II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 213

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24. Das weite Land
2u hal die Regierung nenerbings erriart, sie de
M .
winnen und einem Mädel den Kopf zu verdrehen.
dieser „tragikomischen“ Einstellung des Problems ist die
volle Wirkung des Dramas gescheitert, und sie ward her¬
vorgerufen durch die Grenzen in Schnitzlers Talent. Er
wäre gar nicht imstande gewesen, eine einheitliche, un¬
gebrochene, nur im Handeln sich auslebende Natur zu
schildern; sein Gebiet ist das „weite Land“ der Seele, in
dessen Dämmerungen und Abgründen sich seine Phantasic¬
mit Lust verliert. Das eigentlich Erlebte in der Gestalt
des Helden, seine Gier, die sich an Jugend und Genuß
klammert, seine amoralische Kraft, tritt daher völlig zurück
gegen die geschmäcklerische Freude, mit der der Dichter das
bun“ Gewirr der Nebenfiguren psychologisch koloriert.
Er hält mit der kühlen Interessiertheit des Beobachters
diese Leutchen in der Hand, dreht und wendet sie nach allen
Seiten und enthüllt ihr Menschlich=Allzumenschliches bei
dieser Prozedur. In dem wundervoll geführten Dialog.
der wieder die unter unseren deutschen Dichtern Schnitzler
allein eigene Kunst der anmutig tiefsinnigen Couserie zeigt,
erklingen weisheitsvolle Aphorismen, lyrisch schöne Spieg¬
lungen der Natur im „weiten Land“ der Seele, ergreifende
Wort von Sehnsucht, Liebe und Tod. — Ein echter Schnitz¬
ler ist dieses Stück trotz der Unsicherheit in Stil und
Charakterzeichnung, um seiner äußerlichen Kälte und
Die Berliner Auf¬
seiner innerlichen Wärme willen.
führung war recht gut; die beste schauspielerische Leistung.
die Heinz Monnards, scheiterte an der Unzulänglichkeit
dieses Schnitzlerschen Helden. P. L. — In Leipzig hat
das Schnitzlersche Stück eine kühle Aufnahme gesunden.
* Kleine Mitteilungen. Berlin. Die Königl. Hofoper hat
die Titelrolle im Rosenkavalier vierfach besetzt, und
zwar mit den Damen Böhm=van Endert, Artot, Ober und Sava¬
tini. — Berlin. Der in Berlin=Schöneberg lebende Pianist
Emil Olbrich hat eine Verbesserung der Klaviaiur er¬
funden. Sie beschränkt sich auf die Erniedrigung der Obertasten,
ohne an den sonstigen Abmessungen der alten Klaviatur irgendwie
zu rütteln. Die Olbrich=Klaviatur gibt durch Veränderung in der
Drehpunktslage und richtige Ausbalancierung den Obertasten den
Fall und Druck der Untertasten, und da sich die Höhe der Obertasten
nach ihrem Fall richtet, erniedrigt sic diese um 3 bis 4 mm.
Bildende Kunst
Wilhelm Bode über das „Scherbengericht der Kunst¬
historiker". Es hat kein geringes Aufsehen erregt, als
Rembrandts berühmte Landschaft Die
Mühle, die jetzt nach Amerika verkauft worden ist, dem
Meister abgesprochen und als ein Werk des Aert de Gelder
oder des Hercules Seghers bezeichnet wurde. Die bei
Bruno Cassirer in Berlin erscheinende Monatsschrift Kunst
und Künstler hat eine Reihe der besten Rembrandt=Kenner
um ihre Meinung über die Echtheit des Werkes befragt.
Die Mehrzahl hält an Rembrandt als dem Maler der
Mühle fest. Besonders bemerkenswert ist der Beitrag Wil¬
helm Bodes, des Generaldirektors der preußischen Museen.
Wenn man diesem hervorragenden Kunstkenner wiederholt
Irrtümer in seinen Ankäufen hat vorwerfen wollen, so
rächt er sich jetzt an den Kunsthistorikern, indem er seiner¬
seits einmal nicht ohne Humor eine ganze Liste von Fällen
zusammenstellt, in denen Kunsthistoriker in kritischem Über¬
eifer große Meisterwerke für unecht erklärt haben. „Eines
möchte ich (so ruft er aus) noch erleben: ein Scherben¬
gericht der Kunsthistoriker. Dann melde ich mich
zum Direktor der verdammten Bilder und Bildwerke ...
und ich wäre sicher, in wenig Jahren eine der schönsten
Sammlungen beisammen zu haben. Ich nenne nur einige
der durch die Scherben namhaftester Fachgelehrter als:
kunst= oder namenlos verworfenen Kunstwerke.“ An der!:
Wie Well am Mentag, Berhr
16 10. 191
er neue Schnitzler.
(„Das weite Land.“)
Es war ein melancholisches Wiedersehen. Die späte Begeg¬
nung mit einer alt gewordenen Geliebten. Von holden Erinne¬
rungen umwittert, in weichen Herbstschimmer getaucht, und beseelt
von dem redlichen Drange, den Glanz und die Schönheit verklun¬
genen Glücks noch einmal ins Leben zu retien. Die bittere Er¬
kenntnis von der Begrenztheit des Irdischen spukt hinter dem
allem. Die wehmütige Resignation des Aelter= und Fremder=Wer¬
dens, und das Bewußtsein, Dinge entgleiten und verflattern zu
sehen, denen man sich für ewig verschwistert glaubte. -
Herbst, Herbst, Herbst. Der Wind schüttelt gelbe Blätter und
fegt mit kalter Grausamkeit über Straßen und Plätze. Vorbei,
vorbei. Ein Duft voll Schwermut bleibt zurück, und das Gedächt¬
nis hellerer Tage umkleidet sich mählich mit der blassen Schönheit
des Märchens. Der Dichter Arthur Schnitzler, der uns die köst¬
liche Welt des „Anatol“ hinzauberte,, der uns die Farben des
„Grünen Kakadut und die feine Silberlicht=Poesie der „Liebelei“.
schenkte, — wie ein Schatten, ungreifbar und wesenlos, schwebt
er vorüber. Seine kultivierte Eleganz und seine weltmännische
Ironie lädt uns noch einmal in jene dämmerige Luxuswelt, wo
Kulturmüdigkeit und verfeinerter Sinn spielerisch um die Fragen
des Lebens kreist. Im Frack und mit weißer Binde schreiten noch
einmal blasse Menschen über schwere, kostbare Teppiche. An tiefe
Zusammenhänge wird noch einmal mit zagem Finger gerührt. Auf
unausgesprochene und mit Händen nicht zu greifende Dinge, die,
wie in verborgenen Seelenfalten, zwischen Mann und Weib,
zwischen nachlässigem Sybaritentum und fraulichem Reinlichkeits¬
drang, zwischen halbeingestandenen Sehnsüchten und erotischer
Spätkultur stehen, fällt ein leiser, verglimmender Schimmer. Man
wird die Ahnung nicht los, daß hier ein Gegenwartsmensch an
der Arbeit ist. mit dem umzugehen noch immer Gewinn und
Freude bedeutet. Aber die kalten Herbstwinde, die dazwischen
jagen, lassen diese Ahnung nirgends zur Erfüllung reifen. Und
## Anfang und Ende steht das Gefühl, daß Arthur Schnitzlers
Simme alles Metall verloren hat und nur noch wie ein letztes,
Ifernes Echo aus besseren Vergangenheiten herüberklingt. -
Wenn ich hart werden wollte, müßte ich sagen: Diese Tragi¬
4 komödie ist eine schöne Leiche Aber weil Schnitzlers Sommer einen
ten, silbernen Glanz auch über die Müdigkeit seines Herbstes
weft, will ich sie lieber mit einem schlafenden Dornröschen verlgeichen,
das nichts Schreckhaftes an sich hat dem aber, nach menschlicher
Voraussicht kein Märchenprinz jemals zum Leben verhelfen wird.
A. W.
(Fortsetzung in der 1. Beilage.)