II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 324

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24. Das Leite Land
Etung: Berliner Lokal-Anzeiger
Datum: 1 9. Aug. 1911
+ Schnitzleus=neues Drama „Das Neu¬
Land“ wie uns ein Tele gramm
unseres p. =Korrespondenten aus
München meldet, nach Bahrschem Muster am
18. Oktober am Münchener Hoftheater gleichzeitig
mit dem Wiener Burgtheater und dem Berliner
Lessingtheater die Exstaufführung erleben.
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be u..
usnationen beim Lottospiel möglich seien. Auch die
st
Liebe ist ein Spiel — viele wenigstens fassen sie so
auf — und Schnitzler scheint es in der Tat gereizt
zu haben, einmal auszuprobieren wieviele Kom¬
binationen und Konstellationen dieses Liebes¬
spiel im Rahmen von fünf Akten eigentlich zu¬
lasse, ohne daß die Klarheit der Handlung darun¬
ter leide. Nun: es ist eine recht hübsche Zahl
1. von Möglichkeiten dabei herausgekommen.
Kein Wunder auch. Ist doch so unendlich viel
Raum in dem „weiten Land“, das Schnitzler
meint: in der Seele des Menschen nämlich. Die
entgegengesetztesten Dinge wohnen dort dicht
nebeneinander: Treue und Untreue, Liebe und
Haß, Gleichgültigkeit und Eifersucht, Leichtsinn
und Lebensernst usw. Zuweilen versucht man
Gne. K..
Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen.
burg, Toronto.
Das Chaos aber ist doch immer das Natürliche.
Alles gleitet. Niemand weiß genau, was er im
(Quellenangabe ohne Gewähr).
nächsten Augenblick tut. Kurzum: es gibt Mög¬
nehner Leitune
al
lichkeiten, ohne Zahl in diesem weiten Land der
Seele, dem Heimatland der Liebe.
IRBUEN 1511
Da ist z. B. der Fabrikant Hofreiter (Atmo¬
sphäre: Wien und Umgebung), ein sehr selbstsiche¬
er „Mann in den besten Jahren“, der wohl die
Frauen liebt, aber nicht seine Frau. Er betrügt
„Das weite Land“, von Arthur Schuit
sie immer wieder, zuletzt mit einem exzentrischen
(Aufführung im K. Hoftheater am 15. Oktober.)
jungen Mädchen von lulnähnlichem Charakter,
Arthur Schnitzlers dramatische Werke
das ihn eine Weile an sich zu fesseln versteht. Er
könnte man einmal unter Fortlassung sämtlicher
macht sich wieter keine Vorwürfe darüber, obwohl
Einzeltitel unter dem Kollektivtitel „Die Liebe“
er sieht, wie seine Frau, die ihn noch immer im
herausgeben. Wobei allerdings zu überlegen
Innersten ihrer Seele liebt, darunter leidet. Frau
Genia bleibt ihm treu, einstweilen; als sie aber
wäre, ob anstatt des schweren Wortes Liebe nichtlden letzten Betrug ihres Mannes erfährt, da
am Ende doch das leichtere Liebelei zu wählen
wäre. Aber das ist Empfindungssache. Gewiß
Frevanchiert“ sie sich mit einem Marinefähnrich,
ist Hagegen, daß das Verhältnis der Geschlechter
dem Sohne einer Bekannten, der einst ebenfalls
ihr Mann durch die Lappen gegangen ist. Die
zu einander und die Konsequenzen, die sich Sache endet freilich schlimm: Hofreiter ertappt
daraus ergeben, das beinahe einzige Thema allersden Fähnrich bei einem seiner nächtlichen Besuche
Schnitzlerschen Stücke sind. Auch „Das weitesund erschießt ihn im Duell.
Land“ macht davon keine Ausnahme. Im
Gegenteil.
In fünf langen Akten erzählt Schnitzler diesen
Roman von der Tragikomödie der Liebe und des
Irgendwer in dieser Tragikomödie spricht ein=[Lebens. Es sind Stellen in dem Stück, in denen
mal Havon, er habe ausgerechnet, wieviele Kombi=ldie Handlung ganz stille zu stehen scheint und in
AMmn
r Flut von Weitschweifigkeiten und Neben=sei
lichkeiten ohne Rettung unterzugehen broht.] S
onders in den ersten Akten geschieht das; undsdi
i muß dort, z B. in dem Akt in der Hotel=H
e, mancherlei billiges Episodenwerk sehen, das K
ere noch billiger und trotzdem besser herstellen.
r allzuviel will das nicht besagen gegenüber
Reichtum dieses Stückes an Feinheiten und
önheiten des sehr flüssigen und natürlicheng
logs, an tiefen Gedanken und scharfen Ana¬
u. Man hat sich zwar von einem sehr geist¬
en Dichter wie Schnitzler nichts anderes er¬
ctet. Aber hier ist doch noch mehr als man
einiger Sicherheit erhoffen durfte. Hier ist
erfluß, Reife und jenes gewisse Etwas, das
#r einen Momeni das Interesse an den Haupt¬
gängen erlahmen läßt. Wie man einen span¬
iden Rom n in einem Zuge zu Ende liest, so
elt das Gegenständliche dieses Stücks, d. h. das
hicksal dieser Menschen, bis zum letzten Satz.
lerdings vielleicht weniger um ihrer selbst wil¬
n, als weil eben Schnitzlers Künstlerfinger sie
formt haben. So kam am Samstag und ebenso
#stern, bei der ersten Wiederholung, ein unbe¬
rittener, starker Erfolg nach allen Akten zu¬
ande.
Auch hier war eine sehr stimmungsvolle, sorg¬
ältig abgetönte Aufführung (Regie: Herr
Zasil) dem Stück ein nicht zu unterschätzender
Helfer. Der Hofreiter des Herrn Steinrück
war eine konsequent durchgeführte, scharf um¬
rissene Gestalte. der man als schauspielerischen
Leistung den Respekt auch dann nicht weigern
kann, wenn man sie sich wesentlich anders denkt.
Frau von Hagen hat vielleicht noch nie einen
Charakter so vollkommen bis auf den Grund aus¬
geschöpft, wie die Genia, für deren stille Trauer
und verhaltenen Schmerz sie ihre echtesten Tine,
ihre wahrsten Gesichter stets bereit hatte. Auch
Frl. Dandlei überzeugte wie immer, wenn siel
eine Dulderin darzustellen hat. Frl. Michalek
wußte die Erna besonders in den Partien ihres
Zusammenspiels mit Steinrück=Hofreitex sehr in¬
teressant zu gestalten. Den Freund Obfreiters,