II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 186

box 28/4
24. Das weiteLand
———
Ausschnitt aus:
der Tag, D
15.05.1911
lichen Erna, die anscheinend eine krankhafte Ab¬
neigung vor jedem Geliebten mit reellen Ab¬
Theutee und Masit.
sichten hat, dem diabolischen Herrn Hofreiter
aber „ erallhin folgen" will, nachdem er den
J. K. Im Lessing=Theater wurde gestern
seiner Frau so heldenhaft beseitigt.
Liebhab
(Sonnabend) Artur Schnitzlers neuestes Werk,
Schnitzler auch in dem überreichlichen
Leide.
die fünfaltige Tragikomödie „Das weite
Beiwerk des Fünfakters nicht der alte, liebens¬
Land“ mit jener Freundlichkeit ausgenommen,
würdige und unterhaltsame Causeur. Er gibt
die weniger beweist, daß man ein Stück als seinen
viel Bonmots aus zweiter Hand; flache Tief¬
Autor zu schätzen weiß. Und wenn auch jeg¬
sinnigkeit und die frohe Laune in den heiteren
licher Enthusiasmus ausblieb, als Brahm im
Momenten kommt ihm nicht recht von Herzen.
Namen des von der Prager Premiere abge¬
Die Darstellung tat alles, um dem Stück zu
haltenen Schnitzler dankte, so wahrte man doch
nützen. Heinz Monnard gab seinem Friedrich
auch hier standhaft die freundliche Haltung. Und
Hofreiter Schärfe und Fülle der Charakteristik
das war im Grunde gar nicht so leicht, denn diese
und war mit voller Aufbietung seiner reichen
fünfaktige Tragikomödie, deren bedauerliche
schauspielerischen Mittel bemüht, uns einen
Länge in bedenklichem Gegensatz zu ihrem arm¬
außergewöhnlichen Menschen, einen interessanten
feligen Inhalt steht, bürdet den Zuhörern eine
Mann, ein eigenartiges Musterexemplar aus den
nicht immer leicht zu tragende Last von Worten
rätselhaften Gesilden des „weiten Landes“
auf und windet sich so mühselig und umständlich
Menschlich näher aber brachte
vorzuführen.
durch ein dichtes Gestrüpp von Ueberflüssigkeilen
traurigen Helden ebenso¬
uns den
dem Ziele zu, daß das tragische Ende auf müde
mit
wenig, wie Hilde Herterich
und gleichgultige Stimmung stößt. Was Schnitzler
ihrem Streben nach Wahrhaftigkeit die
mit diesem anstrengenden Ritt ins „weite Land“
Erna, und Irene Trieschs reife Kunst die zwi¬
sagen will, errät man im dritten Akt, als ein
schen Entsagung und Revanchegelüsten schwanke
lebensweiser Hoteldirektor in einer der vielen
Frau Hofreiter. Dem jungen Marine=Fähnrich
strapaziösen Auseinandersetzungen des Stückes
verlieh Kurt Stieler nach Möglichkeit warme
darauf hinweist, daß die Seele ein „weites
Empfindung, den bravsten Menschen der Komö¬
Land“ sei. Es liegt also wohl in der
die einen ehrlichen Doktsr und Freund, spielte
Absicht dieser Dichtung, uns mit etlichen
Hans Marr mit seiner wohltuenden ehrlichen
Menschen bekanntzumachen, deren Empfin¬
Gradheit. Ilka Grüning und Mathilde Sussin,
dungskeben uns möglichst kompliziert erscheint.
Emanuel Reicher, Karl Forest, Bruno Ziener
dem Autor denn auch reichlich
Das
spielten die bedeutenderen Episoden des von
gelungen; schade nur, daß diese absichtlichen
Emil Lessing inszenierten Stückes, dem man
Wunderlichkeiten sich so schlecht mit den Lebens¬
einen außergewöhnlich reichen dekorativen Nah¬
bedingungen und — was noch schlimmer ist —
men verliehen.
mit der Unterhaltsamkeit eines Dramas ver¬
tragen. Dieser Herr Friedrich Hofreiter, der in
der unverschämtesten Weise hübsche Weiber und
Ueber die Aufnahme des Stückes im Wiener!
Mädchen abküßt und seiner Frau das kleine Ver¬
Burgtheater erhalten wir das nachstehende Pri¬
grügen der bescheidenen Revanche nicht gönnt,
battelegramm:
sondern den ersten Jüngling, dem sie das Fenster
Wien, 14. Oktober, 11 Uhr 35 Min. nachts.
ihres Schlafgemachs öffnet, in einem schleunigst
(Von unserem hl.=Korrespondenten.)
herbeigeführten Duell herzlos niederknallt, mag
Im Wiener Burgtheater fand der neue Schnitz¬
ein sehr geeigneter Held für einen psychologischen
ler einen von Akt zu Akt steigenden Erfolg, der
Roman in dem neuerdings so beliebten Umfang
um so höher anzuschlagen ist, als die Scherze, mit
sein, auf der Bühne kann er reden, so viel er
denen Schnitzler gerade jenem Teil der Wiener
will, er bleibt uns fremd und fällt schließlich auf
Gesellschaft, der in den Logen und im Parkett
die Nerven. Damit fällt aber auch das ganze
maßgebend ist, den Spiegel ihres erotischen und
Stück, denn es gibt neben diesem so unsagbar
Chelebens vorhalten will, immerhin gerade bei
erkünstelt anmutenden Konflikt in den lengen
der Wiener Erstaufführung eine Gefahr be¬
fünf Akten keine Spur einer anderen Handlung,
deutete. Die Leistung des Burgtheaters war die
eines anderen Konfliktes, die zu interessieren ver¬
beste, die man in den letzten Jahren er¬
möchte. Man findet kaum Beziehungen z
lebt hat. Die Regie hat Schnitzler mit
Menschen und Dingen einer Komödie, die
Huge Thimig selbst geführt. In der Rolle des
völlig auf Spitzfindigkeiten gestellt ist und ihre
Fabrikanten Hofreiter spielte sich Arnold Korff.
Tragik ebenso mühselig aus mehr oder
minder geistvollen Bemerkungen zusammenträgt,
der vom Berliner Theater her bekannt ist, mit !
wie sie die wenigen äußerlichen Geschehnisse her¬
einer gewaltigen schauspielerischen Leistung in
die allererste Reihe. Die Genia spielte Fräulein
beizwingt. Und die Art, wie Frau Genia Hof¬
Marberg anständig und tüchtig, aber uninter¬
reiter, die Mutter eines schon leidlich heran¬
essant, die Erna Fräulein Hofteufel ausgezeich¬
gewachsenen Jünglings, sich im Zwischenakt in
net. Auch die kleinste Rolle war riit den ersten
dem blutjungen Marinesähnrich einen Geliebten
Darstellern besetzt. Die Gesamtwirkung des
zulegt, der regelmäßig auf dem Wege durchs
Fenster mit ihr verkehrt, trägt ebenso zu dem
Stückes kann als sehr stark bezeichnet werden.
wenig erfreulichen Eindruck des Ganzen bei wie] Vom 2. Akt an konnte sich der Dichter wiederholt
die „komplizierte“ Mädchengestalt der begehr= bedanken.
EIN
Auch in zahlreichen anderen Städten fand die
Tragikomödie gestern bei ihrer Erstaufführung,
Privattelegrammen zufolge, reichen
Beifall, so im Hamburger Deutschen Schauspiel¬
haus, in der Schauburg zu Hannover und in
Prag, wo der Autor nach dem vierten Akt er¬
scheinen konnte. In Leipzig dagegen war der
Beifall nur schwach.