box 28
24. Das veite Land
24
Dr. Max Goldschmidt
Eel Bureau für
Zeitungsausschnitte
Berlin N. 24
Telephen Ill.
PauMMmrE D E PIG
Ausschnitt aus
Die Gegenwart, Berlin
018 40
Aus Berliner Theatern.
Schnitzler und Sudermann.
„Das weite Land“, Uraufführung im Lessing=Theater,
„Der Bettler von Sprakus“, Uraufführung im König¬
lichen Schauspielhaus.
Wir waren gewöhnt und gern gewillt, die Namen
Schnitzler und Sudermann in einen möglichst großen,
in einen kaum überbrückbaren Abstand voneinander zu
rücken. Nun aber scheint es mir etwas mehr als der
Zufall einer Theaterwoche, was es ermöglicht, die beiden
Namen zu verbinden. Obschon man es ungern tut.
Denn was hätte von der unbedenklichen Art, mit
der der starke Mann aus Littauen Gott, Welt und Zeit
benutzte, um seine kräftigen Aktschlüsse einzukleiden, was
hätte von dieser theatralischen Gewalttätigkeit ferner ge¬
schienen als die stille, müde, ironisch sentimentale Poesie
der „Anatol"= und „Reigen“=Dialoge, als dies lautlose
Vergleiten zwischen Ernst und Spiel, Form und Wirk¬
lichkeit, hinein in die Herzensdämmerung des alten Wien?
Freilich wollen wir nicht vergessen, daß dieser lyrische
Psychologe Schnitzler schon immer Neigung und Talent
zu starkem Theater gezeigt hat. Ich meine das zunächst
gar nicht als Vorwurf. Schnitzler kommt weniger von
Ibsen her, als zusammen mit dem späteren Ibsen aus
der Schule der französischen Gesellschaftsdramatik:
psychologisch=moralische Thesen sollen diskutiert und
schließlich durch eindeutig starke Situationen illustriert
werden. Die letzten und feinsten dieser Franzosen, ein
Donnay, ein Porto=Riche, sind sicherlich Schnitzlers
nächste Verwandte. Aus dieser alten guten Theater¬
schule, die freilich nicht eben die Schule des Dramas
ist, erwuchsen für Schnitzler neben verhältnismäßig
kühlen und schwachen Produkten (Vermächtnis, Freiwild)
die erfolgreich starken Szenen seiner besten Stücke von
der „Liebelei“ bis zum „Einsamen Weg“, erwuchs ihm
vor allem sein stärkstes Werk: „Der grüne Kakadu“; da
gelangte das vollendetste Theatergeschick gleichsam über
sich selbst hinaus, und in der grotesken, beklemmenden,
schließlich entsetzensvollen Mischung von Spiel und
Leben entsteht weit mehr als ein Theaterstück: es ist eine
Tragödie, es ist die Tragödie des ästhetisch verseuchten
Lebens, der zweckbaren, romantisch aufgelösten Existenz.
Schnitzlers Theatertalent also in allen Ehren. Aber
gontieren mochten wir es doch nur, wo es im Dienste
eines starken Gefühls, einer heftigen Leidenschaft arbeitete.
In der neuen Tragikomödie „Das weite Land“ scheint das
Gefühl schlaff, die Leidenschaft mühsam, und das Theater¬
talent arbeitet leer und laut. Schnitzler wiederholt sich
wieder und immer wieder; — das haben zwar Hebbel
und Ibsen im Grunde auch getan, aber es scheint doch,
daß ihr eigenes Thema ergiebiger, welthaltiger sozusagen
war, als das Schnitzlersche. Denn was Schnitzler aus¬
schließlich beschäftigt, ist das Schicksal des spielerischen,
nur genußsüchtigen Menschen, des Menschen ohne Zweck
und ohne Sachinteresse, der schließlich inmitten aller
Schönheit ermüdet, verekelt, verwirrt zugrunde gehen
muß. (Weil durch dieses Leben doch nur der Geist der
Sachlichkeit, der Geist, der die Zwecke setzt, treu bis ans
Ende leitet!) Das ist ein ernstes, ein wichtiges Thema
inmitten einer Zei, deren überkultivierte Oberschicht sich
ganz eigentlich in „Wohlgefallen“ aufzulösen droht. Aber
es ist doch ein negatives Thema, und ein rein kulturell
fundiertes dazu — es kann sich nicht mit allzu vielen
verschiedenen Wirklichkeitskombinationen vermählen.
Schnitzler hat im „Einsamen Weg“ die lyrisch stärkste, im
„Zwischenspiel“ die psychologisch feinste, im „Grünen
Kakadu“ die dramatisch großzügigste Variation dieses viel¬
mal gespielten Themas gegeben — im „Weiten Land“
gibt er seine schwächste. Von welchem Dichter, der nicht
Schnitzlers wohlerworbenen Kredit besäße, würden wir
uns eigentlich eine Plattheit wie die, daß die Seele ein
„weites Land“ sei, als Motiv für einen Stücktitel ohne
Hohn gefallen lassen? — Der gut französische Näsonneur
des Stückes teilt uns also glatt und platt mit, was uns
Schnitzler früher oft hat stark fühlen lassen, daß die Seele
ein Chaos sei, in dem es schwer wäre, Ordnung zu schaffen.
Das ist ja nun freilich wahr für die Welt dieser kleinen
Wiener Gesellschaftsseelen, die nichts als den sinnlichen
Genuß des Augenblicks suchen und wollen, und Tag und
Nacht Tennis und Liebe spielen. Diese Welt, in der ein höchst
ungebundener Ehemann es einfach „nichtverstehen“
kann, warum seine Frau mit einem jungen Manne, der
doch gern wollte, nicht die Ehe brach (Darauf beruht
die Handlung des Stückes nämlich) — diese Welt, die
sich zu stumpfsinnigem Behagen all der großen sittlichen
Ideen beraubt hat, mit der wir unsere Kulturwelt
zimmerten, ist wirklich ein Chaos, und es ist deshalb gar
nicht überraschend, wenn der Naturtrieb diesen Ent¬
wurzelten plötzlich beim
jungen Mann, mit dem
die Ehe bricht, in einer
Die Welt dieser Seelen
ein verständiger Mann
versichere Sie, es gibt ei
Das Leben besteht ja noch
als aus Abenteuern eine
wahr! Nur, daß Schnitzl
aus nicht hinübergelange
er uns immer wieder u
müden, morschen, totgewe
wiederholt er sich, sagt schu
stark und schön gesagt hat.
mich gelangweilt, trotz od
Geschicks, mit dem diese Die
umkreisten. Die letzten zu
verstimmt wegen des unte
dem diese matten Geschich
wurden. Wenn im letzten
Menschen, von dem wir
erschossen wird, bei der b
liebevoll und edel zu Be
auch der betreffende mörde
nun ein allgemeines Sich
so ist das eine Nervenqua
mannsche Theaterszenen er
dergleichen Situationen ge
ist unser Interesse an die
schöpfen nicht mehr groß
als das entsetzlich Peinliche d
Nur im dritten Akt,
liches: Ein buntes Hoteltr
gezeichnet, und eine Lieb
Reiz wächst daraus hervo
sich nicht nehmen und ver
Liebe und ihrer Lust bei
Darin ist etwas Schönes,
das an die besten, die
Bernard Shaw heranreicht
Die Geste dieses wal
Hilde Herterich herzhaft u
Lessingtheater den Autor
Stich. Der altbewährte re
arbeitete zwar in allen
leicht und geräuschlos, abe
Monnard, Erbe und Dopp
manns. Er ist sehr charak
Geschmack seines Direktors
nur die negativen, die nat
nicht laut, nicht pathe
aber sonst ist er auch nic
gähnende Leere. — Irene
ungetreue Gattin dieses g
Duellanten spielt, ist etwa
dem wehmütigen Mollton
aber wenn man es hi
in sich schöne Gestaltung
Frau nicht sehr viel leic
deutender ist, dann sind
24. Das veite Land
24
Dr. Max Goldschmidt
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Zeitungsausschnitte
Berlin N. 24
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Ausschnitt aus
Die Gegenwart, Berlin
018 40
Aus Berliner Theatern.
Schnitzler und Sudermann.
„Das weite Land“, Uraufführung im Lessing=Theater,
„Der Bettler von Sprakus“, Uraufführung im König¬
lichen Schauspielhaus.
Wir waren gewöhnt und gern gewillt, die Namen
Schnitzler und Sudermann in einen möglichst großen,
in einen kaum überbrückbaren Abstand voneinander zu
rücken. Nun aber scheint es mir etwas mehr als der
Zufall einer Theaterwoche, was es ermöglicht, die beiden
Namen zu verbinden. Obschon man es ungern tut.
Denn was hätte von der unbedenklichen Art, mit
der der starke Mann aus Littauen Gott, Welt und Zeit
benutzte, um seine kräftigen Aktschlüsse einzukleiden, was
hätte von dieser theatralischen Gewalttätigkeit ferner ge¬
schienen als die stille, müde, ironisch sentimentale Poesie
der „Anatol"= und „Reigen“=Dialoge, als dies lautlose
Vergleiten zwischen Ernst und Spiel, Form und Wirk¬
lichkeit, hinein in die Herzensdämmerung des alten Wien?
Freilich wollen wir nicht vergessen, daß dieser lyrische
Psychologe Schnitzler schon immer Neigung und Talent
zu starkem Theater gezeigt hat. Ich meine das zunächst
gar nicht als Vorwurf. Schnitzler kommt weniger von
Ibsen her, als zusammen mit dem späteren Ibsen aus
der Schule der französischen Gesellschaftsdramatik:
psychologisch=moralische Thesen sollen diskutiert und
schließlich durch eindeutig starke Situationen illustriert
werden. Die letzten und feinsten dieser Franzosen, ein
Donnay, ein Porto=Riche, sind sicherlich Schnitzlers
nächste Verwandte. Aus dieser alten guten Theater¬
schule, die freilich nicht eben die Schule des Dramas
ist, erwuchsen für Schnitzler neben verhältnismäßig
kühlen und schwachen Produkten (Vermächtnis, Freiwild)
die erfolgreich starken Szenen seiner besten Stücke von
der „Liebelei“ bis zum „Einsamen Weg“, erwuchs ihm
vor allem sein stärkstes Werk: „Der grüne Kakadu“; da
gelangte das vollendetste Theatergeschick gleichsam über
sich selbst hinaus, und in der grotesken, beklemmenden,
schließlich entsetzensvollen Mischung von Spiel und
Leben entsteht weit mehr als ein Theaterstück: es ist eine
Tragödie, es ist die Tragödie des ästhetisch verseuchten
Lebens, der zweckbaren, romantisch aufgelösten Existenz.
Schnitzlers Theatertalent also in allen Ehren. Aber
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eines starken Gefühls, einer heftigen Leidenschaft arbeitete.
In der neuen Tragikomödie „Das weite Land“ scheint das
Gefühl schlaff, die Leidenschaft mühsam, und das Theater¬
talent arbeitet leer und laut. Schnitzler wiederholt sich
wieder und immer wieder; — das haben zwar Hebbel
und Ibsen im Grunde auch getan, aber es scheint doch,
daß ihr eigenes Thema ergiebiger, welthaltiger sozusagen
war, als das Schnitzlersche. Denn was Schnitzler aus¬
schließlich beschäftigt, ist das Schicksal des spielerischen,
nur genußsüchtigen Menschen, des Menschen ohne Zweck
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Schönheit ermüdet, verekelt, verwirrt zugrunde gehen
muß. (Weil durch dieses Leben doch nur der Geist der
Sachlichkeit, der Geist, der die Zwecke setzt, treu bis ans
Ende leitet!) Das ist ein ernstes, ein wichtiges Thema
inmitten einer Zei, deren überkultivierte Oberschicht sich
ganz eigentlich in „Wohlgefallen“ aufzulösen droht. Aber
es ist doch ein negatives Thema, und ein rein kulturell
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Schnitzler hat im „Einsamen Weg“ die lyrisch stärkste, im
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Kakadu“ die dramatisch großzügigste Variation dieses viel¬
mal gespielten Themas gegeben — im „Weiten Land“
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Schnitzlers wohlerworbenen Kredit besäße, würden wir
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jungen Mann, mit dem
die Ehe bricht, in einer
Die Welt dieser Seelen
ein verständiger Mann
versichere Sie, es gibt ei
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stark und schön gesagt hat.
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mannsche Theaterszenen er
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Nur im dritten Akt,
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Darin ist etwas Schönes,
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