II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 318

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24. Das weite Land
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Von den Berliner Theatern 1911/12.
II.
„Das weite Land.“ — „Der Bettler von Syrakus.“ — „Turandot.“ —
„Fannys erstes Stück.“
Mit dem Titel, der an Vieldeutigkeit nicht leicht übertroffen werden
kann, hat Arthur Schnitzler den Zuhörern ein Rätsel aufgegeben,
das ein nicht Aufmerksamer, der einen im Stück gesprochenen Satz über¬
hört, oder einer, der Schnitzler und seine Leute schon zu gut zu kennen
glaubt, falsch raten dürfte: das „weite Land“*) sei das Land der Liebe.
Es ist aber, wie der Dichter uns durch seinen Hauptsprecher vers#hert, das
Land der Seele. Für die anderthalb Dutzend Männlein uno Weib¬
lein freilich, die der Dichter in den fünf langgestreckten Akten dieser
Tragikomödie auf die Bretter bringt, ist die weite Gotteswelt im wesent¬
lichen ein Liebesmarkt. Sie flirten auf dem Tennisplatz des Badener
Kurgartens, sie tauschen beim Mondenschein verstohlene Küsse in der
schweigenden Bergwelt der Dolomiten, sie ehebrechen im Karersee=Hotel
so gut wie in der Badener Villa, und wenn der Dichter auch gelegent¬
lich seinen Liebesrekordmann erklären läßt, auch im Leben der Frauen
gäbe es Stunden, die nicht durch die Liebe ausgefüllt würden, so klingt
doch noch immer die alte wohlbekannte Melodie aus dem „Anatol“=Zyklus
an: „Mein Lebenslauf ist Lieb' und Lust“ wobei die Lust freilich oft
stark mit Bitternis gemengt ist. Es liegt nahe, den Haupthelden der
neuen Tragikomödie, den Glühstrumpffabrikanten Friedrich Hofreiter,
dem seine umfangreichen Geschäfte trotzdem beneidenswert viel freie
Zeit zu galanten Abenteuern lassen, einen Anatol mit ergrauten Haaren
zu nennen. Zehn Jahre früher wäre Herr Hofreiter der Stigmatisierung
als Uebermensch schwerlich entgangen, denn er ist nicht nur im Reiche
des Eros ein verwöhnter Sieger, sondern auch ein Gipfelstürmer, der
den gefährlichen Aignerturm in den Dolomiten zu verschiedenen Malen
bezwingt, ein trefflicher Tennisspieler und ein zielsicherer Pistolenschütze.
Die Weiber fliegen ihm zu, und dem aus Grundsatz Untreuen hält die
Gattin, die stille sinnige Genia, die Treue, obgleich sie ihn längst durch¬
schaut hat und sich über ihre Ehe keinerlei Illusionen macht. Ein junger,
*) Buchausgabe: Verlag S. Fischer, Berlin 1911.
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