II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 350

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24. Das 116and
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Rundschau
Ammnnnasngnsnnenaggnrapgen
der Sprößling eines primitiven Volkes legt ein Quell sind sie, der sich selber abgräbt.
Urtriebe gegeneinander los.
Wie ein Sternenstück, das in die Bögen der
Die Gliederung in Kosors“, Brand der Nacht verschießt. Die Perversion ins Pas¬
Leidenschaften“ entfaltet sich zunächst in
sive hat es Otto Julius Bierbaum einmal
der einfachsten dualistischen Form von einem geheißen.
Spieler und einem Gegenspieler, worauf Konnte darum das Schauspiel nur drei
im Innern des Spielers selbst der Haupt= Wiederholungen finden, darunter zwei vor
kampf zwischen Gut und Böse, Gott und beschämend leerem Haus? Oder darum,
Satan angebunden wird. Sonst gibt es weil diese Walze für eine Zeit abgespielt
keine Verschlungenheit, keine Wirrung. Ist ist? Weil eine naturalistisch auf die Szene
doch das des Rätsels genug, daß ein From¬
gestrichelte Ethnographie so wenig mehr
mer sein Leben lang in Demut, Gottes¬
fesselt wie das Unterleben der geistig und
und Menschenfurcht um den Nächsten wer¬
seelisch Eingeschränkten, oder weil Tolstoi
ben kann und dann zum Ende ihm die
aus der gesellschaftlich gleichen Schicht schon
Gurgel eindrückt. So der Ausgang des
Funken einer tieferen Sittlichkeit und Ge¬
Dramas. Aber dieser Ausgang ist kein Ab= wissenspein schlug und uns Dostojewsky be¬
schluß, denn der Bauer, der da seinen reits in die Mystik dieses großen, dichten¬
tückischen Hasser und Widersacher nieder= den Volksgeistes bannte, während die
stampft, wird kein anderer werden, sondern Qualen und apokalyptischen Schauer des
weiterseufzen und keuchen, bis ihn der Bauern hier zu wenig außerpersönliche, all¬
Wahnsinn oder der Tod hinwegwischt.
persönliche Bedeutsamkeit erlangen.
Immerhin kann man verstehen, daß die
So dumpf belastend scheint das Gefühls¬
Intendanz das Drama billigte. Es ist Erd¬
und Willensleben der Slaven noch immer
geruch darinnen, Aufruhr und Nührung,
zu verlaufen, denn, was uns hier einer
endlich Poesie, Urzellenpoesie, die biblische
aus den kleineren slavischen Völkerschaften,
Poesie der Erzväter. Da teilt sich das
ein Slavonier, vorführt, das haben auch die
Wesen noch frisch, unmittelbar mit von
jüngsten Russen so abgeschildert. Bezeich¬
Mensch zu Mensch, vom Herrn zu Knecht
nend ist, wie ihnen allen, ob sie nun Gorki
und Magd, und von Baum und Frucht,
oder Brjussoff, Birinski oder Andrejanoff
Bienenschwarm und Pflugschar, von den
heißen, derselbe dramatische Rhythmus eig¬
Stimmen der Wolfswildnis und des Abends
net, nicht bloß die äußere Technik des breiten
wieder zu den Menschen. Und solches wird
Pinselzuges, sondern auch das Pathos zur
Tat und Selbstermannung, das uns west= in der sprachlichen Verständigung, im Aus¬
liche Europäer so rhetorisch anklingt, dann druck wirksam, indem jede Bezeichnung, jedes
Verlangen, ja jede Abstraktion sich ein an¬
auch der Linienriß der Aktionen und Ge¬
stalten, jene Stilisierung in einen leiden= schauliches und darüber hinaus ein senti¬
den Heroismus, dann jene fatalistische mentales Natur= und Lebensbild prägt.
Joseph Sprengler.
Spannung, mehr noch jenes jähe, zwecklose
Aufflackern und Verflackern von Hand= Künst
lungen und Kräften. So sehr ihre Kata¬
Stilmaterialismus und Kunstge¬
strophen vorbereitet und hineingezimmert
schichte. Es ist erstaunlich, wie wenig die
sind, sie überraschen uns, und, wie oben
gegenwärtige Kunstgeschichtschreibung zur
angedeutet, sie befriedigen nicht, weil sie
Erfassung des Wesens der Kunst beiträgt.
weder lösen noch ausklären, weil sie nicht
Gewiß in keiner anderen wissenschaftlichen
zum Eckstein einer Entwicklung werden.
Disziplin steht die geschichtliche Behand¬
(Siehe dagegen Hebbel!) Diese Menschen
lung den Problemen, um deren historische
martern sich um der Marter willen. Wie
Lösungen sie sich dreht, innerlich so fremd
gegenüber wie in dieser. Die Kunst¬
* Josip Kosor, Brand der Leidenschaften. Schau¬
spiel in 4 Akten. (Rubinverlag, München.)
geschichte will nicht Asthetik sein, sondern