II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 244

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24. Das weiteLand
Märkische Volkszeitand., BA#□
917 10 1911
N
wenn man sich gegenseitig nichts vorzuwerfen hätte. Schlie߬
lich kommt Frau Genia dann auf eine Art von
Theater und Konzerte.
Revanchegelüst. Sie setzt sich gleichfalls hinweg
Berlin, 16. Oktober.
über die Schranken des Rechts und der Sitte, und
Im Lessingtheater fand am Sonnabend die Erst¬
Hofreiter bleibt bei dieser Entdeckung auch im Grunde recht
aufführung von Arthur Schnitzlers Tragikomödie
kühl ohne Eifersucht, ohne Haß und Liebe. Aber er
„Das weite Land“ statt. Ein eigenartiges Werk, ab¬
fordert den Begünstigten, er schießt ihn nieder, er drückt
gefaßt mit einem besondern Geschick, die Menschen wie
nebenbei der nichtsahnenden Mutter des Getöteten bei seiner
Schachfiguren hierhin und dorthin zu stellen, immer neue
Rückkehr vom Schreckensort die Hand, als ob nichts vor¬
Gruppierungen zu finden, durch das Nebeneinander und
gefallen, er weist das junge Mädchen von sich, das sich an
Durcheinander Kreiz und Quer des Auftretens und Abgehens,
ihn weggeworsen und das ihm jetzt folgen will, stellt sich
der einander ablösenden und begleitenden Dialoge, der einander
dem Gericht und zieht dann vermutlich in die weite Welt
durchschlingenden Geschehnisse den Eindruck des Lebens hervor¬
hinaus. Er konnte nicht anders.
zuzaubern. Wenn dazu noch eine so geradezu glänzende
Wir fragen nach der inneren Mechanik nach der
Inszenierung kommt, wie es im Lessingtheater der Fall war,
Psychologie dieser Seelen. Und Schnitzler belehrt uns:
so scheint die realistische Lebenswahrheit perfekt. Im dritten
Die Seele ist ein weites Land, in dem es ganz wunderlich
Akt beispielsweise ist das Vestibül eines Gebirgshotels auf
zugeht, und in dem sehr viel zu erforschen und zu ent¬
der Bühne mit dem ganzen Betrieb der konkretesten Wirklich¬
decken ist. Das ist im allgemeinen sehr richtig, nur schade,
keit, bis herab zu dem Liftboy, der klein und stumm und
daß bei diesen Entdeckungsfahrten in den psychologischen
gerade vor seinem Fahrstuhl steht und ihn bald mit diesen,
Jagdgründen nicht etwas Besseres herausgekommen ist.
bald mit jenen Gästen hinauf= und herabschweben läßt.
Ein weites Land ist aber auch das Drama selbst. Man
Also ein Bild des Lebens? Es könnte einem Taub¬
sucht im Anfang vergeblich nach einem ruhenden Pol in
stummen, der nur die Bilder in ihrer bunten Fülle sieht,
der Erscheinungen Flucht, nach der eigentlichen
so scheinen, aber ein hörender, jedenfalls ein denkender
man sucht vergebens
Hauptperson des Stückes,
Zuschauer muß es verneinen. Freilich, es gibt ja merk¬
nach einem leitenden Ariadnefaden aus einem Laby¬“
würdige Menschen genug auf Erden, und unser Herrgott
in einem
man ertrinkt
rinth der
Situationen,
hat die absonderlichsten Kostgänger. Auch sorgt von Zeit
Ozean von homerisch sprudelndem Wortreichtum,
zu Zeit ein Prozeß à la Wolff=Metternich noch für die
Dialogen, in Pointen, scherzhaften und traurigen Erörte¬
nötige Aufklärung. Aber immerhin: Wenn die Welt
rungen, die oft sehr gut beobachtet und fein herausgearbeitet,
einfach so wäre, wie Arthur Schnitzler sie hier in einem
die einem aber doch die Frage aufdrängen, ob sich da ein
bemerkenswerten Ausschnitt vor Augen stellt, dann könnte
Drama begibt, oder ob ein Roman die dramatische Jacke
man Appent bekommen, jenem andern Arthur, Schopen¬
angezogen und auf die Bühne gestiegen ist.
hauer nämlich, dem grimmen Frankfurter Pessimisten recht¬
Der Erfolg, soweit man das Fazit des Abends so sormu¬
zugeben, wenn er meint, daß die Welt eben die Hölle und
lieren kann, gilt mehr dem früheren vielgerühmten und
die Menschen einerseits die gequälten Seelen und anderer¬
viel bewunderten Schnitzler als dem gegenwärtigen, er gilt
seits die Teufel darin sind.
auch in besonderer Weise der Darstellung. Irene Triesch
Da ist ein gewisser Friedrich Hofreiter, der ein schönes,
spielte die Genia mit viel äußerer Hoheit und Haltung und
freundliches Heim und eine sehr nette, liebe und brave
viel halbverschleiertem Seelenleid, Heinz Monnard gab den
Frau besitzt, gegen die er selber aber nicht sehr lieb und
Hofreiter mit seinem seltamen Innenleben glaubhaft und ent¬
rsturzt sich, von keinen Gewissensfragen und
brav ist.
schieden, ohne überflüssige Aeußerlichkeiten. Emanuel Reicher
Skrupeln behindert, als rechter Don Juan von
agierte mit der Ruhe und Vornehmheit, die man auch sonst
einem Abenteuer ins andere, macht aber seiner Frau gegen¬
bei ihm bewundern kann. Hilde Herterich bot eine
über, die durch ihre Festigkeit Anlaß geworden ist, dab ein
bemerkenswerte schauspielerische Leistung in ihrer freilich
junger russischer Klaviervirtnose Hand an sich legte, den peinlichen
nicht sehr erfreulichen Rolle als das Mädchen mit den
Inquizitor und Herzenserforscher. Später sickert so etwas
ungezügelten Instinkten. Auch Carl Forest als Scheift¬
durch, als ob Hofreiter am Ende in einer Art von ameri¬
steller, Kurt Stieler als Marine Fähnrich und Illa
kanischem Duell selber den Selbstmord herbeigeführt. Die
Schuldlosigkeit seiner Frau befriedigt ihn im Grunde gerade! Grüning (Frau Wahl) verdienen eine anerkennende Er¬
Joh. Mayrhofer.
o wenig, wie alles andere. Es wäre vielleicht ganz nett, 1 wähnng.