II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 226

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Ausschnitt glsiburger Nachrichten
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Kp. IAschylos und Schnitzler.1 Unser Berliner Korrespondent
schreidt uns: S### Berlin entstanden sind,
fruchtbare Anregungen literarischer und dramatischer Art gehen
im Grunde doch nur von zweien aus. Ja, nach der Uraufführung
von Herbert Eulenbergs „Alles um Geld“ im Lessing=Theater
meinte unter dem Einflusse der wundersam differenzierten Dar¬
stellung der Kritiker Kerr, dieses Theater sei das einzige, das man,
aus den Ferien zurückgerehrt, eigentlich sehen könne. Aber man
darf schon weniger exklusiv sein und außer Herrn Dr. Brahm vom
Lessing=Theater auch Herrn Professor Reinhardt vom Deutschen
Theater zugestehen, daß er ein Mann der Anregungen, ein sich
emsig um die tieferen Probleme des Theaters Mühender ist. Frei¬
lich, seine laute, rastlose, fahrige Art steht in einem schroffen
Gegensatze zu der fast kühlen, kritischen Gelassenheit seines ehe¬
maligen Meisters, und diese Gegensätzlichkeit erklärt es, daß Rein¬
hardt der Mann der Jugend ist, Brahm der Mann der Gereiften,
so weit diese heute noch ein mehr als oberflächliches Interesse an
der Entwicklung der Schaubühne nehmen.e In Reinhardt ist das
Bedürfnis nach einer mächtigen Resonanz immer dringender ge¬
worden, und es ist gar nicht so unbegreiflich, daß er nach der Episode
der intimsten Kammerspielkunst in das Extrem des Volkstheaters
der großen Massen verfiel. So rückhaltlos und ausschließlich hat er
sich diesem Gedanken hingegeben, daß man in der Tat derzeit im
Deutschen Theater und in den Kammerspielen seines reichen
Künstlergeistes kaum noch einen Hauch verspürt. Er ist ganz der
Mann der Zirkusaufführungen geworden und reist als eifrigster
Propagandist seines neuen Glaubens unermüdlich durch die Lande.
Das Dogma dieses neuen Glaubens aber hat kürzlich einer seiner
Apostel also formuliert: „Bewegungen, die zwischen den Einzelnen,
den Spielern, entstanden sind, werden von den Hunderten, dem
Chor, aufgenommen; die Linien werden größer, der Rhythmus
klarer, die Erregungen des Individuums erhöhen sich zu Mensch¬
heitsgefühlen. Zuletzt ergreifen sie die Tausende, den stummen
Chor, das Volk — die Zuschauer. Aber lugt nicht schon durch
diese Formulierung hindurch das Gespenst der Schablonisierung?
Wir haben Reinhardts „Odipus“ in der Arena erlebt und waren
größtenteils verblüfft durch die Kühnheit des Gedankens und die
it
Neuartigkeit seiner praktischen Ausführung, glebt, 129 w
18.
grenah.
zudem mit erheblicher Verspätung nach München — auch des
Aschylos' „Orestie“ in die Manege verpflanzt sehen, fällt für
uns der Reiz sensationeller Neuheit weg, und die Möglichkeit der
Vergleiche mit jenem ersten Zirkusbedüt schärft den Blick für die
kritische Unterscheidung. Und da machte es nun der Freitagabend
im Zirkus Schumann klar, daß für Reinhardts Schritt von der
Bühne zur Arena im letzten Grunde nur etwas ganz Außerliches
bestimmend gewesen sein wird: die Überzeugung, auf diesem Boden
von seiner hervorragenden choreographischen Begabung einen viel
ausgedehnteren Gebrauch machen zu können. Es ist eine nicht weg¬
zuleugnende, durch die Zwiespältigkeit der Darstellung unwider¬
leglich erwiesene Tatsache, daß der Chor und seine rhythmische Ab¬
tönung in Sprache und Bewegung für Reinhardt den Angelpunkt
seiner Regietätigkeit bedeuten, daß ihm diese reflektierende Bei¬
läufigkeit mehr gilt als das Drama selbst. Es ist im Grunde
herzlich gleichgültig, ob er den Aschylos in einer übersetzung von
Vollmoeller oder von irgend einem gelehrten altklassischen Philo¬
logen spielt: der Geist der Dichtung gibt ihm keine bestimmenden
Momente für den Charakter der Inszenierung, — es ist nur das
äußere Zubehör, das er mit effektvoller Opernhaftigkeit heraus¬
arbeitet. So bleiben in der Erinnerung einige höchst raffinierte
optische und akustische Wirkungen haften, aber von einem er¬
schütternden Gesamteindruck kann keine Rede sein. Fast könnte
man vermuten, daß Reinhardt die Nebensächlichkeiten absichtlich
so prinzipiell zur Hauptsache macht, weil er fühlt, daß er den
dramatischen Gehalt der Dichtung mit seinen Darstellern doch nicht
ausschöpfen kann. In der Besetzung wenigstens, in der er hier die
„Orestie aufführte, wurden außer dem Orestes (Herr Moissi) und
der Kassandra (Fräulein Dietrich) Leistungen geboten, die dem
Aschylos bald mit einer beinahe parodistischen Pathetik, bald mit
den simpelsten Konversationstönen beizukommen trachteten und
nirgends auch nur bescheidene Anzeichen von einer einheitlichen
Stilabsicht des Regisseurs erkennen ließen.
Wie verständnisvoll und innig war dagegen das Regisseur¬
bemühen um Arthur Schnitzlers neues Werk „Das weite
Land“, das Sonnabend abend im Lessing=Theater, zugleich mit
einer Reihe auswärtiger Bühnen, die erste Aufführung erlebte. Da
zu ihnen auch das Hamburger Deutsche Schauspielhaus gehört,
braucht hier über den Inhalt des Stückes nichts gesagt zu werden.
Das viele Ungreifbare und Unbegreifbare, das die langen fünf
Akte bergen, bringt die schauspielerische Interpretation oftmals in
arge Verlegenheit. Da es dem Dichter nicht gelang, die seelische
Kompliziertheit seines Helden, die auch das Wesensmerkmal der
Gattin ist, künstlerisch zu klären, erwächst den beiden Darstellern
die wieder einmal von der eigenschöpferischen Bedeutung der Schau¬
spielkunst Zeugnis gebende Aufgabe, von der Notwendigkeit und
inneren Wahrhaftigkeit der Charaktere, von der Zuverlässigkeit der
Psychologie zu überzeugen. Was hier in dieser Hinsicht Herr
Monnard und Frau Triesch leisteten, scheint kaum überboten
werden zu können. Durch eine unendlich feine und graziöse
mangeniit schaf