II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 214

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24. Das
0„ Das weite Land.“
E. V. Berlin, 15. Okt.
„Das weste Land“ heißt Axthur Schnitz¬
erg des berühmten Wiener Dramutmers, Neues
Ftück. Er hat das fünfaktige eine Tragikomödie
igenannt. Die Aufführung fand am 14. Oktober
hier im Lessingtheater statt. Am gleichen Abend kam
des in Wien, Prag, München, Breslau, Leipzig,
Hannover und Hamburg heraus. Somit schon
eine Massenaufführung und die Ehre der Urauf¬
führung ist keinem Theater zu vindizieren.
„Das weite Land“ in das uns Arthur Schnitzler
von denkender Höhe einen Ausblick und Ein¬
blick gibt, ist die menschliche Seele. Sie, mit
ihrer Sonne, ihren Tälern und Höhen, ihren
finstern Wolken und Abgründen und brodelnder
Glut, von der schwül gedämpfte oder leuchtende
Flammen aufsteigen. Wer lernte des Menschen
Seele in sich und anderen je auskennen?
sie jemals verstehen und ausschöpfen? Das tut
der geistvolle Lebenskenner Arthur Schnitzler
auch nicht. Trotzdem er in seiner neuen Dichtung
in alle Tiefen leuchten will. Was bei sehr wenig
Handtung, Dialog und unendlicher Breite, die in
Langeweile umschlägt, geschieht.
Natürlich spielt die Liebe in dem weiten Lande
die Hauptrolle. Das Hinüber vom Mann zum
Weibe. Dieser ewig erregende Krieg, der seine
hundert und mehr Phasen hat; seine Forts und
Belagerungen, seine Umschleichungen, Uebergaben,
Ueberrumpelungen. Seine Spielereien und seinen
tiefen, bitteren Ernst. Der Held Arthur Schnitzlers,
der Fabrikant Hofreiter, liebt und betet seine
Frau an. Sie tut das gleiche ihm gegenuber.
Aber er nimmt sich ein Herrenrecht und liebelt
Und
nebenher und bränkt sie hundertfach.
macht doch den feinen Unterschied, daß
bei großer Liebe zur Gattin auch ein
Bissel Faischheit mit unterlaufen darf. Das
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keine Herzensuntreue,
Nebenher ist ja
wie so oft von den Männern behauptet wird.
Die Frau soll sich den alten Refrain merken:
Hab' ich nur deine Liebe; die Treue brauch' ich
nicht.
Hofreiter und Frau tritt ein anderesMenschen¬
paar entgegen das sich wegen obiger Gründe
trennte. Viel Mitteilungen, Räsonnements. Und
die Kardinalfrage: Darf die Frau=den Gedanken
hegen: Wie du mir — so ich dir?! Schnitzlers
Frau Genia kommt in ihrer Herzensverlassenheit,
zwischen den sorglos durcheinander liebelnden
Menschen zu einem schmerzlichen Racheentschluß.
Sie spielt mit vorgetäuschten Gefühlen; ein
Küttziler geht darum in den Tod, und ein ganz
junger Mensch wird von ihrem Gatten im Duell
erschossen, weil der nun erst seine ganze tiefe
Liebe voll brennender Eifersucht erkennt. Das
Paar trennt sich nach dem Ereignis. Der einzige
Ktrabe kommt gerade ins Elteenhaus heim.
Chair de canons bezeichnete einmal der geniale
Maler Wirtz in Brüssel spielende Kinder neben
einer Kanone. Material fürs Totschießen. Ist
der junge Hofreiter auch bestimmt, das „weite
Land“ zu durchwandern und in irgendeinen Ab¬
grund zu stürzen? fragt der Zuschauer. Schnitzler
will, daß er so empfindet. Sonst aber hat er
wohl noch mehr gewollt: einen vollen Erfolg
erringen. Aber über große Achtung und vielen
Respekt und Freundschaft kam's diesmal nicht
hinaus. Man rief nach dem Autor zum Schluß
und sah Dr. Brahm sich gegenüber, der berichtete,
daß Schnitzler in Wien sei, und daß man ihm die
Aufnahme hier mitteilen würde. Gespielt wurde
ganz ausgezeichnet, abgerundet, fein: Heinz
Monnard und Irene Triesch waren das Haupt¬
paar zwischen den hin und her liebelnden Leicht¬
sinnigen und den wenigen ernsthaften Menschen.
Ob der Erstaufführung sehr viele folgen wer¬
den, ist eine Frage.
Reschylos' „Orestie“.
E. V. Berlin, 14. Oktober.
München ist bei der dortigen Aufführung ziem¬
lich kühl geblieben. Berlin hat (wie bereits kurz
telegraphisch berichtet) Max Reinhardt
gestern abend begeistert wieder zugejauchzt im
Zirkus Schumann, wo „Kopf an Kopf gedränget“
saß, was sich interessiert und was so tut. Wäh¬
rend vom hohen Olymp herab die Jugend don¬
nernden Beifall spendete.
In der Bearbeitung von Karl Vollmöller karien
die beiden ersten Teile der Trilogie zur Mar¬
stellung, „Orestes“ und „Das Totenopfer“. Der
„Eumeniden“ Rachegestalten sollen erst nächstens
mit „langsam abgemessenem Schritte“ dazu tr# en.
Nicht zu leugnen, der alte Aeschylos hatte einen
vollen Erfolg! Oder war es Keinhardt, der junge?
Das Szenarium auf dem Blachselde des weiten
Zirkusrundes war sehr griechisch echt mit Palast
und Götterbildern, Opferflammen und Menschn¬
gewimmel. Das Moderne des Zirkus verhüllte
das Velarium der Alten. Und Moissi war ein
flammender Orestes, Diegelmann ein könig¬
licher Agamemnon, die Frauen spielten gut, die
Chöre waren ganz vorzüglich. Das schlug wie
Meereswogen und klagende Winde ans Ohr.
Mit Vollmollers sehr energischer und gewaltsamer
Bearbeitung läßt sich rechten. Wenn wir zur
Antike gehen, warum bleiben wir auch nicht ganz
bei der Versform, die Aeschylos angewendet hat,
die mit Strophen und Gegenstrophen in Anagästen
und jambischen Trimetern dahin gleitet? Biel
grausiger und grausamer kam uns der Regie¬
führer Reinhardt auch, als wie uns Aeschylos die
Szenen darbietet. Und so lag wohl manchem das
Wort der Donnerschen Uebersetzung im Sinn,
das nicht in die Tat umgesetzt werden konnte,
weil das Spiel doch erst zu Ende gehen mußter
„Mich treibt's von hinnen, nicht verweil ich
länger hier!“ Und unter brausendem wilden
Beifall eilte man schnell hinweg, um aufzuatmen