II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 243

W
24. Das iteLand
Casseler Tagsblat
1710 MI
„Das weite hand“.
Der nene Schnllek.
Unter Feuilleton=Mitarbeiter schreibt uns aus Berlin:
Man wußte es, bevor der Vorhang vor dem erlesenen
Publikum in die Höhe ging, daß uns Artur Schnitzler
mit seiner neuen Tragikomödie „Das weite Land“
keine Ueberraschung bringen werde. Die Entwicklung
dieses Dichters ist schon lange zu ihrer Erfüllung gekom¬
men und wird keine neuen Höhen mehr ersteigen. Aber
es wurde auch keine Enttäuschung, dieser heztere und
doch nachdenkliche Weg in die weiten Gefilde der Seele,
denn sie ist das große unbekannte Land, in dem heute
noch die einzigen Wunder geschehen, die kalte Nüchtern¬
heit uns gelassen. Schnitzler stellt einen Führer von welt¬
männischer Art dar, der auf solchen forschenden Reisen
mit eleganter Klugheit, wenn dies Wort erlaubt ist,
zu sagen weiß, wie er die Dinge und Menschen sieht. Es
liegt im Wesen solcher Dramen, daß sie kein besonderes
Interesse an einer Handlung haben, die zielstrebend zu
ihrer Vollendung eilt, und daß sie als weitere Folge
auch keinen eigentlichen Helden haben. Allerlei Men¬
schenchschicksale werden gezeigt, die einen nur in einer be¬
sonderen Entwicklungsperiode, die anderen in einem grö¬
ßeren Lebensausschnitt. Manches Geschick wird bis zu
seinem Ende geführt, manches bleibt für uns ein Frag¬
ment. Im Zenith des Geschehens steht die Gestalt des
großen Lieblers, der mit verändertem Gesicht fast in je¬
dem Schnitzlerschen Stück zu finden ist, die Anatolfigur.
Diesmal machte der Dichter den Versuch, die Persönlich¬
keit dieses Helden tiefer zu erschauen, sie nicht einfach
aufgehen zu lassen in einer bunten Fülle von Liebesge¬
schichten. Der Industrielle Hofreiter hat ein viel ver¬
schlungenes Seelenleben; er verrät seine Frau, so oft
sein Blut rebellisch wird und nimmt es ihr keineswegs
übel, wenn sie sich auf dieselbe Weise revanchiert. Er
spürt keine Spur von Eifersucht. Und doch will er nicht
„der Dumme“ sein, fordert den Liebhaber und erschießt
ihn! Er kennt keinen Zwang des Gewissens und trotz¬
dem vermag er über dem Toten, den er nicht gehaßt und
doch getötet, seiner Geliebten nicht zu folgen. Sein Le¬
ben zerbricht ihm unter den Händen, da er glaubte, es
am festesten zu halten.
Es sind keine sonderlich tiefbohrenden Probleme und
Erkenntnisse, die Schnitzler da aufgegriffen hat, aber er
hat eine seltene Art, alte Dinge in moderner Form neu
zu sagen. Die klassische Tragödie wußte mit dem Pathos
erschütternd zu wirken. Das Gesellschaftsdrama unserer
Tage wird keinen Konflikten aus dem Wege gehen, die
man früher behandelt, doch sie wird die Leidenschaften
in verschwiegener Seele ihren Kampf auskämpfen lassen
und innerer Bewegung nur geringen äußeren Ausdruck
geben. Es ist ein beiteres Stück, das Schnitzler da ge¬
box 28/4
geben hat, und eine frohe Stimmung lag über dem The¬
sater. Unter glatter Decke bereitet sich so die Katastrophe
vor, bis sie plötzlich hereinbricht mit wenig theatralischen
Nequisiten, ohne Pose — ein paar kurze Worte, Achsel¬
zucken und die tragische Komödie eines Lebens fand ihr
Ende. Ein Drama also von wenig äußerem Glanz, aber
von einer guten und starken Innerlichkeit.
Das Lessingtheater brachte eine Darstellung heraus,
die restlos alle Möglichkeiten ausschöpfte und — als Gan¬
zes gesehen — kaum einen Wunsch offen ließ. Selbst
die kleinsten Rollen waren von besten Kräften besetzt —
so hatte Emanuel Reicher kaum hundert Worte zu spre¬
chen — und es ergab sich eine Aufführung von einer aufs
feinste abgestimmten Einheitlichkeit. Man hat Unrecht,
wenn man einige Namen herausgreift; die größeren Rol¬
len wurden von Heinz Monnard, Irene Triesch und
Hilde Herterich getragen.
General-Anzeiger, Bielefeld
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sein Blut rebellisch wird und nimmt es ihr keines¬
wegs übel, wenn sie sich auf dieselbe Weise revan¬
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chiert. Er spürt keine Spur von Eisersucht. Und
doch will er nicht „der Dumme“ sein, fordert den
— Ein neues Stück von Arthur Schnitzler.
-Liebhaber und erschießt ihn! Er kennt keinen Zwang
Unser Feuilletön=Mitarbeiter schreibt uns aus¬
des Gewissens und trotzdem vermag er über den
Berlin:
Toten, den er nicht gehaßt und doch getötet, seiner
Man wußte es, bevor der Vorhang vor dem
Geliebten nicht zu folgen. Sein Leben zerbricht
erlesenen Publikum in die Höhe ging, daß uns
ihm unter den Händen, da er glaubte, es am festesten
Arthur Schnitzler mit seiner neuen Tragi¬
zu halten.
komödie , Das meiteLand“ keine Ueber¬
Es sind keine sonderlich tiefbohrenden Probleme
raschung bringen werde. Die Entwickelung dieses
und Erkenntnisse, die Schnitzler da aufgegriffen hat,
Dichters ist schon lange zu ihrer Erfüllung gekommen
aber er hat eine seltene Art, alte Dinge in moderner
und wird keine neuen Höhen mehr ersteigen.
Form neu zu sagen. Die klassische Tragödie wußte
Aber es wurde auch keine Enttäuschung, dieser
mit dem Pathos erschütternd zu wirken. Das Ge¬
heitere und doch nachdenkliche Weg in die weiten
sellschaftsdrama unserer Tage wird keinen Kon¬
Gefilde der Seele denn sie ist das große unbe¬
flikten aus dem Wege gehen, die man früher be¬
kannte Land, in dem heute noch die einzigen
handelt, doch sie wird die Leidenschaften in ver¬
Wunder geschehen, die kalte Nüchternheit uns
schwiegener Seele ihren Kampf auskämpfen lassen
gelassen. Schnitzter stellt einen Führer von welt¬
und innerer Bewegung nur geringen äußeren
männischer Art dar, der auf solchen forschenden
Ausdruck geben. Es ist ein heiteres Stück, das
Reisen mit eleganter Klugheit, wenn dies Wort
Schnitzler da gegeben hat, und eine frohe Stimmung
erlaubt ist, zu sagen weiß, wie er die Dinge und
lag über dem Theater. Unter glatter Decke be¬
Menschen sieht. Es liegt im Wesen solcher Dramen,
reitet sich so die Katastrophe vor, bis sie plötzlich
daß sie kein besonderes Interesse an einer Handlung
hereinbricht, mit wenig theatralischen Requisiten,
haben, die zielstrebend zu ihrer Vollendung eilt,
ohne Pose — ein paar kurze Worte, Achselzucken
und daß sie als weitere Folge auch keinen eigent¬
und die tragische Komödie eines Lebens fand ihr
lichen Helden haben. Allerlei Menschenschicksale
Ende. Ein Drama also von wenig äußerem Glanz,
werden gezeigt, die einen nur in einer besonderen
aber von einer guten und starken Innerlichkeit.
Entwickelungsperiode, die anderen in einem größe¬
Das Lessingtheater brachte eine Dar¬
ren Lebensausschnitt. Manches Geschick wird vis
stellung heraus, die restlos alle Möglichkeiten aus¬
zu einem Ende geführt, manches bleibt für uns ein
schöpfte und als Ganzes gesehen, kaum einen Wunsch
Fragment. Im Zenith des Geschehens steht die
offen ließ. Selbst die kleinsten Rollen waren von
Gestalt des großen Liebahbers, der mit verändertem
besten Kräften besetzt, so hatte Emanuel Reicher
Gesicht fast in jedem Schnitzlerschen Stück zu finden
kaum hundert Worte zu sprechen und es ergab sich
ist, die Anatolfigur. Diesmal machte der Dichter:
eine Aufführung von einer aufs feinste abge¬
den Versuch, die Persönlichkeit dieses Helden
stimmten Einheitlichkeit. Man hat Unrecht, wenn
tiefer zu erschauen, sie nicht einsach aufgehen zu
man einige Namen herausgreift; die größeren
lassen in einer bunten Fülle von Liebesgeschichten.
Rollen wurden von Heinz Monnard, Irene
Der Industrielle Hofreiter hat ein viel verschlun¬
genes Seelenleben; er verrät seine Frau, so ofts Triesch und Hilde Herterich getragen.