II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 313

W
box 28/4
24. DasseiteLand
Donnay, ein Porto=Riche, sind sicherlich Schnitzlers
wurzelten plötzlich beim Schopfe faßt, so daß er den
nächste Verwandte. Aus dieser alten guten Theater¬
jungen Mann, mit dem seine Frau dann schließlich doch
schule, die freilich nicht eben die Schule des Dramas
die Ehe bricht, in einer plötzlichen Wallung totschießt.
ist, erwuchsen für Schnitzler neben verhältnismäßig
Die Welt dieser Seelen ist wirklich das Chaos; aber
kühlen und schwachen Produkten (Vermächtnis, Freiwild)
ein verständiger Mann in Schnitzlers Stück sagt: „ich
die erfolgreich starken Szenen seiner besten Stücke von
versichere Sie, es gibt eine kräftigere, reinere — —
der „Liebelei" bis zum „Einsamen Weg“, erwuchs ihm
Das Leben besteht ja noch aus allem möglichen anderen,
vor allem sein stärkstes Werk: „Der grüne Kakadu“; da
als aus Abenteuern einer gewissen Art.“ — Sehr, sehr
gelangte das vollendetste Theatergeschick gleichsam über
wahr! Nur, daß Schnitzler in diese andere Welt durch¬
sich selbst hinaus, und in der grotesken, beklemmenden,
aus nicht hinübergelangen zu können scheint; nur daß
schließlich entsetzensvollen Mischung von Spiel und
er uns immer wieder und wieder das Theater dieser
Leben entsteht weit mehr als ein Theaterstück: es ist eine
müden, morschen, totgeweihten Seelen vorführt. Und da
24
Tragödie, es ist die Tragödie des ästhetisch verseuchten
wiederholt er sich, sagt schwach und unsicher, was er früher
Lebens, der zweckbaren, romantisch aufgelösten Existenz.
stark und schön gesagt hat. Die ersten beiden Akte haben
mich gelangweilt, trotz oder wegen all des spielerischen
Schnitzlers Theatertalent also in allen Ehren. Aber
Geschicks, mit dem diese Dialoge, die alten, alten Liebeleien
goutieren mochten wir es doch nur, wo es im Dienste
Max Goldschmidt
umkreisten. Die letzten zwei Akte aber haben mich arg
eines starken Gefühls, einer heftigen Leidenschaft arbeitete.
E2 Bureau für
verstimmt wegen des untergrundlosen Theaterelans, mit
In der neuen Tragikomödie „Das weite Land“ scheint das
dem diese matten Geschichten zu starken Szenen gehetzt
Zeitungsausschnitte
Gefühl schlaff, die Leidenschaft mühsam, und das Theater¬
wurden. Wenn im letzten Akt die Mutter des jungen
talent arbeitet leer und laut. Schnitzler wieberholt sich
N. 24
Teiepben IIIl. 18
Menschen, von dem wir wissen, daß er eben im Duell
wieder und immer wieder; — das haben zwar Hebbel
aeeg imunune
erschossen wird, bei der betreffenden Frau ahnungslos,
und Ibsen im Grunde auch getan, aber es scheint doch,
Ausschnitt aus
liebevoll und edel zu Besuch erscheint, wenn schließlich
daß ihr eigenes Thema ergiebiger, welthaltiger sozusagen
auch der betreffende mörderische Mann zurückkommt, und
war, als das Schnitzlersche. Denn was Schnitzler aus¬
nun ein allgemeines Sich=nichts=merken=lassen anhebt,
schließlich beschäftigt, ist das Schicksal des spielerischen,
s Gegenwart, Berlin
so ist das eine Nervenqual, die unabweislich an Suder¬
nur genußsüchtigen Menschen, des Menschen ohne Zweck
mannsche Theaterszenen erinnert. Schnitzler wird sagen:
und ohne Sachinteresse, der schließlich inmitten aller
dergleichen Situationen gehörten mit zum „Chaos“. Nur
Schönheit ermüdet, verekelt, verwirrt zugrunde gehen
#
ist unser Interesse an diesen faulen und faulenden Ge¬
muß. (Weil durch dieses Leben doch nur der Geist der
schöpfen nicht mehr groß genug, um uns etwas anderes
Sachlichkeit, der Geist, der die Zwecke setzt, treu bis ans
als das entsetzlich Peinliche der Situation empfinden zu lassen.
Ende keitet!) Das ist ein ernstes, ein wichtiges Thema
us Berliner Theatern.
Nur im dritten AAkt, in der Mitte, gibt es Erfreu¬
inmitten einer Zeit, deren überkultivierte Oberschicht sich
ganz eigentlich in „Wohlgefallen“ aufzulösen droht. Aber
liches: Ein buntes Hoteltreiben ist flott und witzig hin¬
chnitzler und Sudermann.
es ist doch ein negatives Thema, und ein rein kulturell
gezeichnet, und eine Liebesszene von wirklich starkem
and“, Uraufführung im Lessing=Theater.
Reiz wächst daraus hervor. Ein junges Mädchen, das
fundiertes dazu — es kann sich nicht mit allzu vielen
er von Sprakus“, Uraufführung im König¬
verschiedenen Wirklichkeitskombinationen vermählen.
sich nicht nehmen und verführen läßt, das sich zu ihrer
lichen Schauspielhaus.
Schnitzler hat im „Einsamen Weg“ die lyrisch stärkste, im
Liebe und ihrer Lust bekennt und selbst fest zugreist.
Darin ist etwas Schönes, Freies, Zukunftsvolles, etwas
„Zwischenspiel“ die psychologisch feinste, im „Grünen
ren gewöhnt und gern gewillt, die Namen
Kakadu“ die dramatisch großzügigste Variation dieses viel¬
das an die besten, die dichtergleichen Momente von
d Sudermann in einen möglichst großen,
Bernard Shaw heranreicht.
mal gespielten Themas gegeben — im „Weiter Land“
in überbrückbaren Abstand voneinander zu
gibt er seine schwächste. Von welchem Dichter, der nicht
aber scheint es mir etwas mehr als der
Die Geste dieses wahrhaften Menschenkindes gab
Schnitzlers wohlerworbenen Kredit besäße, würden wir
Theaterwoche, was es ermöglicht, die beiden
Hilde Herterich herzhaft und rein. Sonst aber ließ das
uns eigentlich eine Plattheit wie die, daß die Seele ein
erbinden. Obschon man es ungern tut.
Lessingtheater den Autor am entscheidenden Punkte im
„weites Land“ sei, als Motiv für einen Stücktitel ohne
ashätte von der unbedenklichen Art, mit
Stich. Der altbewährte realistische Apparat des Hauses
Hohn gefallen lassen? — Der gut französische Näsonneur
Mann aus Littauen Gott, Welt und Zeit
arbeitete zwar in allen Ensembleszenen vortrefflich,
des Stückes teilt uns also glatt und platt mit, was uns
seine kräftigen Aktschlüsse einzukleiden, was
leicht und geräuschlos, aber die Hauptrolle spielte Herr
Schnitzler früher oft hat stark fühlen lassen, daß die Seele
ser theatralischen Gewalttätigkeit ferner ge¬
Monnard, Erbe und Doppelkopist Rittners und Basser¬
ein Chaos sei, in dem es schwer wäre, Ordnung zu schaffen.
die stille, müde, ironisch sentimentale Poesie
manns. Er ist sehr charakteristisch für den unentwegten
Das ist ja nun freilich wahr für die Welt dieser kleinen
= und „Reigen"=Dialoge, als dies lautlose
Geschmack seines Direktors, dieser Schauspieler: er hat
Wiener Gesellschaftsseelen, die nichts als den sinnlichen
vischen Ernst und Spiel, Form und Wirk¬
nur die negativen, die naturalistischen Tugenden, er ist
Genuß des Augenblicks suchen und wollen, und Tag und
in die Herzensdämmerung des alten Wien?
nicht laut, nicht pathetisch, nicht aufdringlich —
Nacht Tennis und Liebespielen. Diese Welt, in der einhöchst
ollen wir nicht vergessen, daß dieser lyrische
aber sonst ist er auch nichts, nichts, gar nichts, eine
ungebundener Ehemann es einfach „nichtverstehen“.
Schnitzler schon immer Neigung und Talent
gähnende Leere. — Irene Triesch, die die schließlich doch
kann, warum seine Frau mit einem jungen Manne, der
ungetreue Gattin dieses gleichgültigen Verführers und
kheater gezeigt hat. Ich meine das zunächst
doch gern wollte, nicht die Ehe brach (Darauf beruht
Vorwurf. Schnitzler kommt weniger von
Duellanten spielt, ist etwas; sie erfüllt die Bühne mit
die Handlung des Stückes nämlich) — diese Welt, die
dem wehmütigen Mollton eines schweren Menschen:
ls zusammen mit dem späteren Ibsen aus
sich zu stumpfsinnigem Behagen all der großen sittlichen
aber wenn man es hinterher besieht, so war diese
der französischen Gesellschaftsdramatik:
Ideen beraubt hat, mit der wir unsere Kulturwelt
moralische Thesen sollen diskutiert und
in sich schöne Gestaltung falsch, denn, wenn diese
zimmerten, ist wirklich ein Thaos, und es ist deshalb gar
rch eindeutig starke Situationen illustriert
Frau nicht sehr viel leichtlebiger, harmloser, unbe¬
nicht überraschend, wenn der Naturtrieb diesen Ent= deutender ist, dann sind all diese Verführungs= und
letzten und feinsten dieser Franzosen, ein