, um zu zeigen, welche Sorgfali das Burgtheater auf das
Werk verwendet hat. Auch die von Prof. Leffler entwor¬
senen Bühnenbilder waren geradezu Wunderwerke der¬
Dekorationskunst. Wenn gleichwohl von einem vollen Erfolge
nicht gesprochen werden kann, so liegt die Schuld doch wohl in
dem Stuck, dem es an dramatischer Kraft gebricht. Schnitzlers
Weites Land“ ist gewiß ein Werk von literarischen Quali¬
täten und der Dialog, wenn auch nicht glänzend, so doch mit
großer Kunst geführt. Aber es hat einen Grundfehler:
it in ihm ein Lustspielstoff tragisch gewendet worden. Auch
ist es Schnitzler nicht gelungen, uns die Figuren menschlich zu
erwärmen, trotz seiner gewiß sehr seinen und nachdenklichen
Zeichnung. Nach dem dritten Akt, in dem ein junges heiße
blütiges Mädchen sich ohne Bedenken dem verheirateten, durch¬
aus nicht mehr jugendlichen Fabrikanten hingibt, der in ihr
mehr die eigene Junend als die Seele des Mädchens festholten
will, entstand im Hause sogar eine bedenkliche Stimmung.
Freilich siegte der Immoralitätsfnobismus, der diesem Publi¬
kum nicht gestaitet, moralische Empfindungen, selbst wenn es
sie hat, zu äußern. So konnte sogar Schnitzler mehrmals
vor dem Vorhang erscheinen. Ueberhaupt ließ der äußere Ey#
folg während des ganzen Abends nichts zu wünschen übrig.