II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 361

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(ch Ein Mißerfolg Schnitzlers, Leipzig, 15. Okt. Zu den 14
Bühnen, an denen Schnißters Tragikomödie „Das
weite Land am Sonnabend ihre Uraufführung erlebte, ge¬
hörle auch das Leipziger Stadttheater. Solche gleich¬
zeitigen Uraufführungen an mehreren Bühnen sind modern und
vielleicht auch praktisch wie das Lotteriespiel bei verschiedenen
Kollekteuren; wird hier eine Niete gezogen, dann gewinnt viel¬
leicht dort ein anderes Los. In Leipzig jedenfalls hat Schnitz¬
ler keinen großen Treffer gemacht. Die Aufnahme seines neuen
Werkes war merklich kühl und der an den Aktschlüssen und
am Ende gespendete spärliche Beifall galt im wesentlichen den
heimischen Darstellern und der trefflichen Regie. Das „weite
Land“ — so wird denen erklärt, die den Sinn des neuen Stückes
nicht sofort aus der komplizierten Handlung zu erkennen ver¬
mögen — soll sein, die Seele des Menschen, insbesondere
die Mannesseele. Statt aber ein „weites Land“ zu zeigen, wo
neben zerklüfteten Felsen, die „bisher niemand erstiegen“ auch
friedliche Täler liegen, wo neben Disteln und Unkraut auch
freundliche Blumen blühen, zeigt Schnitzler in der „weiten Seele“
h seines Helden, des Fabrikanten Friedrich Hofleiter dem Beschauer!
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snur ödes Brachland. Der Charakter dieses Mannes, der
seine kluge, schöne Frau vor deren Augen betrügt, der selbst er¬
klärt, ein unsagbares Gefühl der Erleichterung zu empfinden,
wern auch die Gattin sich „revanchieren“ würde, weil er dann
selbst nicht mehr so schuldhaft vor ihr dastehe, muß notgedrun¬
gen auf den Beschauer höchst unsympathisch und befremdend wir¬
ken. Die einzige Erklärung seines Charakters gibt Hofleiter!
selbst?; er „müsse“ so handeln. Er „muß“ auch den jungen
Marinefähnrich töten, mit dem ihm seine Frau betrogen hat,
während er selbst in den fernen Dolomiten, wo „reine Höhen¬
luft“ weht, eine neue Liebschaft anknüpft. Das Stück selbst gibt
[keinen Aufschluß, warum Hofleiter so handeln muß und wirkt
schon darum bis zum Schlusse langweilig. „Die Seele ist ein
weites Land, so habe einmal ein Dichter gesagt, es könne übri¬
gens auch ein Hoteldirektor gewesen sein. „Schade, daß sich
Schnitzler mit seinem Stücke gleichfalls in dieser Philosophies3
eines Hoteldirektors bekennen will.
Ausschnitt aus
vom: I OktübEhPirpEgr Peieste Mechrichtes
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Cheater und Munik.
Das weite Land.
Tragikomödie in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
(Uraufführung im Neuen
Zwei Grenzpole des Naturalismus berühren sich in den beiden
letzten Novitäten unserer städtischen Bühne. In den „Ratten“ Ger¬
hart Hauptmanns der harte, unbarmherzige, norddeutsche Wirklich¬
keitsfanatismus, der sich immer wieder eigensinnig und verbissen
vorredet, daß in dem Schicksal einer Frau John aus der Berliner
Linienstraße ebenso viel Bühnen=Tragik enthalten sein müsse als
in dem der Lady Macbeth
und gestern in Arthur Schnitzlers
Tragikomödie „Das weite Land“ die besondere Spielart des Wie¬
ner Naturalismus, der mit dem eigenartigen Gemisch von
Spott und Bitterkeit, Resignation und Wehmut in das Leben un¬
serer Zeit schaut, dort, wo die sogenannten „Gebildeten“, die „Stützen
der Gesellschaft“, hausen und sich in all der offenen und verborgenen
Herrlichkeit ihrer Seele manifestieren... Die handfestere, derbe,
also dicht neben der eleganteren, geschmeidigeren Spielart — man
mußte vergleichen, und mir ist nicht fraglich, daß die letztere,
die weniger nach einer Literatur=Mode und mehr nach jenem Leben
schmeckt, das wir alle leben, daß diese weniger auf krasse Einzelfälle
als auf die Lebensäußerungen einer Gesamtheit, d. h. also auf
Kultur erscheinungen gerichtete Wiener Art uns heute bereits
mehr zu sagen hat als ihre norddeutsche Rivalin von gestern.
Denn sie kommt dem Pulsschlag unserer Zeit näher, horcht tiefer
in das Innere unserer Tage und bringt ihr auch insosern die adä¬
quatere Kunstform dar, als sie vom Derben, Lauten, Knallenden
hinweg sich dem Behorchen jener Stimmen zugewendet hat, die unter
der lauten Oberfläche heimlich raunen und züngeln, jener Stim¬
mung, die das sensitivere und untrüglichere Barometer unserer
„Kultur“, die es so herrlich weit gebracht hat, darstellen. Ein Erbe,
das Ibsen einst hinterlassen hat, wird hier verwaltet, nicht mit dem
grimmem Ernst, dem Alles oder Nichts=Fanatismus des alten
Wahrheitssuchers, doch bei resignierterem, weichherzigerem Gebaren
mit gleichgerichtetem Drang nach Erkenntnis, nach Wahrheit, nach
den letzten, heimlichsten Wirklichkeiten hinter den Masken.
Arthur Schnitzler ist mehr und mehr zum gewichtigsten Ver¬
treter dieser Wiener Art geworden. Seinen seinen, weichen Fingern
gelingt es zum Erstaunen, den Menschen, die er auf seiner Bühne
versammelt, die Larven vom Gesicht und Schleier nach Schleier von
der Seele zu nehmen, bis sie hüllenlos dastehen, mit nichts be¬
kleidet als der Kultur ihrer äußeren Formen, ihrer tadellosen Wohl¬
anständigkeit und Gesellschafts=Dressur — nackt, trotz dieses gro߬
artig zugeschnittenen Menschheitskostüms à la mode. Er tut es auch
hier wieder zum Erschrecken, trotzdem gerade bei der Wahl des
Themas, die er diesmal traf, wundervarste Gelegenheit gewesen
wäre, der Nacktheit die schönsten drapierenden Mäntelchen umzu¬
hängen! Das weite Land, in das er mit melancholisch=bitterem
Spott hineinschaut, ist die Seele. Ein Chaos sieht er, in dem
die schneidendsten Gegensätze dicht beisammen hocken: Liebe und Haß,
Sehnsucht und Zynismus, Treue und Verrat. Wie bequem und
Lingen mndern wärenes gewesen, aus allem dem ein
behagliches Fenseits von Gut und Böse zu konstruieren, in dem es
sich höchst komferfabel als Uebermensch hätte hausen-lassen.ude#
Schnitzler ist so altmodisch, dieses Chaos im weiten Land der
Seeke unzweidentig als Dekadenz=Erscheinung einer überkulti¬
vierten Zeit zu signieren. Denn die Art, wie er an der Haupt¬
handlung exemplisiziert, bringt mit unheimlich stiller Wucht die Tat¬
sache wieder und wieder zur Erscheinung: wie alles, was Wert hat
und echt ist, in der Seele niedergetreten, verwüstet, in den Tod ge¬
jagt wird von jenen Dekadenten, deren verführerischster und zu¬
gleich erschreckendster Typ in dem Fabrikanten Hofreiter gezeichnet
ist. Der seine ihn vergötternde Frau systematisch in den Ehebruch
hineintreibt, dann aus der ohnmächtigen Wut über die Ueberlegen¬
heit eines gleichfalls von ihm betrogenen Ehemanns heraus den
jungen redlichen Kerl, der seine Frau liebt, beschimpft und im Duell
kaltblütig über den Hausen schießt

und der doch zugleich ein
guter Freund und wormherziger Vater sein kann. Gewiß — die
Seele ist ein weites Land — aber das hindert nicht, daß wir einen
solchen Menschen im Handeln seiner Frau gegenüber als einen
Schurken empfinden. Daß Schnitzler unzweideutig derselben Mei¬
nung ist, hat er an dem Verhalten des Dr. Mauer, des Freundes
Hofreiters, völlig klar gemacht. Auch der letzte Akt kann; darüber
nicht irre machen, der das Vatergefühl in dem Dekadenten aufblitzen
läßt. Frau und Freund sprechen das Urteil, indem sie sich von ihm
lösen, er selbst spricht es, indem er das weibliche Gegenstück, die
moderne Jungfrau, die seine Geliebte ist, von sich abwehrt. Es ist
Gerechtigkeit in diesem Schluß. Vielleicht zu viel Gerechtigkeit
vom Standpunkte des Lebens aus (Gegner werden es entrüstet
„Sentimentalität“ nennen). Dennoch hat sich der Künstler Schnitz¬
ler, der hier behutsamer als je ist, in der Zeichnung nichts dabei
vergeben. Und der Mensch erst recht nichts!
Das Stück ist kein Publikums=Erzeugnis. Leise, allzu leise, oft
für den Theatererfolg geht es seinen Weg ins Innere der Men¬
schen, breitet die Fülle seiner Erkenntnisse, seiner feinziselierten
Worte in allzu breit hinfließendem Strom aus. Biegt dann für
einen Akt (en dritten) bewußt in ein povuläres Fahrwasser, um
hier freilich stark aus der Sphäre Schnitzlers in die grobkörniger
Lustspielfabrikanten zu graten. Kehrt mit dem 4. Akt in Schnitz¬
lers Heimat zurück und formt dann ein Musterbeispiel stillster und
dabei dramatischster Entladung, von dem man nur wünschen möchte,
daß die Herren Sudermann, Vataille und Konsorten es recht von
Herzen studieren möchten!
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mit alledem
Zugstück werden kann
mehr kals zweifelhaft,
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