II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 188

24. Das seite Land
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der jetzt Hoteldirektor in den Dolomiten ist und einst
das schwere Verbrechen begangen hat, vor dem
einer meiner Freunde einmal mit dem tiefsinnigen
Gebot gewarnt hot: „Laß dich nie auf einer Wahr¬
heit ertappen!“ Er hat es seiner Frau gestanden,
vielleicht aus Eitelkeit, und die Folge war
eine Trennung von Jahrzehnten, weil Madame die
Wahrheit nicht ertrug, sondern ihn verabschiedete.
Vielleicht ist dies die stärkste Form der Liebe? Oder
die andere, die der Bankier Natter anwendet, der sich
unheimlich, daß er, der Vierziger, sich durch
Niederträchtigkeiten gegen ihre Liebhaber rächt? Oder
die der armen Frau Genia, die einen Don Juan
zum Gatten hat und ausharrt? Doch ihre Tugend,
um derentwillen sich ein schwärmerischer Musiker er¬
schießt, wird dem Herrn Gemahl nur unheimlich. So
unheimlich, daß er, der Vierziger sich durch
die Verführung eines jungen Mädchens erholen
wirft sich einem schlanken Fähnrich in die Arme. Aber
wirft sich einem schlanken Fähnrich in die Ar##e,f Aber
da kracht die ganze morsche Gesellschaft wie mit
Donnergepolter in sich zusammen. Aus dem frivolen
Spel wird durch allerlei Zufälle schrecklicher Ernst:
es kommt zu einem Duell, das ohne Haß, ohne iebe,
ohne Wut, nur weil es so Sitte ist und der Ehemann
nicht gern „als der Dumme“ dastehen möchte, aus¬
gesochten wird, und bei dem der arme Fähnrich als
Opfer fällt,
Diese Vorgänge, von einem unvergleichlich ge¬
wandten Schachspieler durcheinander geschoben, wer¬
den von einer Kette der liebenswürdigsten und geist¬
reichsten Dialoge geschmückt. Schnitzler ist einer der
wenigen Welt einner, die die deutsche Bühne von
jeher besessen hat, und er weiß, von
festem Wiener Boden aus, die gesellschaftliche
Atmosphäre soiner Menschen wunderbar zu treffen.
Er käme darin wie in der graziösen Entschlossenheit
der Problemstellung der Franzosen der Dumaszeit
nahe, wenn er nicht durch ein etwas ibsenhaftes
Spiel mit Symbolen daer Alltäglichkeit eine Auto¬
fahrt „ins Dunkle“ die Felsen, die man nicht erklettert
und nun nicht mehr besteigen kann, Tennismatchs
durch die „endlich das Verhältwis klar gestellt werden
muß usw. Zu einer tieseren Deutung sucht, die
freilich weder nötig wäre noch recht verfängt und
namentlich durch ein Fragezeichen, mit dem er uns
am Schluß entläßt, der Klarheit seines seinen Stiles
schadet. Dafür gelang ihm auf diese Weise der
Umschwung zum Tragischen. Wir haben selbst erst
in den letzten Wochen in Berlin ersteht, wie die
Spielereien einer entarteten Gesellschaftsschicht zu
einer Trgödie führen können.
Es fehlt mir leider an Raum, das meisterhafte
Spiel zu würdigen, mit dem das Lehing=Theater
dies leichte und doch reiche Schaustiel lebendig
machte. Nur mit einem Worte kann ich Herrn
Monnard und Frau Triesch als Träger der
Hauptrollen danken und die Damen Sussin,
Herterich, Grüning, die Herren Marr,
Stieler, Reicher, Ziener, Froböse
M. O.
nennen, die ihm sekundierten.
Schnitzlers Werk wurde gestern auch an mehreren
anderen großen Bühnen gleichzeitig ausgeführt. Ueber
die Aufnahme des Stückes gehen uns folgende Tele¬
gramme unserer Korrespondenten zu:
Im Münchener Residenz=Theater
bereitete das Publikum Schnitzlers Tragikomödie, die
durch eine vorzügliche Darstellung unterstützt wurde,
eine warme Aufnahme, nur nach dem letzten Alte
stellte sich leiser Widerspruch ein. — Am Prager
Neuen Deutschen Theater fand „Das weite
Land“ einen vollen Erfolg. — Am Leipziger
Stadt=Theater begegnete Schnitzlers Drama
vielem Interesse, das jedoch gegen Schluß erheblich
abflaute. Der Beifall galt zum großen Teile der
ausgezeichneten Darstellung. — Am Wiener
Burgtheater erzielte Schnitzler einen
großen, von Akt zu Akt sich steigernden Er¬
folg. Die Darstellung (Arnold Korff als Hofreiter,
Lilly Marberg als Genia und Marie Hofteusel als
Erna Wahl) leistete Hervorragendes. Nach dem ersten.
Akte dakte der Pegisseur Reimers für den Beifall, nach s.
den folgenden Akten erschien Ertur Schnitzler
wiederholt vor dem Vorhang.