II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 239

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24. Das weite-Land
Punkte zu kurieren“, nicht nur das der Frauen, sondern auch das
der Männer, die anscheinend zu nichts anderem auf der Welt sind
als zu Liebesabenteuern: zu Liebe und Liebelei. Die Erotik ist der
Pol, um den Schnitzlers Erdball kreist; allerdings eine feine,
differenzierte, über sich selbst philosophierende, sich selbst bespiegelnde
Erotik. Das macht die Begrenzung Schnitzlers aus. Und eine
andere Begrenzung des Dramatikers Schnitzler ist die, daß
er kräftige' bestimmte Charaktere, eine entschiedene Stellung¬
nahme, die das Drama verlangt und die man auch mit
feinsten psychologischen Mitteln, auch mit Zwischenfarben zu
geben vermag (man denke an Ibsen), nicht bieten kann,
weil sie seiner weichen und melancholischen Natur widerstreben.
„Im weiten Land“ werden Treue und Untreue, Sich=Ausleben
und das Leiden um dessentwillen, daß man sich nach seiner
ganzen physischen und seelischen Beschaffenheit nicht ausleben kann,
tiefe Liebe und oberflächliche Liebe gezeigt in einem leicht be¬
wegten Wellenspiel, bei dem die Wasserchen bald aufblitzen, bald
in Dämmerung verschwinden, bald wieder aufblinken, bis ein
Wind darüber fährt und das schillernde Spiel die düstere Sturm¬
farbe erhält. Ein tödlicher Schuß im Duell macht der Spielerei
ein Ende, ein Duell, zu dem nicht aus Ernst, aus sittlicher Ent¬
rüstung herausgefordert wird, sondern weil Herr Hofreiter, der
betrogene Ehemann, nicht als „Hopf“, als Dummer dastehen
will. Als aber Hofreiter, der selber seine Frau andauernd betrügt,
sie aber doch wirklich liebt, dem jungen Fähnrich mit der
wie Bau¬
Pistole gegenübersteht, fühlt der Alternde sich
meister Solneß, nur übertragen aufs Liebesleben
der siegenden Jugend gegenüber, die ihm sein Weib
raubt. Da knallt er den jungen sympathischen Menschen nieder,
nimmt aber zu gleicher Zeit Abschied von allen Liebesabenteuern
und verliert zur selben Stunde auch sein Weib. Der Schluß ist er¬
schütternd, obgleich die Tragit wenig begründet und sich unvermittelt
emporreckt. Die novellistischen fünf Akte fesseln durch die welt¬
männische, überlegene, halb ironische, halb melancholische Art, mit
der sich Schnitzler auf seinem Spezialgebiet bewegt und die Aeuße¬
rungen der Liebesempfindungen, der Treue und Untreue von allen
Seiten her beleuchtet. Einige Kürzungen würden der Dichtung, die
an dem gleichen Abend an mehr als zehn Bühnen die Uraufführung
erlebt hat, genützt haben.
Auch würde es dem Werk genützt haben, wenn die Hauptfigur
Hofreiter nicht von Herrn Monnard dargestellt worden wäre.
Hofreiter soll ein erobernder, glänzender, egoistischer, doch durch
seinen Charme versöhnender Ehe= und Herzensbrecher sein.
Monnards Grundwesen aber ist — wofür er nichts kann — schwer
und brutal. In manchen Szenen wirkte er durch seine maskenlose
Offenheit fast peinlich. Anders Irene Triesch, die leidende
Gattin Hofreiters, die dem Dichter mehr gab, als er ihr. Emanuel
Reicher und Mathilde Sussin hatten zwei farblose Typen darzustellen,
die nur Schnitzlers Theorien zu dozieren hatten. Reicher gab
seinem Doktor immerhin einige Individualität, der Sussin
gelang das nicht. Stieler als Fähnrich, Hans Marr als ernster
Arzt, Froböse als Bankier Natter dienten dem Dichter nach besten
Kräften. Hilde Herterich aber tat mehr. Sie war ein leben¬
sprühendes und finnliches Jungsräulein, das — die Hilde Wangel
mit Hofreiter auf einen gefährlichen!
des Baumeister Solneß —
Felsenturm klettert und bei ihm das Königreich der Liebe finden
will. Humoristische Typen fanden in der Darstellung von Bruno
Ziener als Tennisspieler, Forest als Schriftsteller mit einer Peter
Altenberg =Kopie, Ilka Grüning als schwatzhafte Salonmutten
fröhlichen Anklang. Der Erfolg der Tragikomödie bewegte sich
wie die Dichtung auf einer Zwischenstufe. Immerhin konute
Schk“
Direktor Brahm für den abwesenden Dichter danken.
Daß Direktor Otto Brahm zum künftigen Leiter des
Wiener Burgtheaters in Aussicht genommen ist, wußte ein
Berliner Mittagsblatt am Montag aus „zuverlässigster Quelle“ zu
melden. Wie der Vertreter des Dr. Brahm erklärt, ist an der
Meldung kein wahres Wort. Sollte Brahm 1914 von der
Leitung des Lessing=Theaters zurücktreten, so würde eine Direktions¬
führung für ihn keineswegs in Frage kommen. Damit erledigen
sich auch die Gerüchte, die Brahms zum künftigen Leiter des
Deutschen Theaters machen.
Der Generaldirektor der Königlichen Museen Wilhelm Bode
ermächtigt uns zu der Erklärung, daß die von einem Berliner
17 04T 1911
vom:
-Deutsche Warte. Bt
Theater.
Lessing=Theater.
Zum ersten Male: Das weite Land, eine Tragi¬
komödie in fünf Akten von Artur Schnitzler. Regie: Emil
Lessing.
Dieses Schauspiel ist langweilig von der ersten bis zur
letzten Szene. Das mag zum Teil auch daher kommen, weil
es in fremden Zungen zu uns spricht und mit Moral und Ehr¬
begriffen jongliert, für die uns das Verständnis fehlt. Wenn
man die These dieser Akte auf eine Formel bringen wollte,
würde man im studentischen Jargon etwa sagen müssen: es
predigt den Ehebruch über kreuz. Mit allen Schikanen und
allen Finessen. Mit einer Laxheit, die selbstverständlich ist,
und einer Leichtfertigkeit, die auch Nichtphilister zum Gruseln
bringen kann .... Der Inhalt, wenn man von einem
solchen reden will, ist mit ein paar Strichen skizziert: Frie¬
drich Hofreiter betrügt seine Frau, wie und wo er nur kann.
Er sieht nichts darin und würde ihr seine Abenteuer, falls sie
ihn nach ihnen früge, Fall um Fall erzählen. Ein Gemüts¬
mensch ist dieser Hofreiter also jedenfalls. Einer seiner
Freunde erschießt sich. Weil seine Gattin, Genia, den Werbun¬
gen jenes Liebebedürftigen widersteht und widerstehen wird.
Diese Tugendboldigkeit entsetzt Herrn Hofreiter dermaßen, daß
ihm seine Frau fremd wird, daß ihre Nähe ihn bedrückt und
beengt, daß er hinaus in die Weite und hinauf auf die Berge
muß. Nicht ohne den kleinen Nebengedanken mitzunehmen,
in dieser Weite und auf jenen Bergen Erna Wahl, die Liebste
seines Freundes, des Dr. Franz Mauer, zu erobern. Und so tut
er denn auch — auf offener Szene, im Klubsessel, in einem
Hoteivorraum verspricht sie ihm, sein zu werden, nicht seine
Frau, das wird sich später finden; aber jedenfalls sein —
Just zu derselben Zeit rächt sich Frau Genia an ihrem Manne
mit dem Fähnrich Otto Aigner. . . Nun sind sie quitt, denkt der
schadenfrohe Leser und zitiert: wie du mir, so ich dir! Aber
da hat er mit der Eitelkeit des Herrn Hofreiter nicht gerechnet —
Er koramiert den jungen Mann. Warum? Aus verwundeter
Liebe, aus loderndem Zorn und kränkender Schmach? Also
aus einer Augenblicksaufwallung immerhin? „Wenn es Haß
wäre — Wut — Eifersucht — Liebe.“ — „Na ja, von all dem
verspür ich allerdings verdammt wenig. Aber man will doch
nicht der Dumme sein. Und geht hin und knallt den Otto
Aigner nieder, ob er gleich seiner Philosophie getreu gelebt und
Genia flüchtet in ihrem Schmerz zu der
gehandelt hat ...
Mutter ihres Liebsten und Hofreiter erklärt nach etlichen An¬
merkungen über sich und seine Psyche („Hineinschauen in mich
kannst du doch nicht, kann keiner“ und so), nach Amerika zu
wollen. Ich gehe mit dir, versichert Erna, die Braut aus den
Bergen. Aber nein, wehrt Hofreiter ab, „wird nicht ange¬
nommen. Alles ist Täuschung. Aus, Erna, auch zwischen uns“
Wetten wir, daß derselbe Mann, der jetzt ein „aus, Erna, auch
zwischen uns“ spricht, in den Akten, die hinter diesen fünfen
liegen, dasselbe Spiel von neuem anheben wird! Das Schau¬
spiel hat kein Knochengerüst, hat kein Fundament, hat keine
Pointe — Oder sollte sie etwa in jenen Sätzen enthalten sein,
die da betonten, „was für komplizierte Subjekte wir Menschen
im Grunde sind? So vieles hat zugleich Raum in uns! Wir
versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht,
aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches—.Die 1
Seele — ist ein weites Land —!“ Nein, diese Ordnung ist
nicht nur etwas Künstliches, diese Ordnung ist ein Produkt
von Anlage, Erziehung und Charakter. Freilich, wer
das Kribbeln kriegt
bei jeder Schürze
gleich
herausfällt, dem
und aus der „Ordnung“
nicht zu helfen, der soll aber nicht von „komplizierten Subjekten“.
reden. Denn seine Psyche ist letzten Endes doch verdammt ein¬
fach! Schnitzler wollte wohl eine Art von Apologie der Seiten¬
sprünge schreiben und wälzte lediglich die amüsante Niedlich¬
keit seiner Anatolweisheiten in ein fadenscheiniges Geschreibsel
.Mehr als alle Anmer¬
für den Hintertreppenbedarf aus
kungen zu diesen fünf Akten charakterisieren den Geist, der in
ihnen lebendig ist, ein paar Vorkommnisse: Genia hat von
ihrem abgewiesenen Freier einen Abschiedsbrief erhalten, in dem
er ihre Tugendhaftigkeit für sein Ende verantwortlich macht.
Notgedrungen muß sie das Schreiben ihrem Gatten weisen.
Und der geht nun hin und — erzählt seinen Inhalt jedermann,
der es hören oder nicht hören will . . . Gent! ... Hofreiter
kehrt früher heim, als er erwartet wurde. Er trifft seine Frau
im Garten im Téte-à-tête mit dem Fähnrich, läßt die beiden
im Hause verschwinden, hält draußen Wache, bis der junge
Mann durch das Schlafzimemr Genias aussteigt und — schlaft
dann auf dem Wiesengrund einen erquicklich=süßen, tiefen
Schlaf ... Gent ... Und dann — dann erschießt er den
Fähnrich — um nicht der Dumme zu sein ... Gent....
Schnitzler, Schnitzler!