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24. Das veite Land
Ausschnitt aus:
Köinische Zeitung.
enB
Aern P
Aennen.
Theater und Musik.
7 Das weite Land von Arthur Schuitzler¬
2 Berlin. Eine fünfaktige Tragödie von Arthur Schnitzler: Das
beite Land ist am Samstag in einer ganzen Reihe von Theatern, darunter
#uch im Berliner Lessingtheater aufgeführt worden. Das weite
Land bedeutet die menschliche Seele, die auch vom stärksten Gefühl nie so
vollständig ausgefüllt wird, daß nicht Raum bliebe für gefährliche Neben¬
gefühlchen. Der Vergleich ist nicht sehr plastisch; zutreffender wäre der
Titel: Der weite Magen — mit der Nutzanwendung, daß das unvorsichtige!
Knabbern von Süßigkeiten außerhalb der Hauptmahlzeiten Indigestionen
Zur Folge hat. Mit „weitem Land“ verbindet man unwillkürlich den Be¬
griff des frei dahinstürmenden Windes: in Schnitzlers Stück aber weht
muffige Boudoirluft und süßlich faules Parfüm, untermischt mit dem Ge¬
ruch beizend scharfer Desinfektionsmittel. Daß der Dialog die Handlung
überwuchert, drängt sich um so eher als Fehler auf, als uns die Personen
mit ihrem marklosen Sybaritentum und seichten Lebensweisheit bald herz¬
lich gleichgültig sind und selbst die tragische Schießerei am Schluß nicht mehr
zu lebendiger Teilnahme aufrüttelt. Dazu ist die Hauptperson mit einer ge¬
zierten, müden Spitzfindigkeit so übersein gezeichnet, daß ihr Innenleben uns
trotz gelegentlicher taktloser Offenherzigkeiten bis zum Ende ein Rätsel bleibt.
Friedrich Hofreiter, ein Wiener Industrieller, trägt — allmählich dämmert
uns das auf — im tiefen Herzen eine sublime Liebe zu seiner Frau, und
seine Frau liebt ihn. Aber die Ehe is kalt und unbefriedigend. Höfreiter
liebelt mit einer lockern Bankiersfrau, dann mit einem jungen Mädchen,
das zuerst modern starkgeistig auftritt und sich später als lüsternes Gäns¬
chen entpuppt. Er gibt sich keine Mühe, seine Untreue zu verbergen, er
stellt sich sogar, als wenn er auch seiner Frau eine vergnügliche Abschwei¬
fung von der langweiligen Chaussee der Pflicht keineswegs verübeln würde.
So bedauert er wortreich einen Künstler, der sich aus unerwiderter Liebe
zu seiner, Hofreiters, Frau erschossen hat, und macht ihr kaum verhüllte
Vorwürfe, daß sie ein hoffnungsreiches junges Leben durch ihre Unbarm¬
herzigkeit geknickt habe. Erst später ahnen wir, daß Hofreiter unter dem
Gewand des frivolen Skeptikers sich mit schmerzendem Dolch zerfetzt,
daß jener Künstler infolge eines amerikanischen Duells mit Hofreiter Hand
an sich gelegt hat. Vergeblich schmachtet seine Frau, die nur aus Liebe zu
ihrem Gatten den verführerischen Anbeter zurückgewiesen hat, nach einem
herzlichen Wort; aufs tiefste gekränkt und entmutigt rächt sie sich, indem
sie dem Beispiel der andern folgt und sich einem blutjungen Marinefähnrich
in die Arme wirft. Hofreiter beobachtet, wie der Fähnrich nächtlicherweile
aus dem Fenster des Schlafzimmers seiner Frau steigt. Einem Freund
gegenüber spöttelt er übei die Hörner, die ihm aufgesetzt worden sind, bricht
dann aber mit dem Fähnrich einen Streit vom Zaun, der zum Duell führen
muß, nicht etwa, weil er die beleidigte Gattenehre reinwaschen will — viel
Ehrgefühl steckt nicht in den schlaffen Seelen — sondern aus wildem Grimm
gegen den begünstigten Nebenbuhler. Im Zweikampf schießt Hofreiter den
Gegner nieder. Seine Frau sagt sich von ihm los wegen seiner erbar¬
mungslosen Brutalität, der Tod des Jünglings, der doch nur ein Lücken¬
büßer war, geht ihr nicht sehr zu Herzen; Hofreiter selbst weist das schon
erwähnte Mädchen, das ihm überall hin folgen will, schroff zurück, und
der Vorhang fällt, während draußen die jauchzende Stimme des eben
aus der Pension zurückkehrenden Sohnes des unglücklichen Ehepaars er¬
klingt. Dem Falle Hofreiter sind ähnliche Fälle gegenübergestellt. Als
einziger aufrechter, gesunder Mensch, der von „Herzensschlampereien“
nichts wissen will, bleibt nur ein leider recht lederner Arzt übrig. Das
Stück, das in Baden bei Wien, während eines Aktes in einem Dolomiten¬
hotel spielt, bringt dann noch eine Reihe unterhaltender Typen: einen un¬
säglich faden Lawn=Tennis=Gecken, einen Nachtcafé=Dichter, einen schön¬
geistig wissenschaftlerischen Zierbengel, eine einfältig plappermäulige alte
Dame der Gesellschaft, einige komische Touristen. Am Schluß hat der Zu¬
schauer das Gefühl: Wozu alle die endlosen Redereien, wozu das Pistolen¬
geknalle? Was gehen mich die Mollusken an, die da ihre weichen, schlei¬
migen Glieder durcheinander flechten? Für solche Milienschilderungen und
#seelische Tifteleien ist der Roman da, auf der Bühne zerfließen sie zu Brei.
Gespielt wurde durchweg gut. Heinz Monnard gab die schwierige, wider¬
spruchsvolle Rolle des Friedrich Hofreiter; als Frau Hofreiter vermied Irene
Triesch, die man lieber in größern, ihrem Talent ebenbürtigen Aufgaben
sähe, glücklich ein allzu larmoyantes Wesen. Emanuel Reicher spielte den
ziemlich papiernen geschiedenen Don Juan. Dem Beifall, den das Publikum
spendete, fehlte offenbar die Überzeugung; er galt mehr andern, bessern
Stücken des Verfassers und den Darsteller#
& Wien. Ne¬
Zeitung: Kölnische Zeitung
Datum:
17. Okt. 191
Theater und Musik.
Das weite Land von Arthur Schnitzler.
Berlin. Eine fünfaktige Tragödie von Arthur Schnitzler: Das
weite Land ist am Samstag in einer ganzen Reihe von Theatern, darunter
auch im Berliner Lessingtheater aufgeführt worden. Das weite
Land bedeutet die menschliche Seele, die auch vom stärksten Gefühl nie so
vollständig ausgefüllt wird, daß nicht Raum bliebe für gefährliche Neben¬
gefühlchen. Der Vergleich ist nicht sehr plastisch; zutreffender wäre der
Titel: Der weite Magen — mit der Nutzanwendung, daß das unvorsichtige
Knabbern von Süßigkeiten außerhalb der Hauptmahlzeiten Indigestionen
pur Folge hat. Mit „weitem Land“ verbindet man unwillkürlich den Be¬
griff des frei dahinstürmenden Windes; in Schnitzlers Stück aber weht
muffige Boudoirluft und süßlich faules Parfüm, untermischt mit dem Ge¬
ruch beizend scharfer Desinfektionsmittel. Daß der Dialog die Handlung
überwuchert, drängt sich um so eher als Fehler auf, als uns die Personen
mit ihrem marklosen Sybaritentum und seichten Lebensweisheit bald herz¬
lich gleichgültig sind und selbst die tragische Schießerei am Schluß nicht mehr
zu lebendiger Teilnahme aufrüttelt. Dazu ist die Hauptperson mit einer ge¬
zierten, müden Spitzfindigkeit so übersein gezeichnet, daß ihr Innenleben uns
trotz gelegentlicher taktloser Offenherzigkeiten bis zum Ende ein Rätsel bleibt.
Friedrich Hofreiter, ein Wiener Industrieller, trägt — allmählich dämmert
uns das auf — im tiefen Herzen eine sublime Liebe zu seiner Frau, und
seine Frau liebt ihn. Aber die Ehe ist kalt und unbefriedigend. Hofreiter
liebelt mit einer lockern Bankiersfrau, dann mit einem jungen Mädchen,
das zuerst modern starkgeistig auftritt und sich später als lüsternes Gäns¬
chen entpuppt. Er gibt sich keine Mühe, seine Untreue zu verbergen, er
stellt sich sogar, als wenn er auch seiner Frau eine vergnügliche Abschwei¬
fung von der langweiligen Chaussee der Pflicht keineswegs verübeln würde.
So bedauert er wortreich einen Künstler, der sich aus unerwiderter Liebe
zu seiner, Hofreiters, Frau erschossen hat, und macht ihr kaum verhüllte
Vorwürfe, daß sie ein hoffnungsreiches junges Leben durch ihre Unbarm¬
herzigkeit geknickt habe. Erst später ahnen wir, daß Hofreiter unter dem
Gewand des frivolen Skeptikers sich mit schmerzendem Dolch zerfetzt,
daß jener Künstler infolge eines amerikanischen Duells mit Hofreiter Hand
an sich gelegt hat. Vergeblich schmachtet seine Frau, die nur aus Liebe zu
ihrem Gatten den verführerischen Anbeter zurückgewiesen hat, nach einem
herzlichen Wort; aufs tiefste gekränkt und entmutigt rächt sie sich, indem
sie dem Beispiel der andern folgt und sich einem blutjungen Marinefähnrich
in die Arme wirft. Hofreiter beobachtet, wie der Fähnrich nächtlicherweile
aus dem Fenster des Schlafzimmers seiner Frau steigt. Einem Freund
gegenüber spöttelt er über die Hörner, die ihm aufgesetzt worden sind, bricht
dann aber mit dem Fähnrich einen Streit vom Zaun, der zum Duell führen
muß, nicht etwa, weil er die beleidigte Gattenehre reinwaschen will — viel
Ehrgefühl steckt nicht in den schlaffen Seelen — sondern aus wildem Grimm
gegen den begünstigten Nebenbuhler. Im Zweikampf schießt Hofreiter den
Gegner nieder. Seine Frau sagt sich von ihm los wegen seiner erbar¬
mungslosen Brutalität, der Tod des Jünglings, der doch nur ein Lücken¬
büßer war, geht ihr nicht sehr zu Herzen; Hofreiter selbst weist das schon
erwähnte Mädchen, das ihm überall hin folgen will, schroff zurück, und
der Vorhang fällt, während draußen die jauchzende Stimme des eben
aus der Pension zurückkehrenden Sohnes des unglücklichen Ehepaars er¬
klingt. Dem Falle Hofreiter sind ähnliche Fälle gegenübergestellt. Als
einziger aufrechter, gesunder Mensch, der von „Herzensschlampereien“
nichts wissen will, bleibt nur ein leider recht lederner Arzt übrig. Das
Stück, das in Baden bei Wien, während eines Aktes in einem Dolomiten¬
hotel spielt, bringt dann noch eine Reihe unterhaltender Typen: einen un¬
säglich faden Lawn=Tennis=Gecken, einen Nachtcafé=Dichter, einen schön¬
geistig wissenschaftlerischen Zierbengel, eine einfältig plappermäulige alte
Dame der Gesellschaft, einige komische Touristen. Am Schluß hat der Zu¬
schauer das Gefühl: Wozu alle die endlosen Redereien, wozu das Pistolen¬
geknalle? Was gehen mich die Mollusken an, die da ihre weichen, schlei¬
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migen Glieder durcheinander flechten? Für solche Milieuschilderungen und
seelische Tifteleien ist der Roman da, auf der Bühne zerfließen sie zu Brei.
Gespielt wurde durchweg gut. Heinz Monnard gab die schwierige, wider¬
spruchsvolle Rolle des Friedrich Hofreiter; als Frau Hofreiter vermied Irene
Triesch, die man lieber in größern, ihrem Talent ebenbürtigen Aufgaben
sähe, glücklich ein allzu larmoyantes Wesen. Emanuel Reicher spielte den
ziemlich papiernen geschiedenen Don Juan. Dem Beifall, den das Publikum
spendete, fehlte offenbar die Überzeugung; er galt mehr andern, bessern¬
Stücken des Verfassers und den Darstellern.
I Wien. Von den mehr als ein Dutzend Aufführungen, die am
Samstag Arthur Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie Das weite
Land gefunden hat, war die am Burgtheater als die Haupt¬
aufführung gedacht. Nicht nur, weil der Dichter in Wien wohnt, als
besonderer Burgtheaterdichter gilt und bei der Burgtheateraufführung
persönlich zugegen war, sondern auch, weil Schnitzler dieses neue Stück
wieder ganz ins moderne Wiener Milieu, wie er es nämlich auffaßt und
darstellt, hineingesetzt, mehrere der Rollen Gestalten der Wiener Gesell¬
schaft nachgezeichnet und die meisten sogar Burgschauspielern „auf den
Leib geschrieben“ hat, die Hauptrollen zweien der Koryphäen des Burg¬
theaters, die die Aufführung des Stücks nicht mehr erlebt haben, Kainz
und Hartmann. Auch ohne die gleichzeitige Massenaufführung wäre
daher Das weite Land für Wien eine große Sensation gewesen. Gleich¬
wohl kann man sagen, daß die überaus sorgfältige Aufführung des
Burgtheaters nahe daran war, einen Mißerfolg zu ergeben. Während
der ersten drei Akte dieses langgedehnten Stücks, die fast nichts geben
als eine allerdings sehr naturalistische Milieuschilderung, machte sich eine
bedrohliche Langeweile im Hause breit, die das Wohlgefallen an der
feingeschliffenen Dialektik dieses zynischen Skeptikers und der meister¬
haften Leichtigkeit und Natürlichkeit seines Dialogs fast erstickte; erst die
beiden letzten Akte mit ihrem kräftigern dramatischen Impuls brachten
ein tieferes Interesse hervor, so daß sich der Achtungserfolg in einen
wirklichen verwandelte, wobei freilich ein inneres Widerstreben des
Publikums gegen die Verbogenheit und Verrenktheit der Schnitzlerschen
Erotik und gegen das Übermaß dieses Sumpfes, als gegen eine selbst
Semren H
24. Das veite Land
Ausschnitt aus:
Köinische Zeitung.
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Aennen.
Theater und Musik.
7 Das weite Land von Arthur Schuitzler¬
2 Berlin. Eine fünfaktige Tragödie von Arthur Schnitzler: Das
beite Land ist am Samstag in einer ganzen Reihe von Theatern, darunter
#uch im Berliner Lessingtheater aufgeführt worden. Das weite
Land bedeutet die menschliche Seele, die auch vom stärksten Gefühl nie so
vollständig ausgefüllt wird, daß nicht Raum bliebe für gefährliche Neben¬
gefühlchen. Der Vergleich ist nicht sehr plastisch; zutreffender wäre der
Titel: Der weite Magen — mit der Nutzanwendung, daß das unvorsichtige!
Knabbern von Süßigkeiten außerhalb der Hauptmahlzeiten Indigestionen
Zur Folge hat. Mit „weitem Land“ verbindet man unwillkürlich den Be¬
griff des frei dahinstürmenden Windes: in Schnitzlers Stück aber weht
muffige Boudoirluft und süßlich faules Parfüm, untermischt mit dem Ge¬
ruch beizend scharfer Desinfektionsmittel. Daß der Dialog die Handlung
überwuchert, drängt sich um so eher als Fehler auf, als uns die Personen
mit ihrem marklosen Sybaritentum und seichten Lebensweisheit bald herz¬
lich gleichgültig sind und selbst die tragische Schießerei am Schluß nicht mehr
zu lebendiger Teilnahme aufrüttelt. Dazu ist die Hauptperson mit einer ge¬
zierten, müden Spitzfindigkeit so übersein gezeichnet, daß ihr Innenleben uns
trotz gelegentlicher taktloser Offenherzigkeiten bis zum Ende ein Rätsel bleibt.
Friedrich Hofreiter, ein Wiener Industrieller, trägt — allmählich dämmert
uns das auf — im tiefen Herzen eine sublime Liebe zu seiner Frau, und
seine Frau liebt ihn. Aber die Ehe is kalt und unbefriedigend. Höfreiter
liebelt mit einer lockern Bankiersfrau, dann mit einem jungen Mädchen,
das zuerst modern starkgeistig auftritt und sich später als lüsternes Gäns¬
chen entpuppt. Er gibt sich keine Mühe, seine Untreue zu verbergen, er
stellt sich sogar, als wenn er auch seiner Frau eine vergnügliche Abschwei¬
fung von der langweiligen Chaussee der Pflicht keineswegs verübeln würde.
So bedauert er wortreich einen Künstler, der sich aus unerwiderter Liebe
zu seiner, Hofreiters, Frau erschossen hat, und macht ihr kaum verhüllte
Vorwürfe, daß sie ein hoffnungsreiches junges Leben durch ihre Unbarm¬
herzigkeit geknickt habe. Erst später ahnen wir, daß Hofreiter unter dem
Gewand des frivolen Skeptikers sich mit schmerzendem Dolch zerfetzt,
daß jener Künstler infolge eines amerikanischen Duells mit Hofreiter Hand
an sich gelegt hat. Vergeblich schmachtet seine Frau, die nur aus Liebe zu
ihrem Gatten den verführerischen Anbeter zurückgewiesen hat, nach einem
herzlichen Wort; aufs tiefste gekränkt und entmutigt rächt sie sich, indem
sie dem Beispiel der andern folgt und sich einem blutjungen Marinefähnrich
in die Arme wirft. Hofreiter beobachtet, wie der Fähnrich nächtlicherweile
aus dem Fenster des Schlafzimmers seiner Frau steigt. Einem Freund
gegenüber spöttelt er übei die Hörner, die ihm aufgesetzt worden sind, bricht
dann aber mit dem Fähnrich einen Streit vom Zaun, der zum Duell führen
muß, nicht etwa, weil er die beleidigte Gattenehre reinwaschen will — viel
Ehrgefühl steckt nicht in den schlaffen Seelen — sondern aus wildem Grimm
gegen den begünstigten Nebenbuhler. Im Zweikampf schießt Hofreiter den
Gegner nieder. Seine Frau sagt sich von ihm los wegen seiner erbar¬
mungslosen Brutalität, der Tod des Jünglings, der doch nur ein Lücken¬
büßer war, geht ihr nicht sehr zu Herzen; Hofreiter selbst weist das schon
erwähnte Mädchen, das ihm überall hin folgen will, schroff zurück, und
der Vorhang fällt, während draußen die jauchzende Stimme des eben
aus der Pension zurückkehrenden Sohnes des unglücklichen Ehepaars er¬
klingt. Dem Falle Hofreiter sind ähnliche Fälle gegenübergestellt. Als
einziger aufrechter, gesunder Mensch, der von „Herzensschlampereien“
nichts wissen will, bleibt nur ein leider recht lederner Arzt übrig. Das
Stück, das in Baden bei Wien, während eines Aktes in einem Dolomiten¬
hotel spielt, bringt dann noch eine Reihe unterhaltender Typen: einen un¬
säglich faden Lawn=Tennis=Gecken, einen Nachtcafé=Dichter, einen schön¬
geistig wissenschaftlerischen Zierbengel, eine einfältig plappermäulige alte
Dame der Gesellschaft, einige komische Touristen. Am Schluß hat der Zu¬
schauer das Gefühl: Wozu alle die endlosen Redereien, wozu das Pistolen¬
geknalle? Was gehen mich die Mollusken an, die da ihre weichen, schlei¬
migen Glieder durcheinander flechten? Für solche Milienschilderungen und
#seelische Tifteleien ist der Roman da, auf der Bühne zerfließen sie zu Brei.
Gespielt wurde durchweg gut. Heinz Monnard gab die schwierige, wider¬
spruchsvolle Rolle des Friedrich Hofreiter; als Frau Hofreiter vermied Irene
Triesch, die man lieber in größern, ihrem Talent ebenbürtigen Aufgaben
sähe, glücklich ein allzu larmoyantes Wesen. Emanuel Reicher spielte den
ziemlich papiernen geschiedenen Don Juan. Dem Beifall, den das Publikum
spendete, fehlte offenbar die Überzeugung; er galt mehr andern, bessern
Stücken des Verfassers und den Darsteller#
& Wien. Ne¬
Zeitung: Kölnische Zeitung
Datum:
17. Okt. 191
Theater und Musik.
Das weite Land von Arthur Schnitzler.
Berlin. Eine fünfaktige Tragödie von Arthur Schnitzler: Das
weite Land ist am Samstag in einer ganzen Reihe von Theatern, darunter
auch im Berliner Lessingtheater aufgeführt worden. Das weite
Land bedeutet die menschliche Seele, die auch vom stärksten Gefühl nie so
vollständig ausgefüllt wird, daß nicht Raum bliebe für gefährliche Neben¬
gefühlchen. Der Vergleich ist nicht sehr plastisch; zutreffender wäre der
Titel: Der weite Magen — mit der Nutzanwendung, daß das unvorsichtige
Knabbern von Süßigkeiten außerhalb der Hauptmahlzeiten Indigestionen
pur Folge hat. Mit „weitem Land“ verbindet man unwillkürlich den Be¬
griff des frei dahinstürmenden Windes; in Schnitzlers Stück aber weht
muffige Boudoirluft und süßlich faules Parfüm, untermischt mit dem Ge¬
ruch beizend scharfer Desinfektionsmittel. Daß der Dialog die Handlung
überwuchert, drängt sich um so eher als Fehler auf, als uns die Personen
mit ihrem marklosen Sybaritentum und seichten Lebensweisheit bald herz¬
lich gleichgültig sind und selbst die tragische Schießerei am Schluß nicht mehr
zu lebendiger Teilnahme aufrüttelt. Dazu ist die Hauptperson mit einer ge¬
zierten, müden Spitzfindigkeit so übersein gezeichnet, daß ihr Innenleben uns
trotz gelegentlicher taktloser Offenherzigkeiten bis zum Ende ein Rätsel bleibt.
Friedrich Hofreiter, ein Wiener Industrieller, trägt — allmählich dämmert
uns das auf — im tiefen Herzen eine sublime Liebe zu seiner Frau, und
seine Frau liebt ihn. Aber die Ehe ist kalt und unbefriedigend. Hofreiter
liebelt mit einer lockern Bankiersfrau, dann mit einem jungen Mädchen,
das zuerst modern starkgeistig auftritt und sich später als lüsternes Gäns¬
chen entpuppt. Er gibt sich keine Mühe, seine Untreue zu verbergen, er
stellt sich sogar, als wenn er auch seiner Frau eine vergnügliche Abschwei¬
fung von der langweiligen Chaussee der Pflicht keineswegs verübeln würde.
So bedauert er wortreich einen Künstler, der sich aus unerwiderter Liebe
zu seiner, Hofreiters, Frau erschossen hat, und macht ihr kaum verhüllte
Vorwürfe, daß sie ein hoffnungsreiches junges Leben durch ihre Unbarm¬
herzigkeit geknickt habe. Erst später ahnen wir, daß Hofreiter unter dem
Gewand des frivolen Skeptikers sich mit schmerzendem Dolch zerfetzt,
daß jener Künstler infolge eines amerikanischen Duells mit Hofreiter Hand
an sich gelegt hat. Vergeblich schmachtet seine Frau, die nur aus Liebe zu
ihrem Gatten den verführerischen Anbeter zurückgewiesen hat, nach einem
herzlichen Wort; aufs tiefste gekränkt und entmutigt rächt sie sich, indem
sie dem Beispiel der andern folgt und sich einem blutjungen Marinefähnrich
in die Arme wirft. Hofreiter beobachtet, wie der Fähnrich nächtlicherweile
aus dem Fenster des Schlafzimmers seiner Frau steigt. Einem Freund
gegenüber spöttelt er über die Hörner, die ihm aufgesetzt worden sind, bricht
dann aber mit dem Fähnrich einen Streit vom Zaun, der zum Duell führen
muß, nicht etwa, weil er die beleidigte Gattenehre reinwaschen will — viel
Ehrgefühl steckt nicht in den schlaffen Seelen — sondern aus wildem Grimm
gegen den begünstigten Nebenbuhler. Im Zweikampf schießt Hofreiter den
Gegner nieder. Seine Frau sagt sich von ihm los wegen seiner erbar¬
mungslosen Brutalität, der Tod des Jünglings, der doch nur ein Lücken¬
büßer war, geht ihr nicht sehr zu Herzen; Hofreiter selbst weist das schon
erwähnte Mädchen, das ihm überall hin folgen will, schroff zurück, und
der Vorhang fällt, während draußen die jauchzende Stimme des eben
aus der Pension zurückkehrenden Sohnes des unglücklichen Ehepaars er¬
klingt. Dem Falle Hofreiter sind ähnliche Fälle gegenübergestellt. Als
einziger aufrechter, gesunder Mensch, der von „Herzensschlampereien“
nichts wissen will, bleibt nur ein leider recht lederner Arzt übrig. Das
Stück, das in Baden bei Wien, während eines Aktes in einem Dolomiten¬
hotel spielt, bringt dann noch eine Reihe unterhaltender Typen: einen un¬
säglich faden Lawn=Tennis=Gecken, einen Nachtcafé=Dichter, einen schön¬
geistig wissenschaftlerischen Zierbengel, eine einfältig plappermäulige alte
Dame der Gesellschaft, einige komische Touristen. Am Schluß hat der Zu¬
schauer das Gefühl: Wozu alle die endlosen Redereien, wozu das Pistolen¬
geknalle? Was gehen mich die Mollusken an, die da ihre weichen, schlei¬
∆
migen Glieder durcheinander flechten? Für solche Milieuschilderungen und
seelische Tifteleien ist der Roman da, auf der Bühne zerfließen sie zu Brei.
Gespielt wurde durchweg gut. Heinz Monnard gab die schwierige, wider¬
spruchsvolle Rolle des Friedrich Hofreiter; als Frau Hofreiter vermied Irene
Triesch, die man lieber in größern, ihrem Talent ebenbürtigen Aufgaben
sähe, glücklich ein allzu larmoyantes Wesen. Emanuel Reicher spielte den
ziemlich papiernen geschiedenen Don Juan. Dem Beifall, den das Publikum
spendete, fehlte offenbar die Überzeugung; er galt mehr andern, bessern¬
Stücken des Verfassers und den Darstellern.
I Wien. Von den mehr als ein Dutzend Aufführungen, die am
Samstag Arthur Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie Das weite
Land gefunden hat, war die am Burgtheater als die Haupt¬
aufführung gedacht. Nicht nur, weil der Dichter in Wien wohnt, als
besonderer Burgtheaterdichter gilt und bei der Burgtheateraufführung
persönlich zugegen war, sondern auch, weil Schnitzler dieses neue Stück
wieder ganz ins moderne Wiener Milieu, wie er es nämlich auffaßt und
darstellt, hineingesetzt, mehrere der Rollen Gestalten der Wiener Gesell¬
schaft nachgezeichnet und die meisten sogar Burgschauspielern „auf den
Leib geschrieben“ hat, die Hauptrollen zweien der Koryphäen des Burg¬
theaters, die die Aufführung des Stücks nicht mehr erlebt haben, Kainz
und Hartmann. Auch ohne die gleichzeitige Massenaufführung wäre
daher Das weite Land für Wien eine große Sensation gewesen. Gleich¬
wohl kann man sagen, daß die überaus sorgfältige Aufführung des
Burgtheaters nahe daran war, einen Mißerfolg zu ergeben. Während
der ersten drei Akte dieses langgedehnten Stücks, die fast nichts geben
als eine allerdings sehr naturalistische Milieuschilderung, machte sich eine
bedrohliche Langeweile im Hause breit, die das Wohlgefallen an der
feingeschliffenen Dialektik dieses zynischen Skeptikers und der meister¬
haften Leichtigkeit und Natürlichkeit seines Dialogs fast erstickte; erst die
beiden letzten Akte mit ihrem kräftigern dramatischen Impuls brachten
ein tieferes Interesse hervor, so daß sich der Achtungserfolg in einen
wirklichen verwandelte, wobei freilich ein inneres Widerstreben des
Publikums gegen die Verbogenheit und Verrenktheit der Schnitzlerschen
Erotik und gegen das Übermaß dieses Sumpfes, als gegen eine selbst
Semren H