II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 189

seh en v. mn Mielier, Kelsen in ii
ziehen in die neue Welt. Die Zärtlichkeit, mit der
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24. Das weiteLand
er indes beim Schlußwort dem kleinen Sohn ent¬
gegeneilt, der eben aus England heimkehrt, läßt
fast die Vermutung zu, daß vielleicht doch noch
eine Vereinigung, eine Versöhnung möglich ist. Wer
will sich so sicher auskennen im weiten Land der
Menschenseele! Vollends sinds, wie gesagt, so viele
„weite Länder“ die mit gleichem Anspruch auf Durch¬
lquerung und Erforschung vor uns erscheinen. Da ist
neben dem überlegen=rücksichtslosen Helden die kompli¬
zierte und ungewöhnlich feinnervige Gattin, die zwischen
fortdauernder Liebe, Resignation, Stolz und Rache¬
gelüst oder wie
sie
lieber sagt, Revanchelust
ist
das
pendelt,
Mädchen von
junge
stolzem Charakter= und klarem Verantwortlichkeitge¬
fühl, das sich der leisaufdämmernden stillen Neigung
entreißt, um sich einem wilderen Liebesrausch hinzu¬
geben, da ist die rührendste Gestalt, die Schauspielerin
Meinhold=Aigner,
die ihren Gatten verließ, als er
aus seinen Liebeswirren sich nicht recht zu ihr zurück¬
finden konnte, die nun in ihrem Sohn, dem blühenden
Marinefähnrich ihr Glück, ihre Welt,
alles sieht, und doch immer wieder erkennt,
nur die Eltern den Kindern gehören,
daß
Berlige Dörsen Courier, Berlin
nicht die Kinder den Eltern. Rührend ist sie im Kampf
mit sich selbst als sie die Liebesbeziehungen ihres
Metgenausgabe

Sohnes zur Freundin erkennt und noch nicht recht
weiß soll sie Genia dafür lieben oder hassen. Da!
Doch wozu die allzureiche Galerie auch hier
*
vorbeidesilieren lassen? Genug, das Stück hat
keine Hauptperson auf die unser Interesse sich richten
hat,
viel Hauptpersonen
fkann, weil
Vor den Kulissen.
hat keine Handlung, die unsere Aufmerksam¬
Im Lessing=Theater und zu gleicher Stunde an
keit fesselt, weil es zu vielerlei Handlungen hat.
einem guten Dutzend anderer Bühnen ist gestern abend
Eine Sprache von feinem und edlem Schliff und
Arthur Schnitzlers Tragikomödie in Szene ge¬
originellen, aufrührerischen Gedanken darf man von
gangen— eine ganze, bunte Musterkarte von Erfolgs¬
aber auch an zu viel
Schnitzler immer erwarten
berichten liegt heute dem glücklichen Verfasser
Sprache leidet das Stück. Die Gespräche sind zu
vor, der die ganze Skala der Autorfreuden breit, die psychologischen Erörterungen zu redselig und
durchkosten kann, vom freudigen Triumph bis
neben originellen Einfällen laufen auch banale mit
zum lauwarmen Achtungserfolg. Unter diesen
unter oder bedenkliche Wendungen wie etwa „auch
immerhin noch nicht unbehaglichen Temperaturgrad
Söhne werden einmal Männer“ — ja wer denn
wird die Aufnahme sicherlich nirgends sinken. Nicht
sonst?
um des Werkes, aber doch um des Verfassers willen.
Das Lessingtheater hatte dem Werke eine über¬
Auch im Lessing=Theater hatten wir es gestern Abend
raschend reiche und geschmackvolle Ausstattung gewid¬“
zuerst nicht mit einem Erfolg der Tragikomödie,
met. Besonders war das prächtige Hotel=Vestibül ein
sondern mit einem Schnitzler=Erfolg zu tun. Der
kleines Dekorationswunder und Emil Lessings
Beifall galt zunächst nicht der Novität, sondern den Regie belebte dieses Bild, das zur Begrüßung des
älteren Werken, galt nicht der neuen Dichtung sondern,
ge¬
Berlin
in
Gastwirtstags
internationalen
trotz der neuen Dichtung dem Verfasser und seinem
Uns fiel
schaffen schien, überaus wirksam.
hoch in verdientem Ansehen stehenden bisherigen
wichtigeren
nur auf, daß die Darsteller in
Schaffen. Man klatichte Literaturgeschichte. Erst Gruppenszenen allzu opernhaft die volle Front nach
vom dritten Akte an brach die Teilnahme auch für dem Zuschauerraum richteten. Wie Irene Triesch,
das neue Werk, für die Tragikomödie und ihre Helden
die das Haus froh wieder begrüßt hat, eine kompli¬
durch, und der Schlußbeifall, für den Doktor Brahm
ziente Frauennatur zu gestalten, zu durchleuchten ver¬
mit wenigen Worten im Namen des Verfassers
mag, wie niobidenhaft Blick und Miene uns ihre
dankte, galt schon gleichermaßen dem Verfasser, dem
Gemütswirrnis oder Pein fühlbar machen kann,
Stück und der Aufführung.
wieviel Seele ihren Ton durchwehen kann, indes ihre
Die Tragikomödie leidet zunächst stark unter ihrer Haltung die volle Ruhe bewahrt, das zeigte sich gestern
Fünfaltigkeit. Allem Anschein nach ursprünglich als wieder. Herr Monnard wußte die stillgebändigte
Roman, als Erzählung gedacht oder gar entworfen Kraftnatur des Hofreiter ohne zu großen Aufwand
und später erst der dramatischen Form zugeführt, ist
an Mitteln glaubhaft zu machen. Emanuel Reicher
angetan, die
dieses „weite Land“ ganz dazu
gab eine verwandte Herrennatur mit vornehmer,
verwirren und
verirren zu
sich
Besucher
ruhiger Ueberlegenheit. Frl. Sussin traf den
breit angelegres,
lassen. Ein

sigurenreiches Ton abgeklärter Resignation als geschiedene
Bild rollt Schnitzler hier vor uns auf, in
Schauspielerin, Hans Marr bewährte sich auch in
dem nur die Mittelgruppe lange zu fehlen der Rolle eines schüchternen Liebhabers, Fräulein
scheint, der Punkt, auf den die ganze Aufmerksamkeit| Herterich erhob sich zu kühner Leidenschaft in der
sich richten kann. Die Seele ist das weite Land, Liebesszene, Herr Forest, Frl. Grüning, Fro¬
durch das Schnitzler uns führt, aber zu vielerlei böse boten feinausgeführte Chargen — die zu vielen
Seelen scheinen sich erschließen zu wollen, und sof guten Rollen zeigen wieder die Mängel des Stücks.
können wir uns in keinem „weiten Land“ recht um= Das Haus, kühl achtungsvoll erst, dann sehr un¬
schauen. Ueberdies ist der Dichter mehr Erklärer als, geduldig und unruhig, erwärmte sich schließlich doch
Bildner, er sagt uns in allzuwortreichen Dialogen,
und bereitete dem Stück ein warmes Willkommen.
was er uns lebendig zeigen sollte.
J. L.
In der milden Sonne, im Waldhauch von Baden
Die gleichzeitige Aufführung des Werkes in Wien
bei Wien spielt die tragische Geschichte. Friedrich
Hofreiter, der reiche Fabrikant, in dessen Park und brachte, im starkfesselnden Schlußakte besonders ties¬
Villa die bewegte Handlung spielt, ist ein Herren= wirkend, Schnitzler wiederholte lebhafte Hervorrufe.
mensch, eine Art Röcknitz Natur, der für sich jede reifef
Auch in München, Hamburg und Han¬
lockende Frucht vom Lebensbaume pflückt, der aber mover hatte das Stück, nach etwas zurückhaltender
scharfen Auges wacht, daß niemand in seiner (Anhörung der ersten Akte, einen lebhaften Erfolg.
Garten bricht. Ein russischer Klaviervirtnose
[Prag und Leipzig bereiteten dem Werke ehen
gerade zu Grabe getragen worden, als die Hand ffalls eine respektvolle und freundliche Aufnahme“
Bald erfahren wir, daß
lung einsetzt
sich selbst den Tod gab, weil er Genia
die Frau unseres Herrenmenschen, unglücklich liebt
und später wird uns von fern die Möglichkeit ode
Wahrscheinlichkeit gezeigt, daß Hofreiter, unser Groß
stadt=Röcknitz, in einer Art von amerikanischem Duel
Anlaß dieses Selbstmordes war. Während er eber