II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 289

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Bühne und Welt.
reichlicher als sonst auch die Glühlichter des Humors und der Situations¬
komik aufsteckt, ja, sich nicht scheut, typische Schwankfiguren wie den
dicken schläfrigen Touristen im Jägerhemd, den semmelblonden, harm¬
losen Strohkopf und Schwätzer zu verwerten. In der Führung des
Dialogs nähert sich Schnitzler diesmal wieder stark dem Stil des guten
französischen Konversationsstücks. Die Menschen tappen nicht mehr mit
Fühlfäden aneinander vorbei, die Sprache enthält keine Rätsel und keinen
geheimen Nebensinn, man wird nicht mehr an Ibsen, sondern an Capus,
den Dichter des „verwundeten Vogel“ und an Porto=Riche, den Schöpfer
des „vieil homme“ erinnert. Der Aufbau der Handlung ist allerdings
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in den ersten Akten recht unfranzösisch, pedantisch schwerfallig, ja stellen¬
weise ungeschickt. Es macht dem Dichter sichtlich Mühe, die Schach¬
figuren in Gang zu bringen und hier, wo es nicht, wie in der Wiener
Historie vom jungen Medardus, Bilderausschnitte aus der Geschichte an¬
einanderzureihen galt, das eineinhalb Dutzend handelnder Personen zu
beherrschen.
Das Lessingtheater, das sich mit dem Wiener Burgtheater
und unterschiedlichen anderen Bühnen in die Ehre der Uraufführung
teilte, hatte einen ungewöhnlichen Aufwand entfaltet, um die fünf Akte
in einen pompösen, dekorativen Rahmen zu fassen. Es war, als wollten
Otto Brahm und sein Regisseur Lessing zeigen, daß man in
der Schumann=Straße auch in diesem Punkte nichts voraus habe. Die
Halle des Dolomiten=Hotels, wo der Lift auf und ab glitt, Gäste aller
Art durch die Tür und über die Treppen marschierten, befrackte Kellner
flogen, der gefällige Portier neugierige Frager abfertigte, der Brief¬
träger die Post brachte, war ein non plus ultra von realistischer
Lebendigkeit. Allerdings für ein anglo=amerikanisches Konversations¬
stück, in dem nur Platitüden ausgetauscht werden, geeigneter, als für ein
Drama Schnitzlers, in dem die Menschen immer wieder das Bedürfnis
zu philophischen Expektorationen und geistreichelnden Intimitäten
empfinden und das Ohr nicht durch das Auge abgelenkt werden darf. —
Von den Darstellern überragte Irene Triesch als Genia durch die
ungemeine Beseelung und vertiefte Auffassung der Rolle weitaus alle
Partner: eine Ibsen=Spielerin unter Sardou=Leuten. Leider vermißte
man den kongenialen Gegenspieler, einen Bassermann oder Rittner;
Heinz Monnard bot als Friedrich Hofreiter nur eine achtbare
Durchschnittsleistung; es fehlte völlig jenes unbewußt Dämonische
und Faszinierende, das den Schüler Casanovas glaubhaft macht, die Ver¬
deutlichung, daß in diesem Manne trotz allem mehr als ein simpler
Frauenjäger steckt. Bei diesem Hofreiter wirkten die Worte, daß niemand
ihn durchschauen könne, wie bloße Renommisterei. Hans Marr schuf
als Dr. Mauer wieder eine jener biederen, blonden, kernigen, ger¬
manischen Figuren, die ihm so überzeugend gelingen. Das gleiche Lob
darf man Kurt Stielers jugendlich glaubhaftem Fähnrich spenden.
Hilde Herterich versuchte wieder einmal ihre Aufgabe mit einem
forcierten Hilde=Wangel=Ton zu lösen. Von den übrigen Mitspielenden
erfreuten Emanuel Reicher als Dr. v. Aigner, Bruno Zie¬
mer, Karl Forest, Willy Froböse und Ilka Grüning
(in der Rolle einer geschwätzigen Wienerin) als geschickte Episodisten.
Von den Gestaden des Baltischen Meeres, wo seine „Strandkinder“ — 0 1

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