II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 223

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24. Das seite Land

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sunserer Première zu bleiben — wäre der Fall eckiger, dürfe, beinahe das ganze historische Drama erschlagen
hätten. Konsequent sind die Herrschaften nur in ihrer
Berliner Theater.
fast rechtswinkelig, erledigt worden, in dem weiten
Land der Seele hätten sich die Gegensätze härter, un= hämischen Ungerechtigkeit gegen Alles, was sie nicht
(Original=Feuilleion des „Neues Pester Journal“.)
selbst entdeckt haben, was sie nicht zu ihrer eigenen
vermittelter nebeneinander gezeigt, und der Zusammen¬
Berlin, 16. Oktober.
Angelegenheit machen können.
prall wäre früher erfolgt, das heißt mit anderen
Das erste große Ereigniß der literarischen
Also Schnitzler ist in jenen Wiener Gesell¬
Worten, die Uebergänge, das sich Selbsthinüber¬
Berliner Theatersaison ist vorüber. Im Lessing¬
Theater hat Direktor Brahm dem österreichischen lphilosophiren von Gut zu Bösem und wieder zurück, schaftsschichten geblieben, in denen eine Villa etwa
Fnter seinen großen Hausdichtern den Vortritt ge=wäre auf ein Mindestmaß beschränkt geblieben und im Helenthal und eine Sommerreise etwa in die
die literarischen Berliner Scharfrichter hätten sich nicht Dolomiten zur normalen Lebensführung gehört. In
lassen und am gleichen Tage mit einer Reihe anderer
deutscher Städte Arthur Schnitzler's neue Tragi=darüber zu beklagen gehabt, daß zu spät geschossen Kreisen, in denen die Männer zwar fleißig arbeiten,
in ihren Berufen etwas leisten, Geld machen,
Fkomödie „Das weite Land“ zur Uraufführung ge=wird. In der Heimath Schnitzler's liegt es dem Em¬
pfinden näher, zu wünscheDichter lieber ganz künstlerische Neigungen haben, über sich und das
bracht. Dabei ist nach dem berühmten Worte das
ohne Schüsse ausgekommen wäre. Es ist charakteristisch, Leben nachdenken, in den Pausen aber ihre Frauen
Publikum durchgefallen und die Berliner Kritik zeigt
daß die große Berliner Kritik, darunter sogar Hof= und ihre Freunde betrügen, kurz ihre Erotik wie
blos mehr oder weniger Muth in der Form, hinter
etwas Fremdes, von ihrem ganzen übrigen Charakter
rath Dr. Paul Schlenther, der frühere Direktor des
der sie die Ungeklärtheit ihres Verhältnisses zu diesem
Wiener Burgtheaters, fast ausnahmslos an der spe=weit Getrenntes behandeln und gegen ihren eigenen
sicherlich reifsten Stücke Schnitzler's verbirgt. Freilich
Egoismus schließlich selbst wehrlos werden. Davon,
ziellen Fabel des Stückes herumkritisiren und gar
haben die Berliner dabei die Entschuldigung, daß
wie einem Manne dieser Art sein eigener Egoismus
nicht den Versuch machen, dem Publikum zum Ver¬
ihnen das absolut wienerische Milieu, in dem
zum Verhängniß wird, wie das Chaos in seiner
ständniß jener Absichten des Dichters zu verhelfen,
Schnitzler seine Probleme knüpft und löst, nicht ver¬
Seele, in dem Liebe und Trug, Treue und Treu¬
traut sein kann, und man kann sie nicht zu harr um derenwillen diese Fabel erfunden wurde. Und daß
dafür anfassen, daß sie nicht merken wollten, wie fast Niemand von der unerhörten Grazie dieses er=losigkeit dicht nebeneinander hausen, ihn völlig aus
gut sich alles das, was sie da zu sehen und zu hören fahrungsschweren Dialogs und der verblüffenden tech= dem Geleise seines Lebens schleudert, davon so
nischen Meisterschaft des Aufbaues der Steigerung im Großen und Ganzen handelt dieses Stück.
bekamen, auf ihre eigenen bürgerlichen Herrenmenschen
und der Stimmungsplastik spricht. Noch weniger aber Es will der Weltanschauung des Dichters zum
in Berlin W. anwenden läßt, wenn man das
kann man eine Kritik verstehen, die einem Dichter Ausdruck verhelfen, daß die ungeheure Komplizirtheit
gewisse Weiche, die „mollerte“ Fettschicht wegnimmt,
unentwegt den Vorwurf macht, daß er die Poesie der Menschen und ihre Abhängigkeit von Vorgängen,
die sich um die Brutalität der Wiener Erotiker
seiner Weltanschauung aus jener Umgebung heraus= die sich in den Nerven abspielen, und von Trieb¬
herum angesetzt hat. Der Kern der Personen, die
zugestalten versucht, aus jenen Menschen heraus, mit kräften im Unterbewußtsein, über die man nicht Herr
Pferdekräfte der Motoren ihrer Sinnlichkeit und die
denen er lebt und deren halb gedachte Gedanken und ist, weil man sie nicht fassen kann, die sittliche Wer¬
Ressourcen ihres Milieus, sind in der Hauptstadt des
halb verdeckte Gefühle sich ihm offenbaren, als ob siethung ihrer Thaten bis ins Groteske erschwert; daß
deutschen Reiches natürlich die gleichen wie in dem
für ihn nur mit Glas umschlossen wären. Und diesen die Grundlage, auf der dieser Beweis aufgebaut wer¬
Wien Schnitzler's, wie in Paris, London oder Buda¬
den soll, ein erotischer ist, ist einerseits bei Schnitzler
pest. Aber, zugestanden das Tempo, in dem sich diese Vorwurf machen ihm dieselben Kritiker, die helfend
natürlich — diese Probleme halten ihn ja von jeher
Ereignisse in den verschiedenen Großstädten aus den= und trompetend an der Wiege des Naturalismus
selben Charakteren heraus entwickeln würden, wäre gestanden haben, und mit der Forderung, daß ein umklammert —, andererseits ist es hier auch deshalb
ein verschiedenes. In Berlin — um am Thatort! Dichter nur aus eigener Anschauung herausgestaltenl entschuldbar, weil von den beiden Grundkräften Hunger
Die heutige Nummer umfaßt 32 Seiten.