II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 268

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24. Das seite Land
dort auf dem Gipfel seines Glanzes, prunkt in Vorhang sich zum letzten Male über d
Berliner Theater.
Lykons Palast, hat Lykons Weib gefreit, will vielen gut gestellten Bilder senkt, geh
Lykons Tochter mit seinem eigenen Sohne ver¬
F. D. Berlin, 22. Oktober.
und in unserm Innern unbereichert hein
mählen, hat sich sogar zum Tyrannen von Syrakus
Warum in aller Welt muß Hermann
sahen und wovon wir uns vier Theater
aufgeschwungen, wenn auch Karthagos Fuß fester
Sudermanns Tragödie „Der Bettler von
spannen und zuweilen auch wohl ein
denn je auf seinem Nacken sitzt und Mago, derselbe
Syrakus“ (Buchausgabe bei Cotta, Stuttgart)
ließen, ist im Grunde doch nur eine dr#
Karthagerhauptmann, der mit ihm den Verrat in
ein Vorspiel haben — sind fünf Akte nicht genug?
getakelte Anekdote der alten Historie,
jener Felsenschlucht beging, dank seiner gefährlichen! Saiten unserer Herzen stumm bleiben
Warum in aller Welt muß unter den dreißig Per=Mitwisserschaft der eigentliche Herr der Stadt ist.
mag noch an das Vorspiel, wer an die
sonen des Dramas, so da aus Fleisch und Blut zu In diese verrotteten Zustände fährt nun der flam¬
heimnisvolle Prophezeiung und Fordern
sein behaupten, noch eine „Erscheinung“ treten, ein
mende Vaterlandszorn des blinden Bettlers, den
scheinung“ zu denken? Stoff, Stoff istn
lichtumflossener Genius aus einer außerirdischen
niemand erkennt, auch als er beginnt, den Schleier
Sphäre
Seele hungert und friert.
ist es nicht genug des Ruhmes, ein
der Geheimnisse von jener rätselhaften Schlacht zu
An Beifall fehlte es dem Stücke i##
buntes, figuren= und geschehnisreiches, spannendes
lüften und das Gewissen seines Verräters und Ver¬
und wirkungsvolles Theaterstück verfaßt zu haben?
Wenn der sich freigebig oft vor dem
derbers durch seine unheimlichen Fragen aufzu¬
Mit diesem Vorspiel und dieser symbolischen Erschei¬
gende Dichter auch spürte, daß ein #
stacheln; vor dem auch seine Nächsten, Frau und
Teil davon der
nung stellt Sudermann Erwartungen und Maßstäbe
Darstellung,
Sohn und Tochter, ahnungslos stehen, wenn er
Darstellern zugedacht war.
auf, denen er nicht gewachsen ist. Oder sollten wir ihnen unter der Maske eines Schicksalsgenossen des
schauspielerischer Ruhm dieses Abe
uns nicht auf etwas tief Deutsames, weithin Be= Verschollenen, Vergessenen, Ausgelöschten von
ungeteilt fast, auf Carl Clew
wegendes gefaßt worden, wenn vor den syrakusischen
Lykons letzten Stunden und Vermächtnissen be¬
neu gewonnenen Charakterspieler des
Feldherrn Lykon, der sich und sein Heer in felsiger
richtet.
Schlucht von den Karthagern ringsum eingeschlossen
Schauspielhauses, gehäuft. Er bracht
Diese Begegnungen des Unerkannten mit
äußerst anspruchsvolle Rolle des Feldhe
und sicherem Verderben ausgeliefert sieht, plötzlich
denen, die seinem Herzen einst so nahe und so teuer
eine stählerne Biegsamkeit der Ersche
eine fahl leuchtende Jünglingsgestalt mit gewal¬
waren, verhelfen dem mittleren Akt zu ein paar
Haltung, des Organs und des Ausdru
stigen Fittichen und eherner Keule tritt und sich als
Szenen von scheinbar tieferem Gehalt, als wir das
den trüben Bruder des Todes vorstellt:
ihn nicht ein einziges Mal, so schnell¬
sonst bei Sudermann gewohnt sind, wie denn ander¬
auch wechselten, im Stiche ließ. Im üb
Wer mir verfallen ist,
seits der zweite und vierte Aufzug, die politischen
Der wird gelöscht
Darstellung und Regie recht nach der
im Gegensatz zu den häuslichen, bei dem ersten Zu¬
Von der Tafel der Zeiten.
spielhaus=Schablone: würdig, repräse
Wen ich berühre,
sammentreffen des Blinden mit Aratos und Mago
schickt, vornehm, luxuriös, aber ebendec
Der stirbt den großen Tod:
und bei der Aufwiegelung der syrakusanischen In¬
vorgestern.
Vergessensein.
gend während eines Gastmahls jenes alte Suder¬
Auch in Axthur Schnitzl
Lykon wählt den Sieg und schwört dafür denmannsche Theaterblut noch in vollen Strömen
komödie „Das weite Tand (Buch
schreckensvollen Fluch völliger Vergessenheit, völliger
rollen lassen, durch das er bereits vor zwanzig
Fischer, Berlin), das wenige Tages
Ausgelöschtheit für sich und seinen Namen auf sein
Jahren verblüffte, dem es aber in all der Zeit nicht
Lessingtheater aufgeführt wurde, gibt¬
Haupt. Er siegt, oder vielmehr — und damit be¬
vergönnt war, die aus der Seele quellende Wärme
scheinung, eine Rolle, deren Träger ni
ginnt der Fluch zu wirken — sein Heer unter seinem
des echten Dichters zu gewinnen. Des Bettlers Diesseits weilt, wenn der Vorhang sich
falschen Freunde Aratos, der längst mit den Kar¬
Nache und Sieg gelingt: er beseitigt den heimtücki= darin zeigt sich gleich der ganze Untersch
sthagern unter einer Decke spielte, ertäuscht sich einen
schen Karthagerhauptmann, er treibt mit seinen der handfesten Theaterkunst des Ostpret
Scheinsieg, während er selbst spurlos verschwindet Enthüllungen und politischen Erfolgen den falschen differenzierten Vergeistigung des Wi
sund der statt seiner Sieggekrönte, kaum nach Syra= Freund und Vaterlandsverräter Aratos in den Tod, Schnitzler tritt diese Person weder als
kus heimgekehrt, nichts Eiligeres zu tun hat, als er jagt die Feinde aus der Stadt und versperrt ihren! Gespenst noch als Vision auf, sie führt
durch Gesetz bei Todesstrafe zu verbieten, daß der! Schiffen den Hafen, er spornt seinen Sohn zur
allein in der Erinnerung, in dem Bew
Name Lykons, des Verräters, je genannt werde.
patriotischen Tat, er entringt noch im Sterben
in den Gesprächen derer, denen sie“
Doch Lykon ist nicht tot. Durch ein Wunder ent¬
seiner Tochter einen ahnungsvollen Ton des Ver¬
ihres Schicksals wird. Dieses stumme ##
kommt der Geblendete aus den furchtbaren Kerkern
stehens und Erkennens — wir aber forschen ver¬
arme Korsakow der Philosoph und Klat
Karthagos, und in der Gestalt eines elenden Bett= gebens nach den symbolischen Tiefen dieses Geschicks,
der um Frau Genia Hofreiters willen
lers erscheint er nach zehn Jahren als furchtbarerl nach dem höheren und reiferen Sinn dieser schäu¬ ging, nicht weil er mit ihr ein „Verhält
Nachegeist in seiner Vaterstadt. Aratos steht jetzt menden und rauschenden Theatralitäten. Wenn der auch nicht weil er an „unglücklicher Lieh
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