II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 288

W
box 28/4
24. DasiteLand
Bühne und Welt.
103
berühmter russischer Pianist hat sich erschossen, weil Frau Genia seine
Leidenschaft nicht erwiderte. Herr Hofreiter kann diese starre Tugend,
die doch für ihn so schmeichelhaft ist, nicht begreifen. Er sagt das dem
Weibe in dürren Worten vor seiner Abreise ins Gebirge, und Frau
Genia bewahrt sie in nur zu treuem Gedächtnis: einem zweiten jugend¬
lichen Verehrer, dem Marinefähnrich, öffnet sie nächtens das Kammer¬
fenster. Und Hofreiter, der, geduldig auf der taufeuchten Wiese im
Baumschatten sich rekelnd, das verbotene Liebesspiel belauert, ist nicht
Philosoph und nicht bequem genug, die Tatsache stillschweigend hin¬
zunehmen, sondern er brüskiert den Jüngling vor vielen Zeugen und
erschießt ihn im Zweikampf. — Der Dichter, der über manches Neben¬
sächliche sich ausführlich verbreitet und wenigstens in den ersten drei
Akten sich gehörig Zeit läßt, zu schildern und zu motivieren, stellt uns
merkwürdigerweise ohne jede Vorbereitung vor die vollendete Tatsache
des ehebrecherischen Verhältnisses zwischen Genia und dem Fähnrich. Wir
sehen kein Schwanken, keinen letzten Versuch der Frau, sich an den
Gatten, der im Karersee=Hotel seine jüngste Eroberung macht, zu klam¬
mern. Wir müssen annehmen, daß Schön=Erna, die jungfräuliche Toch¬
ter aus gutem Hause, ihr eine gefährlichere Rivalin dünkt, als die
Madame Natter und andere femmes de trente ans, denen Hofreiter
vordem sein Taschentuch zugeworfen. Für ein Spiel der Eitelkeit, für
einen Bluff mit ##blutigem Ausgang und obligater Versöhnung hielt
Genia den Zweikampf, und nun, wo der Gatte Ernst gemacht, wo er nach
seinem Geständnis in jäh aufloderndem Zorn den jugendlichen Neben¬
buhler niedergeknallt, da erscheint er ihr als Untier, als Mörder. Frl. Erna
freilich möchte um so brünstiger den starken Sieger in ihre Arme schließen,
aber Hofreiter wehrt ab. Ist es der moralische und physische Katzen¬
jammer nach einer übermäßigen Anspannung der seelischen und körper¬
lichen Kräfte, oder hat er wirklich seinen Tag von Damaskus erlebt?
Der rüstige Dolomitensteiger fühlt sich plötzlich alt, der Leidenschaft der
Zwanzigjährigen nicht mehr gewachsen; er wehrt trotz seiner früheren
Werbung ihre Begleitung auf seinem ferneren Lebenswege ab. Nur in
Gestalt des eben aus der englischen Pension heimgekehrten Sohnes will
er die Jugend noch grüßen. Vielleicht führt der Knabe die Eltern,
wenn Schmerz und Reue verrauscht sind, wieder zusammen. Denn, so
will Schnitzler uns klar machen, Friedrich Hofreiter hat Genia vielleicht
unbewußt immer geliebt, wie sie ihn, wenn er es auch nicht wahr haben
will, wie sein Freund Natter, der der ungetreuen Gattin immer wieder
stillschweigend verzeiht und sich mit den Brosamen ihrer Liebe begnügt.
Als Kontrastfiguren benutzt der Dichter das Ehepaar Aigner; die in
ihrem Stolze gekränkte Frau hat dem Manne den ersten, ihr bekannt ge¬
wordenen Treubruch nicht verziehen und sich scheiden lassen. Er macht
als Direktor der Tiroler Hotelbetriebs=Gesellschaft den weiblichen Kur¬
gästen nach Leibeskräften den Hof, und doch kann er die einstige Gattin
nicht vergessen, die als berühmte Schauspielerin in der Kunst Ersatz ge¬
funden hat. Um Liebes= und vielleicht Lebensglück betrogen ist der junge
Arzt, dessen Bewerbung von Erna abgewiesen wird, weil sie lieber
Hofreiters Mätresse als die ehrbare Gattin des andern sein will. So
geht der aus Schnitzlers früheren Werken sattsam bekannte Zug müder
Resignation auch durch diese Tragikomödie, in der der Dichter freilich