II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 231

ermsen sie
nicht Darsteller finden, die ihnen aus dem Reichtume der eigenen
Persönlichkeit ein genügendes Maß von Lebenswärme mitteilen
können. Im Lessing=Theater ist die Bedingung erfüllt.
Der Titel Das weite Land, wie eine der Hauptpersonen
des Stückes die menschliche Seele nennt, eröffnet eine weite
Perspektive. Aber Schnitzler umgrenzt ein Stück des weiten
Landes mit einem engen Kreise, auf dem wir zum Schlusse in
der Ferne den Ausgangspunkt wiedersehen: Sei er denn die
Untreue des Mannes in der Ehe.
Frauenliebe kann sie nie vergessen, und darum, eben weil
sie noch immer liebt, läßt sich die einmal betrogene Frau des
Doktors v. Aigner von ihrem Gatten scheiden. Sie widmet sich
der Kunst und der Erziehung ihres Sohnes. Ihr Gatte lebt fern
von ihr in den Dolomiten und beglückt das Gebirge mit
Hotels, Straßen, Bergpfaden und Schutzhütten. Gewiß muß
die geschiedene Frau zugeben, daß sie nicht gung verlassen un
einsam ist, weil ihr der Sohn, ein Marinefähnrich, geblieben
ist. Aber wie lange wird sie ihn haben? Auch Söhne werden
Männer. Und was das heißt, hat sie erfahren. Im Manne
wird sie den Sohn verlieren. Auch ihre Freundin Genia
Hofreiter wird von ihrem Gatten betrogen, so eifersüchtig er
auch seine Frau liebt. Auch sie hat einen Sohn, einen
erst dreizehnjährigen Knaben, der ihr lange Zeit noch Ersatz
sein könnte, wenn sie sich von ihrem Manne trennen würde.
Doch nicht so will sie den Treulosen strafen, dessen weites Herz
von neuem entflammt ist für eine junge Freundin des Hauses
Erna Wahl: Frau Genia ist eine weniger konventionelle
Natur, sie will einen andern Schritt tun als den üblichen, sie
will Revanche. Und sie revanchiert sich mit dem jungen
Marinefähnrich v. Aigner, der schwergeprüften Freundin
Sohn, ehe er eine lange Seereise antritt. Hofreiter
aber, der unvermutet von einem Ausfluge zurückkehrt,
entdeckt den Treubruch seiner Frau. Eitelkeit und Eifersucht
treiben ihn zum Aeußersten. Er will nicht der Dumme sein,
er duldet keinen neben sich. In einer Gesellschaft beleidigt er
den jungen Rivalen; es kommt zum Zweikampf, und der be¬
trogene Ehemann schießt den Fähnrich brutal nieder. Nichts
kann Genia nun noch an des Gatten Seite halten, selbst nicht
die Heimkehr ihres lang entbehrten Kindes; sie verläßt voll
Abscheu das Haus. Jetzt, wo alles für ihn aus ist,
zerreißt Hofreiter auch das Band, das ihn an Erna
fesselt. Ihre Liebe ist bereit, ihm überallhin zu folgen;
seine Liebe aber gehört nur einer, und die hat er verloren.
Noch steht er gebückt unter der Last des Unerwarteten, da ruft
der heimgekehrte Sohn vom Garten draußen „Mutter!“
Schmerzlich zuckt er zusammen; als aber der Knabe nun auch
„Vater“ ruft, stürzt er hinaus dem Sohne entgegen, aus dem
auch einmal ein Mann werden wird. Der Kreis schließt sich.
Irene Triesch verlieh der Genia alles, was sie ihr
von Eigenem geben konnte, um eine glaubhafte Gestalt von
Fleisch und Blut zu schaffen. Sie gab ihr mit stiller Melancholie
und leiser, vornehmer Scheu den Stempel inneren Leidens,
legte um ihre nervös beobachtenden Augen einen Strich von
Mißtrauen und in die ruhige Sicherheit der äußeren Haltung den
Ausdruck des Entschlusses. Im letzten Akte drückte sie mühl
sam verborgene, bange Unruhe mit beredter Mimik aus und
für Schmerz und Empörung echt menschliche Töne.
fand
Mit seelischer Feinheit ließ sie die Spannung sich lösen zu
jähem Erschrecken beim Eintreffen eines Telegramms und
mischte sie der Ruhe, als sie nur die Anmeldung des er¬
warteten Sohnes erhält, einen leisen Schatten von Enttäuschung
bei. Mit ihm aber deutete sie eine durch die Natur des
Weibes bedingte Wandlung in Genias Innerem wahr und zart
an. So gab sie einer im ganzen kaum wahrscheinlichen Gestalt
mit feinen Details Einzelzüge von Lebenswahrheit. Alle diese
Züge faßte sie zu einer fein abgewogenen Wesensmischung an¬
mutig zusammen. Heinz Monnard als angegrauter Lebe¬
mann Friedrich Hofreiter gab der festen Anlage des eifer¬
süchtigen Gatten und Don Juans reiche Färbung im Wechsel
der Stimmungen vom Verliebtheitstaumel bis zur letzten Er¬
kenntnis: „Aus!“ Emanuel Reicher machte aus dem
Dr. v. Aigner, so viel er aus ihm machen konnte, Mathilde
Sussin war bemüht, der Anna Meinhold=Aigner in
den wenigen Momenten, die dazu Gelegenheit boten,
etwas Wärme einzuflößen. Mit allzuviel Lebenskolorit
ergänzen.
freilich wußte sie ihre Rolle nicht zu
Mauer,
Hans Marr als braver Dr. Franz
Hilde Herterich als Erna Wahl, Ilka Grüning als
unermüdlich lorgnettierende und schwatzende Frau Wahl und
Kurt=Stieler als Marinefähnrich taten mit gutem Ge¬
lingen ihre Schuldigkeit. Von den kleineren Rollen waren
Bankier Natter bei Willy Froböse, der Tennisfex Paul
Kreindl bei Bruno Ziener, Schriftsteller Albertus Rhon
bei Karl Forest gut aufgehoben.
Inszenierung und Ausstattung trugen viel mit zu einem
höflichen Beifall am Schlusse bei.
Ueber die Aufnahme des Stückes in München wo es wie
auch in Wien, Prag, Hamburg und Leipzig zu gleicher Zeit seine“
Erstaufführung erlebte, wird uns geschrieben:
Breslauer Zeilun.
Premieren.
R
Berlin, 14. Oktober.
Das „Lessingtheater“, das an der lockenden Aufgabe, seinem
„Stammautor“ Arthur Schnitzler zum bevorstehenden fünfzigsten
Geburtstage den selten gespielten „jungen Medardus“ zu bescheren, vorüber¬
zugehen scheint, zog es vor, sich heute zugleich mit zwölf anderen deutschen
Bühnen an die fünfaktige Tragikomödie „Das weite Land“ zu halten.
Schnitzler ist auf Berliner Boden ein so gern gesehener Gast, daß er früher,
als ihn sein engeres Vaterland noch nicht als Propheten gelten ließ, seine
Bühnenwege immer von Berlin aus machte und nur im Falle „Schleier
der Beatrice" Breslau die Vorhand ließ. Man ist also hier auf des
Dichters ornamentale, arabeskenreiche Art, die verziert, wo sie — nach land¬
läufigen Begriffen — klarstellen, die kompliziert, wo sie vereinfachen sollte,
einigermaßen eingearbeitet. Dennoch wollte es am Sonnabend zu einem
herzlichen Konnex zwischen Bühne und Zuschauerraum durchaus nicht
kommen. Man engagierte sich leidenschaftlicher nur nach dem ersten Akt,
der eine so warm und lebhaft sprudelnde Quelle aller dieser verschlungenen“
Körper= und Seelenvorgänge ist. Später aber sank, wenn anders man den
Applaus als Stimmungsspiegel gelten lassen kann, die Temperatur der Mit¬
empfindung von Akt zu Akt. Die Schelmenstückchen und Schelmenworten
der „lustigen Personen“, die das „weiße Rößl=Milieu“ des dritten Aktess
tapezieren, fanden viele und laute Freunde: aber diese Teilnahme blieb
dann wieder der meinem Gefühl nach so starken Pointe des brünstigen:
„Ich liebe dich“, am Schlusse des dritten Aktes versagt. Kurz: als Otto
Brahm zum Schlusse vortrat, um die Grüße und den Dank des in Wien
weilenden Dichters auszurichten, schien mir dieser Dank wärmer, als der
Berliner Gegengruß, der ihn veranlaßte. ...
Die Darstellung hat freilich dem Werke auch nur teilweise gute Dienste
geleistet. Zumal die Robustheit des Herrn Heinz Monnard — er#
spielte den Fabrikanten Friedrich Hofreiter — ist nie und nimmer der
passende Reflektor für kränkelnde Nernensysteme. Auch ein paar Neben¬
rollen waren auffallend schlecht besetzt. Ausgezeichnet dagegen fand ich
Frau Triesch in der wehmütigen Befangenheit Genias, die eine „gute
Frau“ sein möchte und eine „galante Frau“ sein muß und Fräulein
Herterich in dem flackernden, kitzelnden Augenspiel, mit dem Erna Wahl
den Mann ihrer Liebe zum Zugreifen einladet. Herr Stieler und
Fräulein Sussin, Aigner Mutter und Sohn, standen mit vornehmster
Delikatesse im Hintergrund. Fräulein Grüning als geradezu schreiend
echte, gutmütig=taktlose, „betamte“ Wiener Jüdin, Herr Forest als
Fraunzender Poët in der Peter Altenberg=Maske hoben das Gesamtkolorit
ty.
durch die kräftigen Noten ihrer Komik.