II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 237

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24. Das seite-Land
winnen und einem Mädel den Kopf zu verdrehen. An
dieser „tragikomischen“ Einstellung des Problems ist die
volle Wirkung des Dramas gescheitert, und sie ward her¬
vorgerufen durch die Grenzen in Schnitzlers Talent. Er
wäre gar nicht imstande gewesen, eine einheitliche, un¬
gebrochene, nur im Handeln sich auslebende Natur zu
schildern; sein Gebiet ist das „weite Land“ der Seele, in
dessen Dämmerungen und Abgründen sich seine Phantasie
mit Lust verliert. Das eigentlich Erlebte in der Gestalt
des Helden, seine Gier, die sich an Jugend und Genuß
klammert, seine amoralische Kraft, tritt daher völlig zurück
gegen die geschmäcklerische Freude, mit der der Dichter das
hunte Gewirr der Nebensiguren psychologisch koloriert.
Er hält mit der kühlen Interessiertheit des Beobachters
diese Leutchen in der Hand, dreht und wendet sie nach allen
Seiten und enthüllt ihr Menschlich=Allzumenschliches bei
dieser Prozedur. In dem wundervoll geführten Dialog.
der wieder die unter unseren deutschen Dichtern Schnitzler
allein eigene Kunst der anmutig tiessinnigen Causerie zeigt,
erklingen weisheitsvolle Aphorismen, lyrisch schöne Spieg¬
lungen der Natur im „weiten Land“ der Seele, ergreifende
Worte von Sehnsucht, Liebe und Tod. — Ein echter Schnitz¬
ler ist dieses Stück trotz der Unsicherheit in Stil und
Charakterzeichnung, um seiner äußerlichen Kälte und
seiner innerlichen Wärme willen. — Die Berliner Auf¬
führung war recht gut; die beste schauspielerische Leistung
die Heinz Monnards, scheiterte an der Unzulänglichkeit
In Leipzig hat
dieses Schnitzlerschen Helden. P.
das Schnitzlersche Stück eine kühle Aufnahme gefunden.
Aleine Mitteilungen. Berlin. Die Königl. Hofoper hat
die Titelrolle im Rosenkavalier vierfach besetzt und
zwar mit den Damen Böhm=van Endert, Artot, Ober und Sava¬
Berlin. Der in Berlin=Schöneberg lebende Pianist
tini.
Emil Olbrich hat eine Verbesserung der Klaviaiur er¬
funden. Sie beschränkt sich auf die Erniedrigung der Obertasten,
ohne an den sonstigen Abmessungen der alten Klaviatur irgendwie
zu rütteln. Die Olbrich=Klaviatur gibt durch Veränderung in der
Drehpunktslage und richtige Ausbalancierung den Obertasten den
Fall und Druck der Untertasten, und da sich die Höhe der Obertasten
nach ihrem Fall richtet, erniedrigt sie diese um 3 bis 4 mm.
Bildende Kunst
* Wilhelm Bode über das „Scherbengericht der Kunste
historiker“ Es hat kein geringes Aufsehen erregt, als
Die
berühmte Landschaft
Rembrandts
Mühle, die jetzt nach Amerika verkauft worden ist, dem
Meister abgesprochen und als ein Werk des Aert de Gelder
oder des Herenles Seghers bezeichnet wurde. Die bei
Bruno Cassirer in Berlin erscheinende Monatsschrift Kunst
und Künstler hat eine Reihe der besten Rembrandt=Kenner
um ihre Meinung über die Echtheil des Werkes befragt.
Die Mehrzahl hält an Rembrandt als dem Maler der
Mühle fest. Besonders bemerkenswert ist der Beitrag Wil¬
helm Bodes, des Generaldirektors der preußischen Museen.
Wenn man diesem hervorragenden Kunstkenner wiederholt
Irrtümer in seinen Anläufen hat vorwersen wollen, so
rächt er sich jetzt an den Kunsthistoritern, indem er seiner¬
seits einmal nicht ohne Humor eine ganze Liste von Fällen
zusammenstellt, in denen Kunsthistoriker in kritischem Über¬
eiser große Meisterwerke für unecht erklärt haben. „Eines
möchte ich (so ruft er aus) noch erleben: ein Scherben¬
gericht der Kunsthistoriker. Dann melde ich mich
zum Tirektor der verdammten Bilder und Bildwerke
und ich wäre sicher, in wenig Jahren eine der schönsten
Sammlungen beisammen zu haben. Ich nenne nur einige
der durch die Scherben namhaftester Fachgelehrter als
kunst= oder namenlos verworsenen Kunstwerke.“ An der
Rhein- u. Rehrzeihrg, Dutsbür,
M7 10. 110
„Das weite Land“ von Artur Schuitlen—
Uraufführung im Berliner Lessingtheater,
Berlin, 16. Okt.
Man wußte es, bevor der Vorhang vor dem erlesenen
Publikum in die Höhe ging, daß uns Artur Schnitzler
mit seiner neuen Tragitomödie „Das weite Land“ keine
Ueberraschung bringen werde. Die Entwickelung dieses
Dichters ist schon lange zu ihrer Erfüllung gekommen,
und wird keine neuen Höhen mehr ersteigen. Aber es
wurde auch keine Entläuschung, dieser heilere und doch
nachdenkliche Weg in die weiten Gesilde der Seele, denn
sie ist das große unbekannte Land, in dem heute noch die
einzigen Wunder geschehen. Es liegt im Wesen solcher
Dramen, daß sie kein besonderes Interesse an einer starken
Handlung haben. Allerlei Menschenschicksale werden ge¬
zeigt, die einen nur in einer besonderen Entwicklungs¬
periode, die anderen in einem größeren Lebensausschnitt.
Im Zenith des Geschehens steht die Gestalt des großen
Liebhabers, der mit verändertem Gesicht fast in jedem
Schnitzlerschen Stück zu finden in, die Anatolfigur. Dies¬
mal machte der Dichter den Versuch, die Persönlichkeit
dieses Helden tiefer zu erschauen. Der Industrielle Hof¬
reiter hat ein viel verschlungenes Seelenleben; er verrät
seine Frau, so oft sein Blut rebellisch wird, und nimmt
es ihr keineswegs übel, wenn sie sich auf dieselbe Weise
revanchiert. Er spürt keine Spur von Eifersucht. Und
doch will er nicht „der Dumme“ sein, fordert den Liebhaber
und erschießt ihn! Er kennt keinen Zwang des Gewissens
und trotzdem vermag er über den Toten, den er nicht
gehaßt und doch getötet, seiner Gellebten nicht zu folgen.
Sein Leben zerbricht ihm unter den Händen, da er glaubte,
es am festesten zu halten.
Es sind keine sonderlich tiefbohrenden Probleme und
Erkenntnisse, die Schnitzler da aufgegriffen hat, aber er hat
eine seltene Art, alte Dinge in moderner Form neu zu
sagen. Unter glatter Decke berettet sich die Katastrophe
vor, bis sie plötzlich hereinbricht, mit wenig theatralischen
Requisiten, ohne Pose — ein paar Worte, Achselzucken und
die tragische Komödie eines Lebens fand ihr Ende. Ein
Drama von wenig äußerem Glanz, aber von einer guten
und starken Innerlichkeit.
Das Lessingtheater brachte eine Darstellung
heraus, die restlos alle Möglichkeiten ausschöpfte. Selbst
die kleinsten Rollen waren von besten Kräften besetzt —
so hatte Emannel Reicher kaum hundert Worte zu
sprechen — und es ergab sich eine Aufführung von einer
aufs feinste abgestimmten Einheitlichkeit. Die größeren
Rollen wurden von Heinz Monnard, Irene Tr
c
und Hilde Herterich getragen.
B.D.
Köngeleiger N. Nachrfohter
1710 1919
Schnitzlers neuestes Stück. „Das Bexliner Lessingtheater
hette seinen exsten großen-Dag in diefer Saison, als es am Sonnabend
zu Schnitzlers neuer Tragikomödie „Das weite Land“ die
vielen Freunde des Dichters lud. Es sind die wohlbekannten Probleme,
die Schnitzler in den Liebeswirren seiner Menschen sucht; aber dies¬
mal schaute er mit nachdenklichem, tiefdringendem Blick seinem Helden
ins Gemüt und gab so einen Charakter dessen Seele nicht restlos auf¬
geht in der Addition seiner galanten Abenteuer. Und diese Seele ist
das weite Land „darin der Dichter forschend umherstreift. Er findet
keine Beute in einer bunten Fülle trefflicher Gestalten, individuell ge¬
sehener Typen und in allerlei klugen besinnlichen Worten über die
Kunst des Lebens. Seine weltmännische Art. mit den schwersten
Dingen leicht und elegant zu spielen, und sie doch im Spiel selbst ernst
zu nehmen, macht auch sein neues Stück, das wieder in anderer Tö¬
nung, freilich in resignierendem Schlußakkord ausklingt, zu einem
reizvollen Gesellschaftsdrama. Nach dem letzten Akt erhob sich ein
wohltemperierter Beifall, für den O. Brahm im Namen des Dichters,
der bei der gleichzeitigen Uraufführung in Wien weilt, danken konnte.
Die Aufführung war ausgezeichnet, es wirkten selbst in den kleinsten
Rollen die besten Kräfte des Lessingtheaters mit. Zu ihrem Ruhm
kann nichts besseres gesagt werden, als daß sämtliche Darsteller in
kleich trefflicher Weise dem Dichter dienten. Heinz Monnard,
Irene Triesch und Hilde Herterich seien genannt.