flächliches Interesse an
der Entwicklung der Schaubühne nehmen. In Reinhardt ist das
Bedürfnis nach einer mächtigen Resonanz immer dringender ge¬
worden, und es ist gar nicht so unbegreiflich, daß er nach der Episode
der intimsten Kammerspielkunst in das Extrem des Volkstheaters
der großen Massen verfiel. So rückhaltlos und ausschließlich hat er
sich diesem Gedanken hingegeben, daß man in der Tat derzeit im
Deutschen Theater und in den Kammerspielen seines reichen
Künstlergeistes kaum noch einen Hauch verspürt. Er ist ganz der
Mann der Zirkusaufführungen geworden und reist als eifrigster
Propagandist seines neuen Glaubens unermüdlich durch die Lande.
Das Dogma dieses neuen Glaubens aber hat kürzlich einer seiner
Apostel also formuliert: „Bewegungen, die zwischen den Einzelnen,
den Spielern, entstanden sind, werden von den Hunderten, dem
Chor, aufgenommen; die Linien werden größer, der Rhythmus
klarer, die Erregungen des Individuums erhöhen sich zu Mensch¬
heitsgefühlen. Zuletzt ergreifen sie die Tausende, den stummen
Chor, das Volk — die Zuschauer. Aber lugt nicht schon durch
diese Formulierung hindurch das Gespenst der Schablonisierung?
Wir haben Reinhardts „Odipus“ in der Arena erlebt und waren
größtenteils verblüfft durch die Kühnheit des Gedankens und die
Neuartigkeit seiner praktischen Ausführung. Jetzt, 100 wir =
zuvem mit erheblicher Verspätung nach München — auch des
Aschylos' „Orestie“ in die Manege verpflanzt sehen, fällt für
uns der Reiz sensationeller Neuheit weg, und die Möglichkeit der
Vergleiche mit jenem ersten Zirkusbedüt schärft den Blick für die
kritische Unterscheidung. Und da machte es nun der Freitagabend
im Zirkus Schumann klar, daß für Reinhardts Schritt von der
Bühne zur Arena im letzten Grunde nur etwas ganz Außerliches
bestimmend gewesen sein wird: die Überzeugung, auf diesem Boden
von seiner hervorragenden choreographischen Begabung einen viel
ausgedehnteren Gebrauch machen zu können. Es ist eine nicht weg¬
zuleugnende, durch die Zwiespältigkeit der Darstellung unwider¬
leglich erwiesene Tatsache, daß der Chor und seine rhyihmische Ab¬
könung in Sprache und Bewegung für Reinhardt den Angelpunkt
seiner Regietätigkeit bedeuten, daß ihm diese reflektierende Bei¬
läufigkeit mehr gilt als das Drama selbst. Es ist im Grunde
herzlich gleichgültig, ob er den Aschylos in einer übersetzung von
Vollmoeller oder von irgend einem gelehrten altklassischen Philo¬
logen spielt: der Geist der Dichtung gibt ihm keine bestimmenden
Momente für den Charakter der Inszenierung, — es ist nur das
äußere Zubehör, das er mit effektvoller Opernhaftigkeit heraus¬
arbeitet. So bleiben in der Erinnerung einige höchst raffinierte
optische und akustische Wirkungen haften, aber von einem er¬
schütternden Gesamteindruck kann keine Rede sein. Fast könnte
man vermuten, daß Reinhardt die Nebensächlichkeiten absichtlich
so prinzipiell zur Hauptsache macht, weil er fühlt, daß er den
dramatischen Gehalt der Dichtung mit seinen Darstellern doch nicht
ausschöpfen kann. In der Besetzung wenigstens, in der er hier die
„Orestie aufführte, wurden außer dem Orestes (Herr Moissi) und
der Kassandra (Fräulein Dietrich) Leistungen geboten, die dem
Aschylos bald mit einer beinahe parodistischen Pathetik, bald mit
den simpelsten Konversationstönen beizukommen trachteten und
nirgends auch nur bescheidene Anzeichen von einer einheitlichen
Stilabsicht des Regisseurs erkennen ließen.
Wie verständnisvoll und innig war dagegen das Regisseur¬
bemühen um Arthur Schnitzlers neues Werk „Das weite
Land“, das Sonnabend abend im Lessing=Theater, zugleich mit
einer Reihe auswärtiger Bühnen, die erste Aufführung erlebte. Da
zu ihnen auch das Hamburger Deutsche Schauspielhaus gehört,
braucht hier über den Inhalt des Stückes nichts gesagt zu werden.
Das viele Ungreifbare und Unbegreifbare, das die langen fünf
Akte bergen, bringt die schauspielerische Interpretation oftmals in
arge Verlegenheit. Da es dem Dichter nicht gelang, die seelische
Kompliziertheit seines Helden, die auch das Wesensmerkmal der
Gattin ist, künstlerisch zu klären, erwächst den beiden Darstellern
die wieder einmal von der eigenschöpferischen Bedeutung der Schau¬
spielkunst Zeugnis gebende Aufgabe, von der Notwendigkeit und
inneren Wahrhaftigkeit der Charaktere, von der Zuverlässigkeit der
Psychologie zu überzeugen. Was hier in dieser Hinsicht Herr
Monnard und Frau Triesch leisteten, scheint kaum überboten
werden zu können. Durch eine unendlich feine und graziöse
Nuancenkunst erhellten sie immer neue, dunkle und geheimnisvolle
Abgründe des weiten Landes der Seele, fanden da, wo der Dichter
gewissermaßen nur geistreiche Erklärungen über die Geographie der
Liebe gab, echte Laute unmittelbaren Erlebens und zwangen so
die Hörer, den überraschenden Schritt von der plaudernden Komödie
zur urplötzlich aufgepfropften, der überkommenen Requisiten sich
bedienenden Tragödie in fast nachtwandlerischer Willenlosigkeit mit¬
zutun. So wurde geradezu eine Spannung auf die Entwicklung
der Handlung erzeugt. Gewiß nichts Geringes bei diesem Dichter
der Handlungslosigkeit. Aber wie sein innerer Reichtum es ihm
vergönnt, in fünf Akten ohne Handlung auszukommen, so vermag
die ganz auf innere Wirkungen gerichtete Schauspielkunst des
Leisina=Theaters auch solchem. des feiten dramatischen Gerüstes
entbehrenden Werke die Glaubhaftigkeit realer Existenzmöglichkeit
zu geben. Es ist eine innere Verwandtschaft, die Brahm immer
wieder zu Schnitzler hinzieht. Sie begegnen sich irgendwo im
weiten Lande der Seele.
Vanziger neueste Nachrichten.
M7 10 1911
Der neue Schnitzler.
Man schreibt uns aus Berlin: „Die Seele ist
ein weites Land. Unter diesem Motto vereinigt
[Schnitzler in seinem neuen Drama, der fünf¬
aktigen Tragikomödie „Das weite Land“, die
lam Sonnabend ihre Erstausführung im Lessing¬
[Theater erlebte, die Lebenswege und Seelenschick¬
sale einer ganzen Reihe von Menschen. Ein Aus¬
schnitt aus der modernen österreichischen Gesellschaft,
bald im Sommeraufenthalt zu Baden bei Wien, bald
in einem fashionablen Tiroler Hotel am Völser
Weiher, spiegelt sich in einem bunten Kranz
von psychologischen Auseinandersetzungen und an¬
mutigen Causerien, in denen der Schöpfer des
„Anatol“ heute der unerreichte Meister ist. Diese
Kunst der feinen, innerlich belebten Dialogführung,
getragen von einer resignierten, tiefsinnig plaudern¬
den Lebensweisheit, muß nun hinweghelfen über
die mancherlei Schwächen und Rätsel in Handlung
und Charakterzeichnung des neuen Werkes. So viel
man auch noch von dem Feminismus Schnitzlers
und seinem Kult des „süßen Mädels“ reden mag, so
zist doch längst das eigentliche Problam seines Schaf¬
fens der Mann geworden, den ## seinem „ein¬
ssamen Weg“ und dem „Ruf des Levens“ in allen
schwankenden Zwielichtdämmerungen des „weite#
Landes“ dargestellt. Diesmal hat er nun noch tie:
sin das Wesen des stärkeren Geschlechtes sich hinein¬
fühlen wollen; es war sein Ziel, bis zu jenem Uner¬
gründlichen, triebhaft Dämonischen der männlichen
Psyche vorzudringen, wo die Urkräfte primitiver
Leidenschaft noch ungebrochen walten. „Du verstehst
mich nicht“, ruft der Held, Friedrich Hofreiter, im
Schlußakt seiner Frau zu, „in mich sieht keiner hin¬
ein, keiner!“ Er hat sie betrogen, seit Jahren, diese
gute und kluge Frau, die ihn liebt und darum einen
Verehrer in den Tod gehen läßt; nun steht für ihn,
den Anbeter des Lebens und Genusses, der Totef
zwischen ihnen; er begreift nicht, warum seine Fraus#
ihm streu blieb und jener sterben mußte. Weiter
stürmt er auf seiner Bahn des gierigen Zugreifens
und Festhaltens, verführt ein frühreif unreifes
Mädel, das sein bester Freund sich zur Gattin er¬
sehnt. Aber als seine Frau nun die ihr so oft frei¬
gestellte „Revanche“ nimmt und einen jungen Fähn¬
rich mit ihrer Liebe bealückt, erträgt er es doch nicht,
sondern schießt den Liebhaber über den Haufen.]
Warum? Aus einem Rückfall in die alte Konven¬
tion, von der er sich losgesagt, aus großer Liebe zu
seiner Frau, die plötzlich mit Macht durchbricht, aus
Eitelkeit, um nicht „der Dumme“ zu sein, aus einer
Laune, die das Raubtier=Element des Ewig=Männ¬
lichen erweckt? Von allem diesem wird etwas ange¬
deutet und eben dieses schillernde Zwiespältige haftet
überhaupt dem Charakter und dem Stil des ganzen
Dramas an. Die Gestalt eines Mannes, in dem
die alten Instinkte des Geschlechts die Schranken
seiner Kultur zertrümmern, ist gewiß eine tief¬
tragische Erscheinung. Schnitzler aber nennt= sein
Stück „Tragikomödie“ und rückt dadurch die Gestal¬
8
#ten in eine ungewiß spielerische Beleuchtung.
sist nun einmal Untreue und rücksichtslose Genu߬
sucht das Wesen des Mannes, Polygamie sein Ele¬
ment, seine Tugend Ausleben seiner Kraft; das sagt
Episodengestalt eines anderen „Unge¬
auch
treuen“. Aber wenn der Vertreter dieses Nietzsche¬
schen Uebermenschentums seine Ueberlegenheit im
Stück stets nur dadurch beweist, daß er im Tennis
siegt, so kommt ein komisch ironischer Zug hinein,
der durch die satirische Schilderung der Episoden¬
figuren noch verstärkt wird. Die Frauen, die Gat¬
tin Hofreiters, das junge Mädchen, das er verführt,
die Mutter des im Duell getöteten Liebhabers, sie
stehen diesmal alle im Schatten und dienen nur da¬
zu, das Wesen der Männer in einem gebrochenen
Lichte wiederzuspiegeln. So tragen Form wie In¬
halt dieses Werkes etwas unsicher Schwankendes,
und lassen nur leise jene Schnitzler eigentümliche
Stimmung anklingen, die aus Ironie und Wehmut
gemischt ist, die äußerlich kalt berechnet und innerlich
so leidenschaftlich heiß ist. Die Aufführung war
sehr aut, die Aufnahme aber ziemlich kühl, da das
Publikum keine Klarheit über das Wesen des Hel¬,
den gewinnen konnte. An dieser Unzulänglichkeit!“
in der Zeichnung der Hauptrolle scheiterte auch ihr
Darsteller, Heinz Monnard, der mit Irene Triesch
zusammen die stärkste schauspielerische Leistung des,
Dr. P. L.
Abends bot.
K
der Entwicklung der Schaubühne nehmen. In Reinhardt ist das
Bedürfnis nach einer mächtigen Resonanz immer dringender ge¬
worden, und es ist gar nicht so unbegreiflich, daß er nach der Episode
der intimsten Kammerspielkunst in das Extrem des Volkstheaters
der großen Massen verfiel. So rückhaltlos und ausschließlich hat er
sich diesem Gedanken hingegeben, daß man in der Tat derzeit im
Deutschen Theater und in den Kammerspielen seines reichen
Künstlergeistes kaum noch einen Hauch verspürt. Er ist ganz der
Mann der Zirkusaufführungen geworden und reist als eifrigster
Propagandist seines neuen Glaubens unermüdlich durch die Lande.
Das Dogma dieses neuen Glaubens aber hat kürzlich einer seiner
Apostel also formuliert: „Bewegungen, die zwischen den Einzelnen,
den Spielern, entstanden sind, werden von den Hunderten, dem
Chor, aufgenommen; die Linien werden größer, der Rhythmus
klarer, die Erregungen des Individuums erhöhen sich zu Mensch¬
heitsgefühlen. Zuletzt ergreifen sie die Tausende, den stummen
Chor, das Volk — die Zuschauer. Aber lugt nicht schon durch
diese Formulierung hindurch das Gespenst der Schablonisierung?
Wir haben Reinhardts „Odipus“ in der Arena erlebt und waren
größtenteils verblüfft durch die Kühnheit des Gedankens und die
Neuartigkeit seiner praktischen Ausführung. Jetzt, 100 wir =
zuvem mit erheblicher Verspätung nach München — auch des
Aschylos' „Orestie“ in die Manege verpflanzt sehen, fällt für
uns der Reiz sensationeller Neuheit weg, und die Möglichkeit der
Vergleiche mit jenem ersten Zirkusbedüt schärft den Blick für die
kritische Unterscheidung. Und da machte es nun der Freitagabend
im Zirkus Schumann klar, daß für Reinhardts Schritt von der
Bühne zur Arena im letzten Grunde nur etwas ganz Außerliches
bestimmend gewesen sein wird: die Überzeugung, auf diesem Boden
von seiner hervorragenden choreographischen Begabung einen viel
ausgedehnteren Gebrauch machen zu können. Es ist eine nicht weg¬
zuleugnende, durch die Zwiespältigkeit der Darstellung unwider¬
leglich erwiesene Tatsache, daß der Chor und seine rhyihmische Ab¬
könung in Sprache und Bewegung für Reinhardt den Angelpunkt
seiner Regietätigkeit bedeuten, daß ihm diese reflektierende Bei¬
läufigkeit mehr gilt als das Drama selbst. Es ist im Grunde
herzlich gleichgültig, ob er den Aschylos in einer übersetzung von
Vollmoeller oder von irgend einem gelehrten altklassischen Philo¬
logen spielt: der Geist der Dichtung gibt ihm keine bestimmenden
Momente für den Charakter der Inszenierung, — es ist nur das
äußere Zubehör, das er mit effektvoller Opernhaftigkeit heraus¬
arbeitet. So bleiben in der Erinnerung einige höchst raffinierte
optische und akustische Wirkungen haften, aber von einem er¬
schütternden Gesamteindruck kann keine Rede sein. Fast könnte
man vermuten, daß Reinhardt die Nebensächlichkeiten absichtlich
so prinzipiell zur Hauptsache macht, weil er fühlt, daß er den
dramatischen Gehalt der Dichtung mit seinen Darstellern doch nicht
ausschöpfen kann. In der Besetzung wenigstens, in der er hier die
„Orestie aufführte, wurden außer dem Orestes (Herr Moissi) und
der Kassandra (Fräulein Dietrich) Leistungen geboten, die dem
Aschylos bald mit einer beinahe parodistischen Pathetik, bald mit
den simpelsten Konversationstönen beizukommen trachteten und
nirgends auch nur bescheidene Anzeichen von einer einheitlichen
Stilabsicht des Regisseurs erkennen ließen.
Wie verständnisvoll und innig war dagegen das Regisseur¬
bemühen um Arthur Schnitzlers neues Werk „Das weite
Land“, das Sonnabend abend im Lessing=Theater, zugleich mit
einer Reihe auswärtiger Bühnen, die erste Aufführung erlebte. Da
zu ihnen auch das Hamburger Deutsche Schauspielhaus gehört,
braucht hier über den Inhalt des Stückes nichts gesagt zu werden.
Das viele Ungreifbare und Unbegreifbare, das die langen fünf
Akte bergen, bringt die schauspielerische Interpretation oftmals in
arge Verlegenheit. Da es dem Dichter nicht gelang, die seelische
Kompliziertheit seines Helden, die auch das Wesensmerkmal der
Gattin ist, künstlerisch zu klären, erwächst den beiden Darstellern
die wieder einmal von der eigenschöpferischen Bedeutung der Schau¬
spielkunst Zeugnis gebende Aufgabe, von der Notwendigkeit und
inneren Wahrhaftigkeit der Charaktere, von der Zuverlässigkeit der
Psychologie zu überzeugen. Was hier in dieser Hinsicht Herr
Monnard und Frau Triesch leisteten, scheint kaum überboten
werden zu können. Durch eine unendlich feine und graziöse
Nuancenkunst erhellten sie immer neue, dunkle und geheimnisvolle
Abgründe des weiten Landes der Seele, fanden da, wo der Dichter
gewissermaßen nur geistreiche Erklärungen über die Geographie der
Liebe gab, echte Laute unmittelbaren Erlebens und zwangen so
die Hörer, den überraschenden Schritt von der plaudernden Komödie
zur urplötzlich aufgepfropften, der überkommenen Requisiten sich
bedienenden Tragödie in fast nachtwandlerischer Willenlosigkeit mit¬
zutun. So wurde geradezu eine Spannung auf die Entwicklung
der Handlung erzeugt. Gewiß nichts Geringes bei diesem Dichter
der Handlungslosigkeit. Aber wie sein innerer Reichtum es ihm
vergönnt, in fünf Akten ohne Handlung auszukommen, so vermag
die ganz auf innere Wirkungen gerichtete Schauspielkunst des
Leisina=Theaters auch solchem. des feiten dramatischen Gerüstes
entbehrenden Werke die Glaubhaftigkeit realer Existenzmöglichkeit
zu geben. Es ist eine innere Verwandtschaft, die Brahm immer
wieder zu Schnitzler hinzieht. Sie begegnen sich irgendwo im
weiten Lande der Seele.
Vanziger neueste Nachrichten.
M7 10 1911
Der neue Schnitzler.
Man schreibt uns aus Berlin: „Die Seele ist
ein weites Land. Unter diesem Motto vereinigt
[Schnitzler in seinem neuen Drama, der fünf¬
aktigen Tragikomödie „Das weite Land“, die
lam Sonnabend ihre Erstausführung im Lessing¬
[Theater erlebte, die Lebenswege und Seelenschick¬
sale einer ganzen Reihe von Menschen. Ein Aus¬
schnitt aus der modernen österreichischen Gesellschaft,
bald im Sommeraufenthalt zu Baden bei Wien, bald
in einem fashionablen Tiroler Hotel am Völser
Weiher, spiegelt sich in einem bunten Kranz
von psychologischen Auseinandersetzungen und an¬
mutigen Causerien, in denen der Schöpfer des
„Anatol“ heute der unerreichte Meister ist. Diese
Kunst der feinen, innerlich belebten Dialogführung,
getragen von einer resignierten, tiefsinnig plaudern¬
den Lebensweisheit, muß nun hinweghelfen über
die mancherlei Schwächen und Rätsel in Handlung
und Charakterzeichnung des neuen Werkes. So viel
man auch noch von dem Feminismus Schnitzlers
und seinem Kult des „süßen Mädels“ reden mag, so
zist doch längst das eigentliche Problam seines Schaf¬
fens der Mann geworden, den ## seinem „ein¬
ssamen Weg“ und dem „Ruf des Levens“ in allen
schwankenden Zwielichtdämmerungen des „weite#
Landes“ dargestellt. Diesmal hat er nun noch tie:
sin das Wesen des stärkeren Geschlechtes sich hinein¬
fühlen wollen; es war sein Ziel, bis zu jenem Uner¬
gründlichen, triebhaft Dämonischen der männlichen
Psyche vorzudringen, wo die Urkräfte primitiver
Leidenschaft noch ungebrochen walten. „Du verstehst
mich nicht“, ruft der Held, Friedrich Hofreiter, im
Schlußakt seiner Frau zu, „in mich sieht keiner hin¬
ein, keiner!“ Er hat sie betrogen, seit Jahren, diese
gute und kluge Frau, die ihn liebt und darum einen
Verehrer in den Tod gehen läßt; nun steht für ihn,
den Anbeter des Lebens und Genusses, der Totef
zwischen ihnen; er begreift nicht, warum seine Fraus#
ihm streu blieb und jener sterben mußte. Weiter
stürmt er auf seiner Bahn des gierigen Zugreifens
und Festhaltens, verführt ein frühreif unreifes
Mädel, das sein bester Freund sich zur Gattin er¬
sehnt. Aber als seine Frau nun die ihr so oft frei¬
gestellte „Revanche“ nimmt und einen jungen Fähn¬
rich mit ihrer Liebe bealückt, erträgt er es doch nicht,
sondern schießt den Liebhaber über den Haufen.]
Warum? Aus einem Rückfall in die alte Konven¬
tion, von der er sich losgesagt, aus großer Liebe zu
seiner Frau, die plötzlich mit Macht durchbricht, aus
Eitelkeit, um nicht „der Dumme“ zu sein, aus einer
Laune, die das Raubtier=Element des Ewig=Männ¬
lichen erweckt? Von allem diesem wird etwas ange¬
deutet und eben dieses schillernde Zwiespältige haftet
überhaupt dem Charakter und dem Stil des ganzen
Dramas an. Die Gestalt eines Mannes, in dem
die alten Instinkte des Geschlechts die Schranken
seiner Kultur zertrümmern, ist gewiß eine tief¬
tragische Erscheinung. Schnitzler aber nennt= sein
Stück „Tragikomödie“ und rückt dadurch die Gestal¬
8
#ten in eine ungewiß spielerische Beleuchtung.
sist nun einmal Untreue und rücksichtslose Genu߬
sucht das Wesen des Mannes, Polygamie sein Ele¬
ment, seine Tugend Ausleben seiner Kraft; das sagt
Episodengestalt eines anderen „Unge¬
auch
treuen“. Aber wenn der Vertreter dieses Nietzsche¬
schen Uebermenschentums seine Ueberlegenheit im
Stück stets nur dadurch beweist, daß er im Tennis
siegt, so kommt ein komisch ironischer Zug hinein,
der durch die satirische Schilderung der Episoden¬
figuren noch verstärkt wird. Die Frauen, die Gat¬
tin Hofreiters, das junge Mädchen, das er verführt,
die Mutter des im Duell getöteten Liebhabers, sie
stehen diesmal alle im Schatten und dienen nur da¬
zu, das Wesen der Männer in einem gebrochenen
Lichte wiederzuspiegeln. So tragen Form wie In¬
halt dieses Werkes etwas unsicher Schwankendes,
und lassen nur leise jene Schnitzler eigentümliche
Stimmung anklingen, die aus Ironie und Wehmut
gemischt ist, die äußerlich kalt berechnet und innerlich
so leidenschaftlich heiß ist. Die Aufführung war
sehr aut, die Aufnahme aber ziemlich kühl, da das
Publikum keine Klarheit über das Wesen des Hel¬,
den gewinnen konnte. An dieser Unzulänglichkeit!“
in der Zeichnung der Hauptrolle scheiterte auch ihr
Darsteller, Heinz Monnard, der mit Irene Triesch
zusammen die stärkste schauspielerische Leistung des,
Dr. P. L.
Abends bot.
K