II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 236

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24. Das weiteLand
Soie aus dem Riesengssirge, Hirssbherg i.
42.00
X Kleine Mitteilungen. Arthur Schnitzlers Tragikomödie
„Das weite Land“ wurde im Bernmer Lessigtheater mit
Interesse und Anteilnahme ausgenommen; ohne daß man von einem
rechten Erfolge sprechen könnte, Das weite Land ist die Seele des
Mannes, in der alle Möglichkeiten beieinander sind. Eine jener bru¬
talen Männergestalten steht im Mittelpunkt des Stückes. Aus derben
Lebemannsinstinkten beraus betrügt er seine Frau mit einer Geliebten
nach der anderen. Es ist ihm unverständlich, ja es stößt ihn ab, daß
seine Frau einen feiner Freunde lieber in den Tod gehen läßt, als
daß sie ihm willfährig gewesen wäre. Und als seine Frau dann
doch mit einem anderen die Ehe bricht, fordert er den Liebhaber und
knallt ihn kaltblütig nieder. Das Drama setzt mit feinster Seelen¬
malerei stimmungskräftig ein, der dritte Akt aber ergeht sich in
Nebensächlichkeiten. Die Leiden Schlußakte weisen jene kalte psycho¬
logische Rechenkunst auf, der Schnitzler leicht verfällt. So schreibt man
der Frankf. Ztg. aus Berlin. Ueber die gleichzeitige Wiener Ur¬
aufführung wird demselben Blatte geschrieben: Die Premiere war
ein gesellschaftliches wie künstlerisches Ereignis. Wenn von einem
vollen Erfolg nicht gesprochen werden kann, so liegt die Schuld doch
wohl in dem Stück, dem es an dramatischer Kraft gebricht. Schnitz¬
lers „Weites Land“ ist gewiß ein Werk von literarischen Qualitäten
und der Dialog, wenn auch nicht glänzend, so doch mit großer Kunst
geführt. Aber es hat einen Grundfehler: Es ist in ihm ein Lustspiel¬
stoff tragisch gewendet worden. Auch ist es Schnitzler nicht gelungen,
uns die Figuren menschlich zu erwärmen, trotz seiner gewiß sehr feinen
und nachdenklichen Zeichnung.
Dresdner v, Dresden
würde
1710 Ju
voller
kräftig
chor
Leide
dauer
Musirvergaurr.
Theater und Musik
Arthur Schnitzlers Weites Land (Berliner Brief).
se Seele ist ein weites Land“. In diesem Motto
sinnvoll durch¬
verbindet Arthur Schnitzler
Gesprächs¬
Lebensbahnen,
keinandergeschlungenen
promenaden und psychologischen Irrwege seines neuesten
Dramas, der fünfaktigen Tragikomödie „Das weite
Land“, die am Sonnabend im Berliner Lessing¬
theater die Erstaufführung erlehte. Die Aufnahme war
kühl, wie das nicht anders zu erwarten ist bei einem Wert.
dessen tiefmenschlicher Kern von einem bunten Gehäuse
tragikomischer Gesellschaftssatire und wehmütig zarter
Dialogkunst umgeben ist, das eine merkwürdig unsichere
Technik, eine ins Unergründliche hineintastende Motivie¬
rung aufweist, das seine seinen Schönheiten und gebrech¬
lichen Reize so gar nicht an der Oberfläche trägt.
empfiehlt sich um so mehr, über dies vieldentige Drama
eines echten, nie ins Banale hinabgleitenden Dichters noch
einiges zu sagen, zumal da die Berliner Kritik, so weit ich
sehe, sich allzu sehr an die offenkundigen Unverständlsch¬
keiten und schroffen Risse in dem so ungleichmäßig ge¬
sponnenen Gewebe hält. Schnitzers eigentliches Problem
ist doch, mag man ihm auch noch so oft seinen Feminismus
und das „süße Mädel“ vorgehalten haben, der Mann, und
er versucht nun diesmal, alles Rätselhafte, Primitive, In¬
kommensurable der ännlichen Psyche in seinem Helden.
dem genialen Fabrikanten, ausgezeichneten Tennisspieler
und unwiderstehlichen Frauenverführer Friedrich Hofreiter
darzustellen. Aber e# ist ein ganz unmögliches Beginnen,
in einem Herren unserer modernen Gesellschaft, in einem
Menschen der pfuchologisch so komplizierten Gegenwart jene
brutalen Urtriebe walten zu lassen, die dem stärkeren
Geschlecht von Anbeginn eigen waren. Daß des Mannes
Grundgesühl Untrene in der Liebe ist, sein Lebenselement
Polygamie, seine Tugend rücksichtslose Kraft, sein Haupt¬
ziel Befriedigung seiner Leidenschaft, das ist uns seit
Kant so fremd geworden, daß es uns auch Nietzsche nicht
hat begreiflich machen können. Dieser Hofreiter, der seine
Frau beständig betrügt, dem besten Freund das Mädchen,
das dieser liebt, verführt, und dann schließlich den Lieb¬
haber seines Weibes ohne allen Haß und Zorn erschießt.
nur weil er nicht „der Dumme“ sein will, dieser Typus
des Ewig=Männlichen konnte von Schnitzler nicht rein und
ungebrochen gestaltet werden. Sein eigenes Kultur¬
empfinden, das im Mann noch so viel anderes sieht, lehnte
sich dagegen auf. So schrieb er „Tragikomödie“ unter dieses
bitter ernste Stück und brachte zugleich in seinen Stil etwas
schillernd Zwiespältiges. Wohl ist der Mann eine tragische
Erscheinung, dessen Grundinstinkte über seine Kultur
triumphieren und ihre Schranken zerbrechen; es bleibt in
ihm etwas von der blinden Naturgewalt, deren letzte Be¬
dingungen keiner ergründet. Aber wenn er in unsere ganz
andere Welt gestellt wird, dann erscheint er verzerrt, weil
#alle ihn nach den geläufigen Motiven unseres Handelns
beurteilen, weil er selbst mit all seinen Außerungen in
diese Sphäre gebunden ist. Es wirkt nicht gerade er¬
schütternd, wenn das Einzige, was dieser lebensheiße uni
lebensstarke Held tut, darin besteht, stets im Tennis zu ge¬