II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 240

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man die These dieser Akte auf eine Formel bringen wollte,
würde man im studentischen Jargon etwa sagen müssen: es
predigt den Ehebruch über krenz. Mit allen Schikanen und
allen Finessen. Mit einer Laxheit, die selbstverständlich ist,
und einer Leichtfertigkeit, die auch Nichtphilister zum Gruseln
Der Inhalt, wenn man von einem
bringen kann.
solchen reden will, ist mit ein paar Strichen skizziert: Frie¬
drich Hofreiter betrügt seine Frau, wie und wo er nur kann.
Er sieht nichts darin und würde ihr seine Abenteuer, falls sie
ihn nach ihnen früge, Fall um Fall erzählen. Ein Gemüts¬
mensch ist dieser Hofreiter also jedenfalls. Einer seiner
Freunde erschießt sich. Weil seine Gattin, Genia, den Werbun¬
gen jenes Liebebedürftigen widersteht und widerstehen wird.
Diese Tugendboldigkeit entsetzt Herrn Hofreiter dermaßen, daß
ihm seine Frau fremd wird, daß ihre Nähe ihn bedrückt und
beengt, daß er hinaus in die Weite und hinauf auf die Berge
muß. Nicht ohne den kleinen Nebengedanken mitzunehmen,
in dieser Weite und auf jenen Bergen Erna Wahl, die Liebste
seines Freundes, des Dr. Franz Mauer, zu erobern. Und so tut
er denn auch — auf offener Szene, im Klubsessel, in einem
Hotelvorraum verspricht sie ihm, sein zu werden, nicht seine
Frau, das wird sich später finden; aber jedenfalls sein —
Just zu derselben Zeit rächt sich Frau Genia an ihrem Manne
mit dem Fähnrich Otto Aigner... Nun sind sie quitt, denkt der
schadenfrohe Leser und zitiert: wie du mir, so ich dir! Aber
da hat er mit der Eitelkeit des Herrn Hofreiter nicht gerechnet —
Er koramiert den jungen Mann. Warum? Aus verwundeter
Liebe, aus loderndem Zorn und kränkender Schmach? Also
aus einer Augenblicksaufwallung immerhin? „Wenn es Haß
wäre — Wut — Eifersucht — Liebe.“ — „Na ja, von all dem
verspür ich allerdings verdammt wenig. Aber man will doch
nicht der Dumme sein.“ Und geht hin und knallt den Otto
Aigner nieder, ob er gleich seiner Philosophie getreu gelebt und
Genia flüchtet in ihrem Schmerz zu der
gehandelt hat ...
Mutter ihres Liebsten und Hofreiter erklärt nach etlichen An¬
merkungen über sich und seine Psyche („Hineinschauen in mich
kannst du doch nicht, kann keiner“ und so), nach Amerika zu
wollen. Ich gehe mit dir, versichert Erna, die Braut aus den
Bergen. Aber nein, wehrt Hofreiter ab, „wird nicht ange¬
nommen. Alles ist Täuschung. Aus, Erna, auch zwischen uns“.
Wetten wir, daß derselbe Mann, der jetzt ein „aus, Erna, auch
zwischen uns“ spricht, in den Akten, die hinter diesen fünfen
liegen, dasselbe Spiel von neuem anheben wird! Das Schau¬
spiel hat kein Knochengerüst, hat kein Fundament, hat keine
Pointe — Oder sollte sie etwa in jenen Sätzen enthalten sein,
die da betonten, „was für komplizierte Subjekte wir Menschen!
im Grunde sind? So vieles hat zugleich Raum in uns! Wir
versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht,
aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches—. Die !
Seele — ist ein weites Land —!“ Nein, diese Ordnung ist
nicht nur etwas Künstliches, diese Ordnung ist ein Produkt
von Anlage, Erziehung und Charakter. Freilich, wer
das Kribbeln kriegt
jeder Schürze
gleich
herausfällt, dem
und aus der „Ordnung“
nicht zu helfen, der soll aber nicht von „komplizierten Subjekten“.
reden. Denn seine Psyche ist letzten Endes doch verdammt ein¬
fach! Schnitzler wollte wohl eine Art von Apologie der Seiten¬
sprünge schreiben und wälzte lediglich die amüsante Niedlich¬
keit seiner Anatolweisheiten in ein sadenscheiniges Geschreibsel
für den Hintertreppenbedarf aus . .. Mehr als alle Anmer¬
kungen zu diesen fünf Akten charakterisieren den Geist, der in
ihnen lebendig ist, ein paar Vorkommnisse: Genia hat von
ihrem abgewiesenen Freier einen Abschiedsbrief erhalten, in dem
er ihre Tugendhaftigkeit für sein Ende verantwortlich macht.
Notgedrungen muß sie das Schreiben ihrem Gatten weisen.
Und der geht nun hin und — erzählt seinen Inhalt jedermann,
der es hören oder nicht hören will . . . Gent! .. Hofreiter
kehrt früher heim, als er erwartet wurde. Er trifft seine Frau
im Garten im Téte-à-tête mit dem Fähnrich, läßt die beiden
im Hause verschwinden, hält draußen Wache, bis der junge
Mann durch das Schlafzimemr Genias aussteigt und — schlaft
dann auf dem Wiesengrund einen erquicklich=süßen, tiefen
Schlaf ... Gent ... Und dann — dann erschießt er den
Fähnrich — um nicht der Dumme zu sein ... Gent...
Schnitzler, Schnitzler!
Das Dichten deines menschlichen, allzumenschlichen
Herzens scheint böse von Jugend auf!
Ich füge nur noch ein, daß Irene Triesch als Genia
das Menschenmögliche tat, um menschenmöglich zu sein, daß
Heinz Monnard mit einer humorvollen Schnoddrigkeit über
die Tiefen und Untiefen seiner Rolle geschickt hinwegbalancierte
und daß Hilde Herterich dem vorwitzigen Liebeshunger der
„Siebzehnjährigen“, das philosophische Raffinement einer
rassigen Jöhre lieh. Aber auch die anderen, die Sussin,
Grüning, die Stieler, Reicher, Forest usw. usw. spielten, was das
Zeug hielt — und trotz und alledem wurde es kein Erfolg.
Konnte es keiner werden, denn Schnitzler hatte nicht vorgesorgt.
Josef Buchhorn.
Sentsche Warte, Berlis
M7 10. 191
Theater.
Lessing=Theater.
Zum ersten Male: Das weite Land, eine Tragi¬
komödie in fünf Akten von Artur Schnitzler. Regie: Emil
Lessing.
Dieses Schauspiel ist langweilig von der ersten bis zur
letzten Szene. Das mäg zum Teil auch daher kommen, weil
es in fremden Zungen zu uns spricht und mit Moral und Ehr¬
begriffen jongliert, für die uns das Verständnis fehlt. Wenn
man die These dieser Akte auf eine Formel bringen wollte,
würde man im studentischen Jargon etwa sagen müssen: es
predigt den Ehebruch über kreuz. Mit allen Schikanen und
allen Finessen. Mit einer Laxheit, die selbstverständlich ist,
und einer Leichtfertigkeit, die auch Nichtphilister zum Gruseln
Der Inhalt, wenn man von einem
bringen kann.
solchen reden will, ist mit ein paar Strichen skizziert: Frie¬
drich Hofreiter betrügt seine Frau, wie und w. er nur kann.
Er sieht nichts darin und würde ihr seine Abenteuer, falls sie
ihn nach ihnen früge, Fall um Fall erzählen. Ein Gemüts¬
mensch ist dieser Hofreiter also jedenfalls. Einer seiner
Freunde erschießt sich. Weil seine Gattin, Genia, den Werbun¬
gen jenes Liebebedürftigen widersteht und widerstehen wird.
Diese Tugendboldigkeit entsetzt Herrn Hofreiter dermaßen, da߬
ihm seine Frau fremd wird, daß ihre Nähe ihn bedrückt und
beengt, daß er hinaus in die Weite und hinauf auf die Berge¬
muß. Nicht ohne den kleinen Nebengedanken mitzunehmen,
in dieser Weite und auf jenen Bergen Erna Wahl, die Liebste
seines Freundes, des Dr. Franz Mauer, zu erobern. Und sotut
er denn auch — auf offener Szene, im Klubsessel, in einem
Hotelvorraum verspricht sie ihm, sein zu werden, nicht seine
Frau, das wird sich später finden; aber jedenfalls sein —
Just zu derselben Zeit rächt sich Frau Genia an ihrem Manne
mit dem Fähnrich Otto Aigner.. . Nun sind sie quitt, denkt der
schadenfrohe Leser und zitiert: wie du mir, so ich dir! Aber
da hat er mit der Eitelkeit des Herrn Hofreiter nicht gerechnet —
Er koramiert den jungen Mann. Warum? Aus verwundeter
Liebe, aus loderndem Zorn und kränkender Schmach? Also
aus einer Augenblicksaufwallung immerhin? „Wenn es Haß
wäre — Wut — Eifersucht — Liebe.“ — „Na ja, von all dem
verspür ich allerdings verdammt wenig. Aber man will doch
nicht der Dumme sein.“ Und geht hin und knallt den Otto
Aigner nieder, ob er gleich seiner Philosophie getreu gelebt und
Genia flüchtet in ihrem Schmerz zu der
gehandelt hat ...
Mutter ihres Liebsten und Hofreiter erklärt nach etlichen An¬
merkungen über sich und seine Psyche („Hineinschauen in mich
kannst du doch nicht, kann keiner“ und so), nach Amerika zu
wollen. Ich gehe mit dir, versichert Erna, die Braut aus den
Bergen. Aber nein, wehrt Hofreiter ab, „wird nicht ange¬
nommen. Alles ist Täuschung. Aus, Erna, auch zwischen uns“
Wetten wir, daß derselbe Mann, der jetzt ein „aus, Erna, auch
zwischen uns“ spricht, in den Akten, die hinter diesen fünfen
liegen, dasselbe Spiel von neuem anheben wird! Das Schau¬
spiel hat kein Knochengerüst, hat kein Fundament, hat keine
Pointe — Oder sollte sie etwa in jenen Sätzen enthalten sein,
die da betonten, „was für komplizierte Subjekte wir Menschen
im Grunde sind? So vieles hat zugleich Raum in uns! Wir
versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht,
aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches—. Die
Nein, diese Ordnung ist
Seele — ist ein weites Land —!“
nicht nur etwas Künstliches, diese Ordnung ist ein Produkt
von Anlage, Erziehung und Charakter. Freilich, wer
Kribbeln kriegt
das
gleich bei jeder Schürze
herausfällt, dem
und aus der „Ordnung“
nicht zu helfen, der soll aber nicht von „komplizierten Subjekten“.
reden. Denn seine Psyche ist letzten Endes doch verdammt ein¬
fach! Schnitzler wollte wohl eine Art von Apologie der Seiten¬
sprünge schreiben und wälzte lediglich die amüsante Niedlich¬
keit seiner Anatolweisheiten in ein fadenscheiniges Geschreibsel
Mehr als alle Anmer¬
für den Hintertreppenbedarf aus ...
kungen zu diesen fünf Akten charakterisieren den Geist, der in
ihnen lebendig ist, ein paar Vorkommnisse: Genia hat von
ihrem abgewiesenen Freier einen Abschiedsbrief erhalten, in dem
er ihre Tugendhaftigkeit für sein Ende verantwortlich macht.
Notgedrungen muß sie das Schreiben ihrem Gatten weisen.
Und der geht nun hin und — erzählt seinen Inhalt jedermann,
der es hören oder nicht hören will . . . Gent!.. Hofreiter
kehrt früher heim, als er erwartet wurde. Er trifft seine Frau
im Garten im Téte-à-tête mit dem Fähnrich, läßt die beiden
im Hause verschwinden, hält draußen Wache, bis der junge
Mann durch das Schlafzimemr Genias aussteigt und — schläft